„Ein katholischer Cocktail"

Opus-Dei-Priester John Wauck hält Dan Browns „ Sakrileg " für einen schlechten, aber der Kirche durchaus nützlichen Roman. Ein Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus.

Focus: Ein Millionenpublikum verschlingt Dan Browns Bücher. Sie, Professor Wauck, vertreten nicht nur die katholische Kirche, sondern das von ihm als finstere Macht beschuldigte Opus Dei. Wie erklären Sie sich eine solche Nachfrage?

Wauck: Da steckt sicherlich etwas Mysteriöses dahinter. Der Roman ist weder gut geschrieben noch sehr unterhaltsam. Er hat weder etwas mit Geschich­te noch Theologie, Kunst oder Kirche zu tun. Die Leu­te lesen das Buch weder aus literarischem Interesse noch um sich zu informieren. Dafür gäbe es bessere Bücher, unterhaltsamere und seriösere.

Focus: Die Leute lesen also rein aus Neugier?

Wauck: Browns Popularität hat andere Ursachen. Wir haben es mit einem Phänomen zu tun. Dieses Phänomen ist weitaus interessanter als das Buch.

Focus: Woraus besteht dieses Phänomen?

Wauck: Es ist ein Cocktail. Brown spricht von Kunst, von Spiritualität, von heidnischer, klassischer, mittelalterlicher Geschichte, von Sexualität. Alles zu­sammen ergibt einen Cocktail, der neugierig macht -sogar einen sehr katholischen Cocktail. Was würde Dan Brown ohne Kirche machen, ohne Vatikan, ohne Rom? Seine Romane hängen in gewisser Weise von der Faszination der katholischen Kirche ab.

FOCUS: Was ist an der katholischen Kirche denn so faszinierend?

Wauck: Brown ist ein typischer amerikanischer Protestant. Amerikas älteste Kirchen stammen aus dem 17. Jahrhundert. Nun kommt er nach Rom und sieht den ägyptischen Obelisken, das heidnische Pantheon, das eine Kirche geworden ist. Er sieht Sankt Peter, Berninis Werke. Das fasziniert einen Amerikaner, weil er keine Geschichte hat. In Rom findet er die Verbindung zur Vergangenheit. Eine der wichtigsten Wirkungen von Dan Browns Büchern ist die enorme Zunahme des Rom-Tourismus.

FOCUS: Das gilt aber nicht für die Millionen nicht amerikanischen Leser.

Wauck: Ich spreche von den USA, weil die Roma­ne dort entstanden sind. Dort treffen sie auf einen Hunger nach einer weniger banalen Gesellschafts­kultur. Es ist die Sehnsucht nach Geschichte und Mysterium, nach Verbindung von Gegenwart und Ver­gangenheit. Brown befriedigt dieses Bedürfnis. Ich habe beobachtet, wie junge Leute vor dem Sarg von Papst Johannes Paul II. in langen Schlangen warte­ten mit dem „Sakrileg" in der Hand.

Focus: Statt Bibel oder Gebetsbuch.

Wauck: Aber der Roman ist überhaupt nicht theo­logisch. Er bietet keine Argumente, keine Antworten und ist voller Irrtümer. Das meiste stimmt nicht.

Focus: Sie fanden kein Körnchen Wahrheit?

Wauck: Einige Teile sind wahr. Der Leser weiß aber nie genau: Wo endet die Wahrheit, und wo be­ginnt die Fiktion? Kurioserweise wird immer wie­der der Heilige Gral gesucht, aber nicht verstanden, dass es sich überhaupt nicht um ein Gefäß handelt. Der Sinn dahinter ist entscheidend. Da werden Men­schen beschrieben, die in der Provence vor den Ge­beinen Maria Magdalenas knien. Für einen Harvard-Professor ist das seltsam. Die Katholiken kennen das dagegen seit Jahrhunderten. In gewissem Sinn bedeutet der Roman eine Wiederentdeckung der katholischen Kultur. Kurios, nicht?

FOCUS: Was sicherlich nicht Dan Browns Absicht war. Eher griff er die katholische Kirche an.

Wauck: Brown ist nicht katholisch. Er wollte einen Bestseller schreiben. Einige seiner Gedanken wen­den sich gegen die katholische Kirche. Er wollte sie aber nicht angreifen, auch wenn es theoretisch so aussieht. Dann hätte er argumentieren müssen. Er hätte sicherlich auch bessere Einwände gefunden. Wenn einer einen Kampf führen will, dann schreibt er keinen Roman voller Fehler. Er bringt nur absurde Argumente gegen die Göttlichkeit von Jesus Chris­tus vor. Außerdem versteht das moderne Amerika die katholische Kirche sowieso nicht.

FOCUS: Wie reagiert die Kirche auf Brown?

Wauck: Vieles wurde bereits getan. In einer Reihe von Büchern werden die Irrtümer beschrieben.

FOCUS: Wenn aber ein Leser dennoch an der kirch­lichen Lehre zweifelt?

Wauck: Mich haben viele Leute angesprochen, die durch den Roman in Zweifel geraten sind. Sie haben sich intensiver mit ihrem Glauben beschäftigt und sind zu ihm stärker als vorher zurückgekehrt. Selbst Brown gab zu, er habe über Jesus geschrie­ben, damit die Menschen mehr über ihn sprechen.

FOCUS: Dann müssten Sie Brown ja dankbar sein.

Wauck: Dan Brown hält es mit Oscar Wilde, der von den Engländern behauptet hat, sie würden nur zwei Religionen kennen: die katholische, die sich irrt, und die anderen, die keine Bedeutung haben.

von Hans-Peter Oschwald, Focus