Betrachtungstext: 31. Woche im Jahreskreis – Montag

Eine Logik der Demut und der Liebe – Der Wert des Kleinen und Großen – Um die Gaben Gottes zu empfangen.

JESUS war in das Haus eines hochrangigen Pharisäers zum Essen eingeladen worden. Nachdem er die Gäste dazu ermuntert hat, sich nicht gleich die besten Plätze am Tisch zu suchen (vgl. Lk 14,8-11), wendet er sich an den Gastgeber und sagt: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich wieder ein und dir ist es vergolten (Lk 14,12). Hatte er zu den Anwesenden zuvor über die Demut gesprochen, so möchte er nun zeigen, dass diese stets von der Liebe begleitet wird.

Es mag verwirren, dass Jesus diese Lehren bei einem Festmahl zur Sprache bringt. Er nutzt jedoch die Gelegenheit, um etwas zu vermitteln, was er später selbst tun wird: sich in größter Demut und ohne die Erwartung von Gegenleistungen am Kreuz hingeben. Er möchte, dass die Anwesenden in diese neue Logik eintreten, die im Gegensatz zu jener Denkweise steht, die uns nur an uns selbst denken lässt, die jedoch zum wahren Glück führt. Wie der heilige Josefmaria sagte: „Je großzügiger du bist, aus Liebe zu Gott, desto glücklicher wirst du sein.“1

„Hab keine Angst!“, sagte in diesem Sinn auch der heilige Johannes Paul II. bei einer Begegnung mit jungen Menschen in der Schweiz. „Gott lässt sich an Freigebigkeit nicht übertreffen! Ich freue mich, nach fast sechzig Priesterjahren hier vor euch allen dafür Zeugnis abzugeben: Es ist wunderbar, sich bis zum Ende für die Sache des Reiches Gottes hingeben zu können! (...). Tragt das Kreuz Christi in euren Händen. Habt auf euren Lippen Worte des Lebens; und in euren Herzen die heilbringende Gnade des auferstandenen Herrn.“2


WENN DU ein Essen gibst, dann lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten, sagt Jesus; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten (Lk 14,14). Wir wissen, dass die Auferstehung auf geheimnisvolle Weise Gottes Art der „Entlohnung“ sein wird; wir werden zurückerhalten, was wir hingegeben haben, und zwar in vollem Umfang. Scheinbar geben wir unser Leben hin, doch in Wirklichkeit erhalten wir es aus den Händen Gottes, des Vaters, wieder: „Gott selbst ist der Lohn und das Ziel all unserer Mühen“3, sagte der heilige Thomas von Aquin.

Jesus ermutigt uns in dieser Passage des Evangeliums, uns auch vom möglichen, legitimen Dank zu befreien; es geht nicht so sehr darum, ihn abzulehnen, sondern er soll nicht der Hauptgrund für unser Handeln sein. Der Herr lädt uns ein, seine Art und Weise zu entdecken, andere zu lieben und sich ihnen zu schenken, nämlich ohne den Einsatz und die Gegenleistung zu berechnen. Wer so liebt, genießt die Liebe viel mehr, denn er erhält sie ebenso aus freien Stücken, bedingungslos und zwanglos.

Als der heilige Josefmaria einmal die Unentgeltlichkeit der Liebe Gottes zu den Menschen betrachtete, konnte er auch den unermesslichen Wert all unseres Tuns bedenken, denn weder Kleines noch Großes kommt auch nur annähernd an das heran, was wir empfangen haben. „Vielleicht denkt manch einer, dass es im gewöhnlichen Leben wenig gibt, das wir Gott anbieten können: Kinkerlitzchen, Kleinkram. Ein kleines Kind, das seinem Vater eine Freude machen will, bietet ihm an, was es hat: einen geköpften Bleisoldaten, eine Spule ohne Faden, ein paar Steinchen, zwei Knöpfe, alles Wertvolle, das es in seinen Taschen hat, seine Schätze. Und der Vater sieht nicht auf die Unsinnigkeit des Geschenks. Er ist dankbar dafür und drückt das Kind mit unsagbarer Zärtlichkeit an sein Herz. Handeln wir so vor Gott, denn diese Kindereien, diese Kinkerlitzchen, werden groß, weil die Liebe groß ist.“4


AUFGRUND EINER Sichtweise, die mit der Logik der Unentgeltlichkeit wenig vertraut ist, kann es uns manchmal schwerfallen, die Bedingungslosigkeit der göttlichen Liebe anzunehmen. Wir denken vielleicht, dass verdienstvolle Taten und Anstrengung die einzig legitimen Wege sind, um etwas von Wert zu erlangen. Solange wir einer rein menschlichen, kommerziellen Logik verhaftet sind, kann geschehen, wie Papst Franziskus predigte, „dass das Herz schrumpft, sich verschließt und außerstande ist, so viel unentgeltliche Liebe zu empfangen“. Deshalb bitten wir mit dem Heiligen Vater: „Möge unser Leben der Heiligkeit eine Erweiterung unseres Herzens sein, sodass die Unentgeltlichkeit Gottes, die Gnaden Gottes, die unentgeltlich da sind und die er uns schenken will, unser Herz erreichen können.“5

Im Evangelium hören wir, dass Jesus einst jene zu seinem Festmahl einladen wird, die ihn auf Erden nicht bezahlen können. Und das macht Sinn, denn wie können wir Gott vergelten, was er uns in der Eucharistie, in der Beichte, in den Sakramenten und in allen seinen Gaben schenkt? Wenn wir uns innerlich auf den Empfang der Sakramente vorbereiten, wollen wir nicht bezahlen, was er für uns tut, sondern unsere Seele weiten, damit diese Gaben unser Leben erfüllen und uns dazu führen, so zu lieben wie er.

Der heilige Josefmaria sagte, dass „unser Herr kein trockenes Herz hatte, sondern ein Herz von unendlicher Tiefe, das zu danken und zu lieben wusste“6. Jesus schätzt die kleinen und großen Details, mit welchen wir ihm unsere Liebe erweisen möchten. Bitten wir Maria um ihre Hilfe, damit unser Herz mehr und mehr wird wie das ihre: weit offen für die Unentgeltlichkeit und die Pläne Gottes.


1 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 18.

2 Hl. Johannes Paul II., Ansprache, 5.6.2004, 5.

3 Hl. Thomas v. Aquin, Über das Glaubensbekenntnis, 12, l.c.

4 Hl. Josefmaria, Brief 1, Nr. 19.

5Franziskus, Tagesmeditation, 11.6.2019.

6 Zitiert in J. Echevarría, Memoria del Beato Josemaría Escrivá, Rialp, 2. Aufl., Madrid 2000, S. 106.