Lob der Großeltern

Zum Gedenktag der heiligen Anna und Joachim am 26. Juli

Willem van Herp: Joachim und Anna (Ausschnitt)

Die Volksfrömmigkeit hat den Eltern unserer Lieben Frau einen Ehrenplatz zugewiesen. Dem frommen Empfinden macht es nichts aus, dass deren Namen erst im 2. Jahrhundert auftauchen. Vor allem die Verehrung der hl. Anna ist mit schönen Legenden verbunden. Am bekanntesten ist die Episode von "Mariä Tempelgang" oder „Mariä Opferung", die in die Liturgie aufgenommen worden ist und im römischen Missale In Praesentatione beatae Mariae Virginis heißt. Joachim und Anna bringen das dreijährige Kind in den Tempel nach

Jerusalem, damit sie unter Tempeljungfrauen erzogen wird. Die Kunst hat mit liebenswerten Bildern den Augenblick dargestellt, da das Kind die Stufen der großen Treppe vor dem Gotteshaus emporsteigt - allein und ohne sich umzudrehen, zuweilen mit einer Kerze in der Hand. Unten bleiben die Eltern zurück, oben empfängt sie der Hohepriester. Manchmal hat der Maler in einem Nebenraum die Tempeljungfrauen gemalt, während sie an einem vielfarbigen Vorhang für den Tempel weben. Maria - so die Legende weiter - habe den Auftrag gehabt, die purpurfarbene Wolle zu weben.

Anna und Joachim sind ganz im Alten Bund beheimatet. Sie stehen in der Tradition der Urväter, zu denen Gott viele Male und auf vielerlei Weise gesprochen(Hebr 1,1) hat und voll Glauben gestorben sind, ohne das Verheißene erlangt zu haben. (Hebr 11,13). Und sie stehen zugleich an der Schwelle zum Neuen Bund. Sie überschreiten diese sogar ein wenig, wie Elisabeth und Zacharias, Simeon und Hanna und Johannes der Täufer. Denn sie gehören zu jenen, die Jesus selig nannte,denn eure Augen sehen und eure Ohren hören. (Mt 13, 16-17)

Dürfen wir es wagen, die Eltern Mariens „die Grosseltern Jesu“ zu nennen? Die Grosseltern unseres Herrn und Heilands Jesus Christus... Es klingt ungehörig, fast anstößig... Das Unbehagen mag in unserem Unvermögen wurzeln, das Unfassbare vom „Verbum caro factum est - Das Wort ist Fleisch geworden“ als eine Realität voller irdischer Konsequenzen einzuordnen. Joachim und Anna werden dieses Unbehagen nicht gespürt haben. Sie werden sich gefreut, aber nicht gestaunt haben. Denn natürlich war der Sohn ihrer Tochter Maria einfach ihr Enkelkind.

In der Kunst und in Andachtsbildern ist die Anna-Selbdritt Darstellung bekannt. Manchmal sitzen die kindhaft kleine Maria und das ebenso kleine Jesuskind auf dem Schoß der Anna. Andere Male - weniger naiv und mehr die Altersunterschiede beachtend - unterweist Anna - oft mit Kopftuch - eine mädchenhafte Maria mit offenem Haar und schaut auf das Jesuskind. Anna erzieht ihre Tochter. Und auch hier erreicht uns ein Anflug Unbehagen: Maria als erziehungsbedürftiges Kind?

Wie viele Anregungen stecken in dieser Selbstverständlichkeit! Marias Kopf und Herz waren ganz auf Gott gerichtet. Aber sie hat die Erziehung in der Familie nötig gehabt. Joachim und Anna haben ihr die Geschichte des Volkes Israel erzählt, seine Traditionen gedeutet, die Hoffnung auf den Messias entflammt, das Familiengebet und das persönliche Beten beigebracht, die Gebote des Dekalogs erklärt.

Die Eltern Marias wußten natürlich nichts von der besonderen Begnadung ihrer Tochter. Aber sie werden in den Gesichtszügen ihres Kindes schon einige Züge des Magnificat widergespiegelt gesehen haben, das Empfinden für die Durchsichtigkeit der Schöpfung auf den Schöpfer hin: Anmutig beim Spielen, staunend beim Betrachten der Tiere und Pflanzen, gesammelt beim Arbeiten, freudig beim Gehorchen, allen zugewandt.

Jahre später werden Anna und Joachim zurücktreten, wenn die junge Mutter ihre ersten Erfahrungen als solche sammelt. Aber der erzieherische Auftrag von Marias Eltern ist nicht zu Ende. Sie entdecken ein neues Charisma: Grosseltern sein. Sie werden nach und nach Gemeinsamkeiten wie Unterschiede von Elternschaft und Großelternschaft entdeckt haben.

Heute droht die Gestalt echter Großeltern zu schwinden. Die Traditionen werden brüchig, heidnische Verhaltensmuster setzen sich durch, Massenmedien dringen ein in den Raum, der früher dem Familienleben gehörte und verbreiten Auffassungen über Leben, Familie, Religion, Sittlichkeit, ohne Gespür für Menschenwürde. Diese fragwürdigen Verhaltensmuster - und nicht das christliche Bild der Familie - gelten heute in der Öffentlichkeit als „das Normale“.

Da gilt es, das neue Charisma zu entdecken – wie Joachim und Anna – und an andere weiterzugeben. Dies kann ein erster Schriit sein, um andere zu ermuntern, verschüttete Reichtümer an Menschlichkeit und Glaubenssinn weiterzugeben.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Joachim und Anna als die wahren Ikonen großelterlicher Fülle. Lassen wir deren Gedenktag in ein Lob der Großeltern einmünden - der Großeltern Jesu und unserer eigenen Großeltern.

Eine Betrachtung von Josef Arquer