Brief des Prälaten (Mai 2007)

Brief Bischof Echevarrías an die Gläubigen des Opus Dei. Im Mai ruft er besonders zur Verehrung der Muttergottes auf und bittet um Einsatz für die Bewahrung der Familien.

Während der Osterzeit führen uns die Lesungen der Messe Szenen aus der Apostelgeschichte vor Augen. Es macht Freude festzustellen, daß sich die ersten Gläubigen von Anfang an – vom Pfingsttag an – völlig bewußt waren, daß sie die neue Familie Gottes auf der Erde bildeten, die gegründet ist auf das österliche Opfer Christi und die Aussendung des Heiligen Geistes. Das sollte uns zu einer frohen Verantwortung anspornen, denn die immer junge Kirche sind wir, jeder von uns. 

Der hl. Lukas bezeugt, daß jene ersten Brüder im Glauben „an der Lehre der Apostel festhielten und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“[1]. Und er fügt hinzu: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele".[2] 

Eine unmittelbare Konsequenz des Bewußtseins, Familie Gottes zu sein und sich als solche zu fühlen, war die apostolische Kühnheit, der Mut, allen, denen man begegnete, von Jesus zu erzählen, ohne sich von Angst oder falschen menschlichen Rücksichten abhalten zu lassen. „Sie verkündeten freimütig das Wort Gottes“, schreibt der Evangelist und unterstreicht noch einmal:“ Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn, und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen“.[3] 

Den Hintergrund dieses wundervollen Bildes, von dem sich die verständliche Begeisterung für den auferstandenen Jesus und der apostolische Eifer der ersten Christen abhebt, bildet, wie man leicht errät und wie ich bereits sagte, die Überzeugung, Gottes Familie auf Erden zu sein, eine Familie, deren Bande stärker sind als die des Blutes und die Christus in seiner Predigt angekündigt hatte: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“[4]

Diese Aussage Jesu wird als erstes auf die Muttergottes bezogen, denn aufgrund ihrer vollen Zustimmung zu dem, was ihr der Erzengel im Auftrag Gottes verkündete, konnte das große Geheimnis der Menschwerdung Wirklichkeit werden. Von ihr lernten die ersten Christen, sich als Kinder Gottes und Brüder Jesu Christi zu verhalten. 

Einige Kirchenväter betonen die unersetzliche Rolle Mariens als Mutter der Urkirche nach der Himmelfahrt Jesu und der Herabkunft des Heiligen Geistes. So etwa in einem Buch, das Maximus dem Bekenner zugeschrieben wird: „Als die Apostel über die ganze Welt verstreut wurden, wohnte die heilige Mutter Christi als ihrer aller Königin im Mittelpunkt der Welt, in Jerusalem, in Sion, zusammen mit dem Apostel, den der Herr Jesus Christus liebte und den er ihr zum Sohn gegeben hatte.“[5]

Diese Überlegungen erweisen sich im Monat Mai, der an vielen Orten der Welt der Gottesmutter geweiht ist, als besonders angebracht. Unsere Herrin ist in jedem Augenblick die Mutter der Christen, die Mutter der Kirche, und sie erfüllt so die Aufgabe, die ihr Sohn ihr am Kreuz anvertraut hat. Ich lade Euch ein, die innere Freude des heiligen Josefmaria zu betrachten, die er zu Beginn dieses Monats empfand, wenn er feststellte, daß „die Andacht zu Maria stets lebendig ist und die Herzen der Gläubigen anspornt, als domestici Dei zu handeln, als Glieder derselben Familie Gottes (Eph 2, 19)“[6]. 

Es scheint mir nicht gewagt zu behaupten, daß unser Vater ein Erneuerer war oder, wenn ihr so wollt, ein Heiliger, der aus der Heiligen Schrift ungeahnte Reichtümer und Einsichten schöpfte. Er pflegte zu sagen, daß der Christ – und konkret der Mann und die Frau vom Opus Dei – die Straße zum Tempel macht, weil er seine Tätigkeiten in Lob und Anbetung der Heiligsten Dreifaltigkeit verwandelt. Und ich sehe in den Worten der Homilie, die ich gerade zitiert habe, ein Charakteristikum, das viele Menschen erwähnt haben: Der heilige Josefmaria machte durch seinen Umgang und seine Unterhaltung die unterschiedlichsten Orte, an denen er sich befand, zu Bethanien. Unter den Kranken und den Bedürftigen, unter den Studenten und den Intellektuellen – und ich könnte euch viele Fälle nennen – schuf er eine Familienatmosphäre, in der alle lernten, Christus bei sich aufzunehmen, wie es Marta, Maria und Lazarus taten.

Selbstverständlich versucht jeder entsprechend seiner Situation, sich schon jetzt konkret zu überlegen, wie er im Laufe dieser Wochen seinen persönlichen Umgang mit der seligsten Jungfrau gestalten wird, und dies mit dem Bemühen zu verbinden, in den anderen jederzeit Geschwister zu sehen. So können wir z.B. den Rosenkranz jeden Tag aufmerksamer und liebevoller beten und ebenso die Geheimnisse betrachten; oder – vielleicht mit jemandem zusammen – in der eigenen Stadt oder der näheren Umgebung zu einem Wallfahrtsort oder einer Kapelle der Muttergottes gehen.

Im Opus Dei leben wir in diesem Monat den Brauch der Maiwallfahrt, die unser Gründer im Jahr 1935 einführte. Legen wir die geistlichen Früchte in die Hände unserer Mutter. Denn, wie der heilige Josefmaria erläuterte, „Maria hört nicht auf, die Kirche zu festigen und zu einen. Es ist kaum möglich, die Gottesmutter wirklich zu verehren, ohne sich den übrigen Gliedern des mystischen Leibes enger verbunden zu fühlen, enger verbunden auch mit dem sichtbaren Haupt dieses Leibes, dem Papst“.[7]

Die Betrachtung der Kirche als Familie Gottes läßt mich daran denken, wie nötig es ist, die Wahrheit über die Familie zu verbreiten. Diese gründet auf der Ehe eines mit einer und für immer und ist – wie der Papst vor weniger als einem Jahr in Valencia sagte – „der bevorzugte Ort, wo jeder Mensch lernt, Liebe zu schenken und zu empfangen“[8].Niemals werden wir uns genügend dafür einsetzen, die christliche Lehre zu diesem Punkt bekanntzumachen, da die natürlichen Fundamente der Familie in vielen Ländern durch widerrechtliche Gesetze und Gewohnheiten unterminiert werden. Vor wenigen Wochen habe ich mich darüber gefreut, mit einer großen Gruppe von Familien zusammenzutreffen, die an einem Internationalen Familienkongreß teilnahmen. Gestützt auf die lehramtlichen Äußerungen machte ich ihnen Mut, mit ihrem Wort und ihrem lebendigen Beispiel die Wurzeln dieser Institution weiter zu stärken, „die ein notwendiges Gut für die Völker, ein unverzichtbares Fundament für die Gesellschaft und ein großer Schatz für die Eheleute während ihres ganzen Lebens ist[9].

Wenn die Familie zu Recht Hauskirche genannt wird, dann „weil sie die gemeinschaftliche und familiäre Natur der Kirche als Familie Gottes ausdrückt und verwirklicht. Alle Glieder der Familie üben gemäß der je eigenen Rolle das durch die Taufe erworbene Priestertum aus und tragen dazu bei, daß aus der Familie eine Gnaden- und Gebetsgemeinschaft wird, eine Schule der menschlichen und christlichen Tugenden und ein Ort der ersten Verkündigung des Glaubens an die Kinder“[10].

Insofern diese Institution eine auf der Liebe – der selbstlosen Hingabe an die anderen – gegründete und auferbaute Gemeinschaft ist, ist eins ihrer wesentlichen Merkmale der tägliche Einsatz ihrer Mitglieder füreinander, eine wirksame und liebevolle Sorge umeinander. In ihr wäre es ganz unangebracht, wenn jemand bei seinen Überlegungen die anderen nicht berücksichtigte; jede und jeder sollte sich um die Bedürfnisse der anderen kümmern, z.B. füreinander beten, sich gegenseitig helfen, mit den anderen leiden und sich mit ihnen freuen. So tragen alle dazu bei, das liebenswerteste Gebot zu erfüllen, zu dem auch die christliche Brüderlichkeit gehört. Und diese Saat des Friedens und der Freude wird am Ende sicher auch Einfluß auf die Gesellschaft ausüben. 

Die liebenswerte Pflicht, in jedem Zuhause eine Familie zu schaffen, betrifft alle: den Vater, die Mutter, die Geschwister, die Großeltern und auch diejenigen, die mit ihrer Arbeit zur Pflege des Hauses beitragen. Es ist eine Aufgabe für alle, weil wir alle gegen ein „Paschagehabe“ angehen müssen, das ein klares Zeichen der Anhänglichkeit an das eigene Ich ist. Logischerweise ist es als erstes die Aufgabe der Eltern, die ihre gesamte Lebensplanung auf die möglichst vollkommene Nachahmung des Vorbilds der Heiligen Familie – Jesus, Maria und Josef – ausrichten und andere in sich selbst gute Ziele zurückstellen müssen. Auch wenn sich zwischen den Ehepartnern nicht jeglicher Zwist vermeiden läßt, so sollen sich die christlichen Eheleute doch bemühen, jede Uneinigkeit schnell aus der Welt zu schaffen, indem sie um Verzeihung bitten und selbst verzeihen. 

Der heilige Josefmaria verstand und entschuldigte diese Schwächen, denn, „da wir Menschen sind, wird es schon einmal Streit geben; aber wenig. Und dann, so fügte er hinzu, müssen beide zugeben, daß sie schuld sind und zueinander sagen: Verzeih mir! Und sich fest umarmen … Und weiter! Aber man soll merken, daß ihr dann lange nicht mehr miteinander zankt. Und vor den Kindern, ob klein oder groß, dürft ihr nie streiten. Auch wenn sie noch sehr klein sind, merken die Kinder alles“[11]. 

Dieses wunderbare Panorama, meine Töchter und Söhne, die Ihr Eure göttliche Berufung in der Ehe lebt, zeigt sich auch in den Opfern, die im Normalfall klein sein werden, auch wenn sie Euch manchmal groß erscheinen. Die Verantwortung für die Familie und das Zuhause liegt ganz und gar beim Vater und bei der Mutter, und zwar in jeder Hinsicht. Vielleicht verbringt einer der Ehepartner aus beruflichen Gründen viel Zeit außerhalb des Hauses; aber wenn er nach der Arbeit nach Hause kommt, und selbst wenn er dann erschöpft ist, kann er sich nicht der Verpflichtung entziehen, das Zusammenleben mit den anderen Familienmitgliedern angenehm zu gestalten; und er kann auch nicht egoistisch nur an seine eigene Erholung denken. Ihr müßt dem anderen Ehepartner die Liebe und Aufmerksamkeit schenken, auf die er ein Recht hat, und den Kindern die Zeit und die Zuwendung widmen, die sie brauchen – vor allem in den wichtigen Phasen ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung. 

Prüft also euer Verhalten zu Hause, meine verheirateten Töchter und Söhne. Denkt darüber nach, wie Ihr Eure Mithilfe bei den häuslichen Arbeiten – die auch Sache der Männer ist – verbessern könnt; wie Ihr in Ruhe mit jedem eurer Kinder sprecht, um ihnen die vereinbarte Orientierung zu geben; inwieweit Ihr bereit seid, wenn nötig, Eure Tätigkeit außerhalb des Hauses zu beschränken, um Euch mehr um die Familie zu kümmern, die immer! das beste Geschäft ist, wie der heilige Josefmaria versicherte. Erleichtert Eurem Ehepartner die Erfüllung seiner Pflichten als Christ, wie den Besuch der heiligen Messe oder die Möglichkeit zur Weiterbildung im Glauben, und das besonders, wenn die Kinder noch klein sind. Sucht angemessene Lösungen und seid sicher, daß alle Anstrengung und jedes Opfer der ganzen Familie zugute kommt.

In den voraufgehenden Abschnitten habe ich mich in besonderer Weise an die Verheirateten gewandt, aber ich möchte betonen, daß diese Verpflichtungen und die wesentlichen Elemente meiner Ratschläge auf alle zutreffen, denn wir alle – jede und jeder in seinen persönlichen Umständen – haben die Verantwortung, im eigenen Umfeld eine wirkliche Familienatmosphäre zu schaffen und zu erhalten. Was tust Du für die anderen, wie wächst Du über Dich hinaus? Mit welchem Einsatz vermittelst Du den anderen Frieden und Freude? Wie zeigst Du deine bedingungslose Einsatzbereitschaft? Wie pflegst Du das brüderliche Verhalten und die familiäre Atmosphäre im Betrieb, in der Werkstatt, im Büro, in Zeiten der Erholung?

Beim Schreiben dieser Zeilen denke ich andererseits ganz speziell an die Arbeit meiner Töchter in der hauswirtschaftlichen Verwaltung unserer Zentren. Gerade weil Ihr eine ähnliche Arbeit wie Maria im Haus von Nazaret verrichtet, könnt Ihr viel dazu beitragen, daß jeder einzelne, jedes Zentrum, jede apostolische Arbeit, das ganze Werk und selbst die Gesellschaft gut läuft. Welch großen Einfluß hat Euer verborgener und stiller Dienst, mit dem Ihr die Atmosphäre einer christlichen Familie schafft.  

Bei zwei Gelegenheiten, für die ich Gott dankbar bin, habe ich einen Einblick in diese wunderbare Familie des Werkes tun dürfen. Vor vierzehn Tagen war ich in Mailand und vorgestern bin ich von Berlin zurückgekehrt. Beide Aufenthalte haben mich an das Leben unseres Vaters erinnert, der „möchte“, daß wir alle zu jeder Stunde „Familie schaffen“. 

Nehmen wir unsere Zuflucht oft zur Mutter der Kirche und des Werkes, damit sie uns lehrt, überall die Ideale der christlichen Familie zu verbreiten, die verschiedene praktische Konsequenzen haben, die not tun. Wenn sie ab und zu Opfer verlangen, dann vergessen wir nicht, daß sie auch eine unerschöpfliche Quelle der Freude darstellen, der Freude dessen, der nicht an sich denkt, sondern sich um Gottes willen gerne und großzügig für die anderen verausgabt, wie es Christus getan hat. 

Betet weiter viel für meine Anliegen. Gott hat gewollt, daß ich der Vater dieser übernatürlichen Familie des Werkes bin. Ich allein vermag nichts; gestützt auf meine Töchter und Söhne werde ich mit der Gnade Gottes alles vermögen: „omnia possum in eo, qui me confortat“[12]. Denkt in Eurem Gebet vor allem an die Numerarier, die am 26. Mai in Rom zu Priestern geweiht werden. Bittet Gott, er möge sie sehr heilig machen, so daß sie sich ganz und gar in den Dienst ihrer Brüder und Schwestern und aller Menschen stellen.

Und betet noch viel mehr für Benedikt XVI., den gemeinsamen Vater aller Christen, den Stellvertreter Christi in der Kirche, dieser großen Familie Gottes auf der Erde. 

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[1] Apg 2, 42

[2] Apg 4, 32

[3] Apg, 4, 31.33

[4] Mt 12, 49-50

[5] Das Leben Mariens, dem hl. Maximus dem Bekenner zugeschrieben, Nr. 95 („Marianische Texte des ersten Jahrtausends“, Bd. II, S. 259)

[6] Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 139

[7] Ebd. [8] Benedikt XVI., Ansprache beim Weltfamilientreffen, 8.7.2006

[9] Ebd. [10] Katechismus der Katholischen Kirche, Kompendium, Nr. 350

[11] Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Beisammensein, 4.6.1974 („Ein helles und frohes Zuhause“, S. 26)

[12] Phil 4, 13