70 Jahre Stoßgebet: „Heilige Maria, Stern des Ostens, hilf deinen Kindern“

Wien, Stephansdom. Am 4.12. wurde mit einer Hl. Messe am Gnadenbild Maria Pötsch einer Eingebung des hl. Josefmaria vor 70 Jahren gedacht.

Die Eingebung eines Stoßgebetes, um für die durch den Eisernen Vorhang abgeschottete Kirche und Menschen in Osteuropa zu beten, empfing der heilige Josefmaria bei seinem zweiten Wienaufenthalt im Dezember 1955. Seine ersten zwei Kurzbesuche in Wien sollten dabei im Licht der damaligen politischen und historischen Situation gesehen werden. 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 stand Wien – wie das übrige Österreich auch – noch zehn Jahre lang unter der Verwaltung der Alliierten: Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich. Als der heilige Josefmaria Anfang Mai 1955 erstmals in die teilweise noch zerstörte Hauptstadt gelangte, um die Möglichkeiten für einen Beginn der apostolischen Arbeit des Opus Dei in Österreich zu erkunden, war die Präsenz der Besatzungsmächte weithin sichtbar. Nur eine Woche später, am 15. Mai 1955, wurde der Staatsvertrag unterzeichnet, verbunden mit einer 90-tägigen Frist für den Abzug der Alliierten – am 26. Oktober 1955 war Österreich wieder frei. Was bestehen blieb, war der Eiserne Vorhang, der entlang der nordöstlichen und südöstlichen Grenze Österreichs verlief und die dahinterliegenden Länder vom Westen trennte.

Vor diesem Hintergrund empfing Wien den heiligen Josefmaria bei seiner zweiten Stippvisite kurz vor Ende desselben Jahres unter völlig veränderten Verhältnissen. Am 4. Dezember feierte er die Heilige Messe im Stephansdom und betete anschließend vor dem Gnadenbild Maria Pötsch. Dort sprach er erstmals jenes kurze Stoßgebet, das ihm wie eine Eingebung aus dem Herzen kam: „Sancta Maria, Stella Orientis, filios tuos adiuva!“ – Heilige Maria, Stern des Ostens, hilf deinen Kindern! Er notierte das Stoßgebet sofort – später sollte es um die ganze Welt gehen. Ohne die Geschichte und spirituelle Bedeutung des Gnadenbildes zu kennen, öffnete er einen Weg, auf dem die Verehrung von Maria Pötsch auf alle fünf Kontinente gelangte.

Gnadenbild Maria Pötsch im Wiener Stephansdom

Ein vereintes Gebet auf den fünf Kontinenten

Auf Anregung des heiligen Josefmaria vertrauten weltweit tausende Gläubige die vom Kommunismus bedrängten Christen dem Schutz der „Stella Orientis“ an. Sicherlich trug dieses vereinte Gebet dazu bei, dass der Eiserne Vorhang 1989 in einer friedlichen Revolution fiel. Mit dem Ende der kommunistischen Diktatur war auch die Religionsfreiheit wieder sichergestellt. Bald darauf begann die apostolische Arbeit des Opus Dei von Wien aus in Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Im Jahr 2007 eröffnete das Opus Dei seine erste Niederlassung in Moskau.

Heute erinnert eine 2002 angebrachte Gedenktafel rechts neben dem Altar des Gnadenbildes an die Eingebung. Auch in der griechisch-katholischen Basilika von Máriapócs wurde dem heiligen Gründer des Opus Dei im Jahr 2005 eine Gedenktafel gewidmet.

Gedenktafel rechts vom Maria Pötsch-Altar im Wiener Stephansdom

Die bewegte Geschichte des Gnadenbildes Maria Pötsch

Die an sich sehr schlichte Ikone der Muttergottes stammt aus dem nordostungarischen Dorf Pócs und wurde von Stefan Pap gemalt, dem Bruder des dortigen griechisch-katholischen Pfarrers. Sie gehört zum byzantinischen Typus der Hodegetria, der Wegweiserin. Bekannt wurde sie durch ein Tränenwunder, das sich am 14. November 1696 ereignete, wenige Jahre nach der Befreiung der Region von osmanischer Herrschaft. Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Böhmen und Ungarn, ordnete im Jahr darauf den Transfer der Ikone nach Wien, in die Hauptstadt des Kaiserreiches an, wo sie seither im Stephansdom verehrt wird. Ein Jesuit aus Košice fertigte daraufhin eine Kopie des Gnadenbildes an, die in Máriapócs verehrt wird. Diese Kopie wurde zum Schauplatz von zwei weiteren Tränenwundern: im August 1715 und am 3. Dezember 1905.

In Wien kam es nie zu einem Tränenwunder, doch entfaltete die Ikone hier eine tiefgreifende geistliche Wirkung: Sie führte zu einem neuen Aufblühen der Marienfrömmigkeit, zu regelmäßigen Andachten mit einem entsprechenden musikalischen Aufgebot bis hin zur Erstellung eines eigenen Gebets- und Gesangbuches zu Ehren des Gnadenbildes.


Zur Nachlese empfohlen: Der Journalist Dr. Ricardo Estarriol (+) verfasste 2013 eine ausführliche Dokumentation über die ersten drei Reisen des hl. Josefmaria nach Österreich (1949-1955).