Dr. med. Otto Hermanns †

Zwei Nachrufe auf den Essener Suchttherapeuten

Am 12. März 2011 ist in Essen der zuletzt 97-jährige Mediziner, Psychiater und Suchttherapeut Dr. Otto Hermanns verstorben. Hermanns wurde 1952 Chefarzt des Kamillushauses, einer Fachklinik für Suchterkrankungen in Essen-Heidhausen. Er entwickelte dort einen gruppentherapeutischen Ansatz speziell für Suchtpatienten, integrierte in diesen multimodalen Therapieansatz erstmals auch Sozialarbeiter und bezog die Familien sowie weitere Personen aus dem engeren Umfeld von Suchterkrankten in deren Psychotherapie mit ein.

Darüber hinaus wirkte Dr. Hermanns im Consilium St. Lukas, der Pastoralpsychologischen Beratungsstelle des Bistums Essen für Seelsorger mit Suchtproblemen sowie als Berater in psychiatrisch-psychotherapeutischen Fragestellungen für den Sozialdienst katholischer Frauen.

Dr. Otto Hermanns hat sich stets für den Gesamtbereich der Psychotherapie engagiert, insbesondere für die Psychoanalyse. Er war Gründungsmitglied der Lindauer Psychotherapiewochen, die jährlich über zwei Wochen in Lindau stattfinden und die an die 3000 Psychotherapeutinnen und -therapeuten aus den deutschsprachigen Ländern anziehen. Hier hielt Dr. Hermanns Theorieseminare, förderte das Autogene Training und unterrichte in Gruppenpsychotherapie.  

Der Buchautor Otto Hermanns erhielt für sein besonderes Engagement als Mensch und Arzt das Bundesverdienstkreuz, den Päpstlichen Gregoriusorden sowie den silbernen Brotteller der deutschen Caritas. 

Hermanns war stets der anthropologisch-ganzheitliche Ansatz wichtig. Auch wenn er überwiegend analytisch arbeitete, stand er Freuds triebtheoretischem Ansatz ablehnend gegenüber, den er für reduktionistisch hielt. Die transzendentale sowie existenzialtherapeutische Ebene menschlichen Erlebens integrierte Hermanns in sein therapeutisches Wirken.  

Seinen Patientinnen und Patienten gegenüber zeichnete er sich durch eine zutiefst menschliche Haltung aus. Hermanns war stets warmherzig und humorvoll, offen und liberal. Seine ruhige, geduldige und souverän therapeutische Art spiegeln Sätze wie diese treffend wider: „Warten wir es ab; machen Sie sich keine Sorgen; wir werden die Hintergründe mit der Zeit verstehen.“ Oder: „Sie brauchen in ihrem Leben auch eine geistige Heimat.“ Dabei wusste Dr. Hermanns die Freiheit seiner Patientinnen und Patienten stets zu achten. Und er verfügte über eine tief bescheidene, therapeutische Gabe: Über lange Phasen der Behandlung vermochte er einfach zu zuhören. 

So wurde Otto Hermanns für zahlreiche Menschen mehr als ein Psychotherapeut: Viele erlebten ihn als einen ärztlich seelsorgenden Ratgeber und Begleiter während des therapeutischen Prozesses und nicht selten darüber hinaus. Bis in sein hohes Alter behandelte Hermanns Menschen, die sich mit einer psychischen Problematik an ihn wandten.

Um den Verstorbenen trauern Menschen seiner Wahlheimatstadt Essen, seine ehemaligen Patientinnen und Patienten, Angehörige und Freunde des Opus Dei in der ganzen Bundesrepublik sowie die Mitglieder vom Unitas-Studenten- und Altherrenverband. Otto Hermanns wurde auf dem Bergfriedhof in Heidhausen beigesetzt.

von Josef Arquer, Berlin 

Im hohen Alter von 97 Jahren starb am 12. März 2011 in Essen Dr.med. Otto Hermanns. Ende der sechziger Jahre, in einem Alter, in welchem ein Mensch seine Lebensentscheidungen für gewöhnlich längst getroffen und seine Grundansichten festgemacht hat, besaß er die Sensibilität, für sich eine Spiritualität zu entdecken, die den Beruf als Teil der Tauf-Berufung auf Heiligkeit hin in die Mitte stellt: den Geist des Opus Dei. Am 11. März 1969 beantragte Hermanns die Aufnahme in das Werk. Nun ging er seinen persönlichen Weg als Christ, Familienvater und Arzt auf in diesem gebahnten Weg in der Kirche weiter und folgte ihn bis zum Tode im reifen Bewusstsein seiner Gotteskindschaft. 

Otto Hermanns hatte einen weiten Kreis von Freunden und Bekannten. Als Psychiater hatte er sich auf die Suchttherapie spezialisiert. Er verstand es, die erforderliche Distanz des Therapeuten zu verbinden mit einer Anteilnahme für den konkreten Patienten, die unter einem ausgeprägten Respekt für die Eigenart und Freiheit jedes Menschen zugleich stets auf das Apostolisch-Christliche bezogen war.

Otto Hermanns hatte ein feines Gespür dafür, wann seine ärztliche Aufgabe auf Grenzen stieß, die der betreffende Patient nicht mehr mit seiner, sondern mit priesterlicher Hilfe überschreiten konnte. In solchen Situationen gab er der Patientin oder dem Patienten zarte Hinweise auf solche Möglichkeiten. Dem entsprach andererseits, dass Hermanns in seinem Umfeld ein gutes Einvernehmen mit Priestern pflegte, die Gespür für die Probleme hatten. Sein eigenes Gespür für Distanz und Zusammenarbeit machte ihn zu einem gesuchten Berater etlicher psychologisch-psychiatrischer Fachinstitutionen. 

Ein enger Freund, durch den Dr. Hermanns das Opus Dei entdeckt hatte, und mit welchem er jahrelang im geistlichen Kontakt stand, wunderte sich, als er im Nachruf der Essener Kirchenzeitung von den zahlreichen Ehrungen las, die Hermanns im Laufe seines langen Lebens erfahren hatte. Dieser selbst hatte nie ein Wort darüber fallen lassen. Otto Hermanns hörte viel und sprach wenig, oft sentenzenhaft und manchmal auch pointiert in seinen Wertungen, wie er bereitwillig zugab. Solcher Freimut hatte sicher mit der Unbefangenheit eines Kindes zu tun – eines Gotteskindes, das in die volle Gemeinschaft mit Gott gerufen ist. Auf dem Weg dorthin ist er nun seiner vor vielen Jahren im Heiligen Land verstorbenen Frau gefolgt.

von Bernward Michalski auf der Basis eines Beitrags im Ruhrwort, Essen vom 26.03.2011