Die Verklärung des Herrn ist ein Wetterleuchten der Auferstehung

War die Verklärung auf dem Berg ein reales Geschehen und wenn ja, was hat der Herr den Christen damit sagen oder zeigen wollen? Eine Annäherung an den Inhalt des Festes „Verklärung“, das liturgisch in diesem Jahr die regulären Lesungen vom Sonntag im Jahreskreis verdrängt, von Dr. Thomas Schauff.

Wir sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft
unseres Herrn Jesus Christus kundtaten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe“-
schreibt der heilige Petrus in seinem zweiten Brief, der etwa 52 nach Christus verfasst wurde und fährt fort: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.“ (2 Petr 1,16ff) Was wir am 6. August feiern, beruht auf einer Tatsache. Es sind keine fabulae (Fabeln) beziehungsweise μύθοι (Mythen). Petrus, Jakobus und Johannes waren Augenzeugen dieses geheimnisvollen Geschehens:

Was der Evangelist Matthäus von der Verklärung berichtet

In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, es erschienen ihnen Mose und Elíja und redeten mit Jesus. Und Petrus antwortete und sagte zu Jesus: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elíja. Noch während er redete, siehe, eine leuchtende Wolke überschattete sie und siehe, eine Stimme erscholl aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, warfen sie sich mit dem Gesicht zu Boden und fürchteten sich sehr. Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf und fürchtet euch nicht! Und als sie aufblickten, sahen sie niemanden außer Jesus allein. Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemandem von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferweckt ist! (Mt 17, 1–9)

Ist die Verklärung empirisch feststellbar oder ein mystisches Geschehen?

Wenn Gottes Allmacht in dieser seiner Welt, die Er geschaffen hat, aufstrahlt, dann versagen Empirie und naturwissenschaftliches Knowhow. Ist es deswegen weniger wirklich? Darf Gott nur wirken, wie es unseren Vorstellungen und Erfahrungen entspricht? Kann Sein Wirken experimentell verifiziert werden? Wir sind gewohnt, dieses Ereignis die „Verklärung" Christi zu nennen, aber streng genommen spricht kein Evangelist von einer Verklärung. Matthäus redet von einem „Umgestaltet-Werden“ (Metamorphose oder lateinisch „Transfiguratio“) des Herrn. Die drei auserwählten Apostel sind Zeugen dieses geheimnisvollen, mystischen Geheimnisses. Kann man das heute, etwa 300 Jahre nach der Aufklärung, noch glauben? Was würden Philosophen wie Immanuel Kant dazu sagen?

Der Verstand sagt, dass es Wirklichkeiten gibt, die mit den Sinnen nicht erfassbar sind.

Eine kurze Reflexion über das Erkennen kann helfen. Der Mensch benutzt seine Sinne, um die Umwelt wahrzunehmen: er hat Augen, Ohren, Geruchssinn, Tastsinn, Geschmackssinn, undsoweiter. Menschen haben auch einen Verstand, der fleißig gebraucht werden sollte, denn dazu ist er da! Dieser Verstand sagt, dass es auch Wirklichkeiten gibt, die man nicht mit den Sinnen erfassen kann. Die Aussage mancher Zeitgenossen: für mich gibt es nur das, was ich sehe, ist unterbelichtet. Den Verstand zum Beispiel kann man nicht sehen – doch gibt es ihn! Bei der Verklärung des Herrn wurden die Apostel Zeugen eines mystischen Geschehens. Die Mystik ist zunächst eine Herzensangelegenheit, der Verstand kommt auch ins Spiel, aber erst an zweiter Stelle. Darin liegt das Wesen der Mystik begründet.

Was bietet der Bericht des Matthäusevangeliums?

Hätte Petrus uns in wissenschaftlichen Kategorien erklären können, was er erlebt hat? Sicher nicht! Was würde er auf die Frage antworten: ist das denn überhaupt wirklich geschehen? „Dafür leg ich meine Hand ins Feuer!“ oder eine ähnliche Formulierung. Wie gesagt: es geht um ein mystisches Ereignis. Was sich durch »Mystik« an Wirklichkeit erschließt, ist nichts Krankes, nichts bloß Privates oder Eingebildetes, sondern etwas Objektives, das freilich weder allgemein zugänglich noch objektiv nachprüfbar oder auf Knopfdruck wiederholbar ist. Mystik geht von der begründeten Annahme aus, dass die Wirklichkeit umfassender ist als sie (natur-)wissenschaftlich feststellbar ist. Mystik ist die Definition der Welt unter Einschluss der Existenz Gottes und der Annahme der Möglichkeit von Interaktion mit allen »Personen« und Mächten der unsichtbaren Welt.

Mystik ist der Kontakt mit der unsichtbaren Welt Gottes

Mystik geschieht Tag für Tag millionenfach, wenn Menschen beten, an Erhörung der Gebete glauben, wenn sie sich im Leben geführt, geschützt und getröstet wissen. Mystik nennt man den Kontakt mit »Personen« der unsichtbaren Welt Gottes, hier bei der Verklärungsszene in der klassischen Gestalt der drei Stadien: Vision, Zwischenszene mit Betonung der Unbegreiflichkeit und Audition. Es ist unmöglich Jesus unter Ausschluss der mystischen Dimension gerecht zu werden – weil Jesus Sohn Gottes ist, gehört er nach dieser Seite seines Wesens zur himmlischen Welt. Und so brach – mystisch betrachtet – aus Jesu Leib auch zeit seines Erdenlebens immer wieder einmal die göttliche, das heißt die verwandelte Leibhaftigkeit hervor, so etwa auch beim Gehen auf dem Meer.

Es gibt keine vorliegende Erfahrung für die Verklärung

Die Verklärung ist keine physikalisch reproduzierbare Realität. Eine Webcam hätte das geheimnisvolle Geschehen nicht aufgezeichnet. Es war eine Erfahrung in Raum und Zeit, aber an deren Rande, denn mit Mitteln der Kausalität ist dieses Geschehen nicht zu erklären.[1] Wo erstrahlt im bescheidenen Leben des Christen die göttliche Wirklichkeit? Beim Beten. Im Betrachten des Wortes Gottes rührt der Beter an die göttliche Wirklichkeit selbst und glaubt nicht mehr bloß »aus zweiter Hand«. Mit Bernhard von Clairvaux kann man natürlich sagen, dass es immer nur „ein kurzer Augenblick ist“. Es bleibt in diesem Leben nur Vorgriff, und es darf auch nicht zum Selbstzweck werden. Denn dann würde Glaube zum Selbstgenuss statt zur Selbstüberschreitung. Solche Augenblicke sind die „Taborerfahrung“ des Christen. Sie sind nicht ein Ort des Bleibens, sondern der Ermutigung, Stärkung, um neu mit dem Wort Jesu Christi in den Alltag hineinzugehen und um zu begreifen, dass der Lichtkegel der göttlichen Nähe da ist, wo das Gehen mit dem Wort stattfindet.[2]

Die drei Jünger werden vom „Gotteschrecken“ erfasst

Abschließend folgt ein Blick auf die drei Zeugen und natürlich auf den Herrn. Da heißt es, dass Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite nahm und sie auf einen hohen Berg führte, nur sie allein. Den dreien wiederbegegnen auf dem Ölberg in der letzten Angst Jesu als dem Gegenbild zur Verklärung, beides doch untrennbar zusammenhängend.[3]

Die drei Jünger sind von der Größe der Erscheinung erschüttert: Der »Gottesschrecken« ergreift sie, wie wir es in anderen Augenblicken gesehen haben, in denen sie die Nähe Gottes in Jesus erfahren, ihre eigene Erbärmlichkeit empfinden und von Furcht geradezu gelähmt werden. „Eine leuchtende Wolke überschattete sie und siehe, eine Stimme erscholl aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“. Die heilige Wolke, die Schechina, ist das Zeichen der Gegenwart Gottes selbst. Die Wolke über dem Offenbarungszelt zeigte Gottes Gegenwart an. Jesus ist das heilige Zelt, über dem die Wolke der Gegenwart Gottes steht und von dem aus sie nun auch die anderen »überschattet«. Die Szene der Taufe Jesu wiederholt sich, in der der Vater selbst Jesus aus der Wolke heraus als Sohn proklamiert hatte: „Du bist mein Sohn, der Geliebte. An dir habe ich Wohlgefallen“.

Matthäus hat wohl von Petrus die Ereignisse auf dem Tabor erfahren

Wie konnte der heilige Matthäus den Bericht verfassen? Er wird es von Petrus, Jakobus und Johannes gehört haben. Gerade der Evangelist Matthäus wird in der Folge Ernst mit der Botschaft der Verklärung machen, dass Jesus der einzige Lehrer ist, so etwa in Mt 23, 8 und Seine Worte sollen die Jünger an die Heidenvölker weitergeben (Mt 28,20). Er ist die maßgebliche Autorität für die Auslegung der gesamten Schrift, und zwar in Person. Auf Sein Wort sollen die Jünger hören.[4]

Wie bewegend ist die Szene, da Jesus die drei Apostel anfasst und ihnen sagt: Ihr braucht euch nicht zu fürchten. Ich bin es. Ich bin kein Geist. Ich bin der Jesus, den ihr schon seit geraumer Zeit kennt und den ihr begleitet. Ich war mit euch bei der Hochzeit zu Kana. Wir haben gemeinsam bei Matthäus gespeist. Ihr seid Zeugen der Verklärung, damit ihr angesichts meines Leidens und Sterbens, das kurz bevorsteht, nicht den Glauben verliert.

Tabor ist das Unterpfand der Auferstehung

Das Geschehen am Tabor ist das Wetterleuchten der kommenden Auferstehung. Es ist Unterpfand unserer eigenen Auferstehung. Auch zu jedem Christen soll dieses Leben kommen. Als Erlöste hat der Christ Teil am Leben Christi. Wir sind für das ewige Leben geschaffen. „Ewig“ meint nicht bloß „ohne Ende“. „Ewig“ bestimmt keine Dauer, es meint das „himmlische Leben“, die Teilnahme am Leben Gottes.[5] Erneut mit einer Passage aus dem zweiten Petrusbrief endet die heutige Meditation. Petrus schreibt: In Jesus Christus hat Gott uns die kostbarsten und größten Verheißungen zum Geschenk gemacht. Durch sie sollt ihr der göttlichen Natur teilhaftig werden (2 Petr 1,4).
Der Kommentar des heiligen Josefmaria mag uns in die kommende Woche begleiten. Eine solche Teilhabe am Göttlichen bedeutet nicht, dass wir aufhörten, menschlich zu sein... Wir bleiben Menschen, ja: aber Menschen, die vor der schweren Sünde zurückschrecken; Menschen, die auch lässliche Sünden verabscheuen, Menschen, die jeden Tag zugleich mit der eigenen Schwäche die Stärke Gottes erfahren. Und so wird uns nichts aufhalten können: weder Menschenfurcht noch Leidenschaften, noch der Hochmut, noch... das Alleinsein[6].

[1] Vgl. Klaus Berger, Jesus

[2] Vgl. Ratzinger in: JRGS 9/1 S.100

[3] Vgl. Jesus von Nazareth in: JRGS 6/2

[4] Vgl. Berger, Kommentar zum Neuen Testament

[5] Vgl. Guardini, Der Herr

[6] Der Kreuzweg, 6. Station

Thomas Schauff