Betrachtungstext: 8. September - Fest Mariä Geburt

Freude über die Geburt Mariens. - Das Meisterwerk der Schöpfung. - Gott ist treu und hält, was er verspricht.

"VOLL FREUDE feiern wir das Geburtsfest der Jungfrau Maria, aus ihr ist hervorgegangen die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott".1 Mit diesen Worten beginnt die Eucharistiefeier dieses Festes. So wie die Morgenröte bei jedem Sonnenaufgang das Kommen eines neuen Tages ankündigt, so ist die Geburt der Mutter Gottes "die Morgenröte des Heils und das Zeichen der Hoffnung".2 Mit der Geburt Marias steht die Erlösung bereits unmittelbar bevor. Von Generation zu Generation warteten die frommen Israeliten auf das Kommen der Mutter des Messias; sie warteten, wie der Prophet Micha prophezeite, "bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren hat" (Micha 5,2).

"Vielleicht können wir besser verstehen, was die Geburt der Jungfrau für die Menschheit bedeutet, wenn wir den Zustand eines Gefangenen betrachten. Die Tage eines Gefangenen sind lang, endlos... Er zählt die Minuten der letzten Nacht, die er im Gefängnis verbringt. Dann endlich öffnen sich die Türen: Die lang ersehnte Stunde der Freiheit ist gekommen! Diese endlosen Minuten, eine nach der anderen gezählt, erinnern uns an die Seiten des Evangeliums über die Genealogie Jesu. Ein Name folgt dem anderen in Monotonie (...). Bis schließlich die von Gott gewollte Stunde eingeläutet wird: Es ist die Fülle der Zeit, der Beginn des Lichts, die Morgenröte des Heils: "Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von der Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird" (Mt 1,16).3

Dieses marianische Fest ist eine Einladung zur Freude. Wie der Psalmist sagt: "Mein Herz soll über deine Hilfe jubeln" (Ps 13,6). Zum Gedenken an Marias Geburtstag ruft ein Kirchenvater aus: "Die ganze Schöpfung soll sich freuen (...) und alles, was in der Welt und über der Welt ist, soll sie mit Freude feiern. Heute ist in der Tat das Heiligtum des Schöpfers aller Dinge errichtet worden, und die Schöpfung ist auf eine neue und würdigere Weise bereit, den höchsten Schöpfer zu empfangen".4

MARIA WURDE geboren, um durch ihren großzügigen Willen die Mutter des Erlösers zu werden. Sie war ein Schlüsselelement in Gottes Plan zur Rettung der Menschheit. Jahrhundert um Jahrhundert bereitete der Herr die Männer und Frauen ihres Stammbaumes behutsam vor. Vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an hat er sie auf wunderbare Weise geheiligt, indem er sie "voll der Gnade" (Lk 1,28) machte; sie wurde durch göttliches Vorrecht unbefleckt geboren, um die Mutter des Sohnes Gottes zu sein. Auch wenn es keiner ihrer Mitbürger bemerkt hat, "ist es dieses Kind, das noch klein und zerbrechlich ist, diese "Frau" der ersten Verkündigung der zukünftigen Erlösung, die Gott der verführerischen Schlange entgegenstellt (vgl. Gen 3,15)".5

Daher können wir, wie es die Heiligen im Laufe der Jahrhunderte wiederholt haben, ohne Angst vor Übertreibung sagen, dass dieses "Kind" das Meisterwerk der Schöpfung ist, das schönste aller Geschöpfe. Der heilige Johannes von Damaskus weist zum Beispiel darauf hin, dass "er, der einst das Firmament von den Wassern trennte und es in die Höhe erhob, heute auf der Erde einen Himmel irdischer Natur geschaffen hat, und dieser Himmel ist bei weitem göttlich prächtiger als der erste".6

Die Jungfrau ist das liebste Geschöpf Gottes, die Pforte, durch die er auf diese Erde kommt. Doch obwohl sie von der Dreifaltigkeit zu einer höchst erhabenen Aufgabe vorherbestimmt wurde, wollte Gott Marias freie Antwort abwarten. “Betrachten wir nun den erhabenen Augenblick, da der Erzengel Gabriel Unserer Lieben Frau den göttlichen Ratschluß verkündet. Unsere Mutter hört und fragt dann, um ganz zu verstehen, was der Herr von ihr will. Gleich darauf dann die entschiedene Antwort: fiat! (Lk 1,38) ‒ Mir geschehe nach deinem Wort! ‒ als die Frucht der höchsten Freiheit: der Freiheit, sich für Gott zu entscheiden”.7

VERBUNDEN MIT der Freude über die Nachricht von ihrer Geburt unterstreicht die Liturgie die Vorsehung des Herrn für uns. Er bietet uns seine Fürsorge während unserer gesamten persönlichen Geschichte und als Volk Gottes an. Er überlässt uns nicht unserem Schicksal. "Dieses Fest erinnert uns daran, dass Gott seinen Verheißungen treu ist und dass er durch Maria, die Heiligste, unter uns wohnen wollte".8 Der Stammbaum Jesu Christi, den wir im Evangelium lesen, ist nicht nur eine einfache Liste von Namen, die mit Abraham beginnt und mit Jesus endet, sondern hat eine tiefere Bedeutung. In diesem Bericht finden wir leuchtende Gestalten, wie die Patriarchen, die der Stimme Gottes treu waren; aber wir finden unter diesen Namen auch dunkle Geschichten, Menschen, die sich schlecht verhalten haben.

Aus diesem Abschnitt geht einmal mehr hervor, wie der heilige Josefmaria sagt: "So wie wir Menschen mit der Feder schreiben, schreibt unser Herr mit dem Tischbein, so dass man sieht, dass er es ist, der schreibt: das ist das Unglaubliche, das ist das Wunderbare".9 Für Gott gibt es keine Sackgassen. Obwohl Gott unsere Freiheit immer respektiert "weiß er doch, in unserem Versagen neue Wege seiner Liebe zu finden. Gott scheitert nicht. So ist dieser Stammbaum eine Gewähr für Gottes Treue; eine Gewähr dafür, daß Gott uns nicht fallen läßt, und eine Einladung, unser Leben immer neu nach ihm auszurichten, immer neu auf Jesus Christus zuzugehen".10

Maria zu betrachten bedeutet, uns in dem Beispiel zu sehen, das Gott selbst uns gegeben hat. In den Rosenkranzlitaneien rufen wir sie als "treue Jungfrau" und "Ursache unserer Freude" an: Wir können sie an ihrem Geburtstag bitten, uns zu helfen, glücklich zu sein, indem wir jeden Tag den immer neuen Plänen Gottes treu sind.


1 Eröffnungsvers.

2 Schlussgebet.

3 Joseph Ratzinger, El Rostro de Dios, ed. Sígueme, Salamanca, 1983.

4 Hl. Andreas von Kreta, Rede 1, PG. 97, Nr. 806-810.

5 Hl. Johannes Paul II., Homilie, 8-IX-1980.

6 Hl. Johannes von Damaskus, Predigt zu Mariä Geburt, PG 96, Nr. 661f.

7 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 25.

8 Papst Franziskus, Generalaudienz, 8-IX-2021.

9 Hl. Josefmaria, Meditación, 2-X-1962.

10 Benedikt XVI., Homilie, 8-IX-2007.