Vom 1964 bis 2012 arbeitete die gebürtige Kölnerin Marlies Kücking in der Zentralleitung der Prälatur Opus Dei in Rom. Mehr als zehn Jahre war sie somit eng mit dem hl. Josemaría Escrivá verbunden, dem Gründer der 1928 in der spanischen Hauptstadt Madrid entstandenen katholischen Einrichtung. Vor allem von der „mütterlichen Sorge“ dieses Priesters, der am 26. Juni 1975 gestorben ist, zeigte sich die Deutsche im Interview mit ZENIT beeindruckt. Und sie erklärte, wie die Leitung der Personalprälatur auf der ganzen Welt vor sich geht.
ZENIT: Innerhalb des Opus Dei sind Sie die Frau mit der höchsten Leitungsaufgabe, außerhalb der Personalprälatur kennt man Sie aber nur wenig. Liegt ein Grund dafür in der Überzeugung des hl. Josemaría, dass man sich zurücknehmen und verschwinden müsse, um jeden Personenkult zu vermeiden und nur Gott die Ehre zu geben?
Kücking: Die Leitung des Opus Dei beruht auf allen Ebenen – auch in der Zentralleitung, der ich angehöre – auf Kollegialität. Jedes Leitungsmitglied ist für ganz konkrete Aufgaben zuständig, die alle wertvoll sind und die ich nicht als mehr oder weniger bedeutend einstufen würde. Und man erfüllt diese Aufgaben, indem man sich koordiniert und jene Angelegenheiten ernst und verantwortungsvoll prüft, an deren Lösung immer – je nach Bedeutung – verschiedene Person beteiligt sind, und zwar niemals weniger als drei.
Ich bin überzeugt, dass diese Vorgangsweise eine besondere Gnade ist, die der hl. Josefmaría in den Anfängen des Opus Dei von Gott erhalten hat. Durch sie wird sowohl jede Tyrannei als auch jedes untätige Sich-bequem-Zurücklehen und jeder Rückzug ins Anonyme verhindert.
Ist im Opus Dei von Aufträgen oder Leitungsaufgaben die Rede, so sind damit immer Aufgaben gemeint, die in ihrem Wesen einen geistigen Zweck erfüllen, nämlich jenen, christliche Bildung weiter zu geben. Denn nach Worten des Gründers ist das Opus Dei „eine große Katechese“.
Es geht also darum, die Möglichkeiten zu schaffen, damit die Gläubigen der Prälatur, die Mitarbeiter und Tausende von anderen Personen, die sich dem Opus Dei nähern, Zugang zu jenen Mitteln haben, die ihnen helfen, ihren Glauben mitten in der Welt auf kohärente Weise zu leben und ihre Begegnung mit Christus in den beruflichen, familiären und gesellschaftlichen Tätigkeiten zu erleichtern. Dazu bedarf es, wie man sich vorstellen kann, ein Minimum an Koordination und Organisation. Und genau da setzt die Leitungsarbeit an, von der ich gesprochen habe.
ZENIT: Wie funktioniert die Leitung im Opus Dei? Was ist die Aufgabe der Zentraldirektoren?
Kücking: Zusammen mit den anderen Zentraldirektorinnen besteht meine Aufgabe darin, den Prälaten [Bischof Javier Echevarría, Anm. d. Red.] über die apostolische Arbeit des Opus Dei unter den Frauen in allen Teilen der Welt zu informieren, ihm Untersuchungen über neue Initiativen vorzulegen sowie die vielfältigen Angelegenheiten zu klären, die aus den verschiedenen Ländern kommen, in denen die Prälatur arbeitet, sowie aus anderen Gegenden, wo es wenige Mitglieder des Opus Dei gibt.
Zuvor habe ich schon die Kollegialität angesprochen und möchte jetzt noch auf einen damit eng verbundenen Aspekt eingehen, auf die Dezentralisierung und den Respekt vor der Freiheit und der Autonomie des Opus Dei auf regionaler und lokaler Ebene. Innerhalb des einen Geistes, der allen Gläubigen der Prälatur gemein ist und heute und immer Gültigkeit besitzt, muss man die verschiedenen Mentalitäten berücksichtigen und auch den Entwicklungsstand einer Gesellschaft oder der apostolischen Arbeit der Prälatur.
Es ist nicht dasselbe, ob man in Japan, Schweden oder Portugal arbeitet; ja, selbst die Arbeit in Katalonien ist anders als die in Andalusien [zwei spanische Bundesländer, Anm. d. Red.].
ZENIT: Sehen Sie sich eher als Managerin in einem internationalen Konzern, als Mutter einer großen Familie, als Mitarbeiterin eines Bischofs oder als Schwester der rund 45.000 Frauen, die dem Opus Dei angehören?
Kücking: Darüber habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht. Aber sicher nicht wie eine Managerin. „Das Opus Dei ist eine Parzelle der Kirche“, hat der hl. Josefmaría oft gesagt. Und in der Kirche ist das Wesentliche die Liebe, die Sorge der einen um die anderen, aus Liebe zu Gott.
Innerhalb des Opus Dei schätzen wir einander sehr: Wir teilen miteinander Freude und Leid und bemühen uns, besonders jenen nahe zu sein, die wegen Krankheit, Müdigkeit oder aus anderen Gründen mehr Hilfe benötigen.
Diese „süße“ Verpflichtung kommt logischerweise an allererster Stelle dem Prälaten zu und mit ihm den Direktoren und Direktorinnen, wo immer sie auch sein mögen.
ZENIT: Vor 30 Jahren starb der Gründer des Opus Dei, der Sie nach eigenen Angaben besonders durch seine „mütterliche Sorge“ beeindruckt hat. Was genau meinen Sie damit?
Kücking: Der hl. Josefmaría war für seine Töchter und Söhne und alle Menschen, die ihm nahe kamen, Vater und Mutter zugleich. Wie eine Mutter bemerkte er schon auf den ersten Blick, dass jemand traurig war oder dass es einem schlecht ging, dass die betroffene Person abgenommen hatte oder sich mit Sorgen quälte. Er teilte die Freuden und die Leiden der Menschen. Und er verstand es immer, ein Thema anzusprechen, das seinen Gesprächspartner begeisterte, denn er kannte die unterschiedlichen Geschmäcker.
Seine große Liebenswürdigkeit kam aber nicht aus dem Gefühl. Wie eine gute Mutter konnte auch er standhaft auftreten und, wenn nötig, korrigieren. Das machte er in aller Klarheit, aber zugleich mit einer unendlichen Zuneigung.
Ich kann selbst bestätigen, und zwar nicht nur aus eigener Erfahrung, dass man nach solchen Gesprächen sehr dankbar war. Darüber hinaus war es keine Seltenheit, dass er der zurechtgewiesenen Person einige Stunden später oder am nächsten Tag mit einer konkreten Geste seine Zuneigung zeigte, sozusagen um noch einmal klarzustellen, dass alles in Ordnung ist.