Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Sonntag (A)

Das ewige Leben beginnt in diesem Leben – Mit der Gabe der Erkenntnis Gott in der Schöpfung sehen – Alles in Christus wiederherstellen

DAS HEUTIGE EVANGELIUM versetzt uns noch einmal zurück in den Abendmahlssaal, wo sich Jesus im hohepriesterlichen Gebet in Gegenwart der Jünger an seinen Vater wendet. Die erste Bitte, die der Herr ausspricht, gilt ihm selbst: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht! (Joh 17,1). Papst Benedikt erklärt, dass dies mehr als eine Bitte ist, nämlich „die Erklärung der vollen Bereitschaft, frei und großherzig in den Plan Gottes, des Vaters, einzutreten, der durch seine Auslieferung, seinen Tod und seine Auferstehung erfüllt wird“. Und der Papst führt uns noch weiter in die Tiefe: „Diese Bereitschaft und diese Bitte sind der erste Moment des neuen Priestertums Jesu: Es ist die völlige Selbsthingabe am Kreuz, und gerade am Kreuz – dem Akt der höchsten Liebe – wird er verherrlicht, denn die Liebe ist die wahre Herrlichkeit, die göttliche Herrlichkeit.“1 Weshalb er die Passion auf sich nehmen wollte, beantwortet Christus selbst: Damit er allen, die der Vater ihm gegeben hat, ewiges Leben schenkt.Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus (Joh 17,2-3). Papst Benedikt erläutert auch dieses Wort Christi: „,Ewiges Leben‘ ist nicht – wie der moderne Leser wohl unmittelbar denkt – das Leben, das nach dem Tode kommt (…). ,Ewiges Leben‘ ist das Leben selbst, das eigentliche Leben, das auch in dieser Zeit gelebt werden kann und dann durch den physischen Tod nicht mehr angegriffen wird, (…), das durch nichts und niemand mehr zerstört werden kann.“2 Dieses „ewige Leben“ wird, wie Jesus sagt, durch Erkenntnis gewonnen, nämlich durch die Erkenntnis von Gott Vater und Gott Sohn. Da Erkennen im biblischen Sinn das Eins-Werden mit dem Erkannten meint, kann Papst Benedikt sagen, dass „ewiges Leben“ ein „Beziehungsereignis“ (ebd.) darstellt.

Die zweite Lesung eröffnet uns die Möglichkeit, durch die Annahme von Kreuz und Leid an der Verherrlichung Gottes teilzuhaben. So empfiehlt Petrus demjenigen, der leidet, weil er ein Christ ist, Gott darin verherrlichen (1 Petr 4,16), und sich darüber freuen, Anteil an den Leiden Christi zu haben (vgl. 1 Petr 4,13). Der heilige Josefmaria hat immer wieder neuen Worten dafür geworben, die kleinen Alltagsopfer hoch zu schätzen und freudig anzunehmen: „Verbinden wir die Kleinigkeiten, die wir zu tragen haben – die kleinen wie die großen Widrigkeiten –, mit dem grenzenlosen Leiden des Herrn, der sich opfert – er ist das einzige Opfer! Unsere geringfügigen Überwindungen gewinnen so an Wert, sie sammeln sich zu einem Schatz an, und wir werden dann das Kreuz Christi willig und großzügig auf uns nehmen. So wird jedes Leid nach kurzer Zeit überwunden. Weder Menschen noch Dinge können uns den Frieden und die Freude rauben.“3


DER HAGIOGRAPH beschließt jeden Schöpfungstag mit dem Kommentar: Gott sah, dass es gut war (Gen 1,10.12.18.21.25). Der Schöpfer selbst scheint darüber zu staunen, was seinen Händen entsprungen ist, und lädt uns ein, diese Schönheit zu bewundern und zu wahren. Die Schöpfung ist eine unschätzbare Gabe Gottes, ein Brief, den Gott an uns geschrieben hat. Im Licht des Heiligen Geistes lernen wir, seine unendliche Liebe zu uns darin zu lesen. Nach der Erschaffung des Menschen erhält der Kommentar eine Nuance: Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut (Gen 1,31). Die Heilige Schrift betont, dass der Mensch für Gott etwas Besonderes ist; in seiner Schönheit hebt er sich von der übrigen geschaffenen Welt ab. Mit der Gabe der Erkenntnis, die „nicht Erkenntnis im technischen Sinne ist, wie sie an der Universität gelehrt wird, sondern Erkenntnis im tieferen Sinne“4, wie Benedikt XVI. bei einer Begegnung mit Firmlingen erklärte, sehen wir alles, was uns umgibt ‒ vor allem die anderen Menschen ‒ als Gottes Werk, wir lernen „in der Schöpfung die Zeichen, die Spuren Gottes zu finden, zu verstehen, wie Gott zu jeder Zeit spricht, wie er auch zu mir spricht. Die Gabe der Erkenntnis befähigt uns, die Gegenwart und Majestät des Schöpfers in allem, was uns widerfährt, und in der ganzen Schöpfung aufzufinden.

So entdecken wir, wie Johannes Paul II. sagte, „die theologische Bedeutung der Schöpfung5. Über der Gabe der Erkenntnis drängt uns der Heilige Geist zum spontanen Lobgebet, das sich in Danksagungen und Hymnen, in Lobpreisungen und Psalmen ausdrückt. Der Lobpreis ist ein Gebet, das Gottes Größe anerkennt und preist. Ich schaue Gottes Güte im Land der Lebenden (Ps 27, 13), wiederholen wir heute im Kehrvers. „Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist“, beten wir mehrmals am Tag. Es ist wie das „Heilig, heilig, heilig“, das wir in der Heiligen Messe anstimmen, Ausdruck dieses Wunsches, den Schöpfer zu ehren.

Der Lobpreis ist im Buch der Psalmen besonders präsent, mit Liedern und Anrufungen, die das Volk Israel im Gottesdienst zu singen pflegte. Der Psalmist, ein Modell des christlichen Beters, singt angesichts der Schönheit des Geschaffenen von seiner Liebe zum Schöpfer: Herr, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde (Ps 8,2); die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und das Firmament kündet das Werk seiner Hände (Ps 19,2); lobt den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen (...). Lobt ihn, Sonne und Mond, lobt ihn, all ihr leuchtenden Sterne (Ps 148,1.3). Mit den Gaben des göttlichen Beistands erleben wir die Welt schöner und strahlender: Wir lernen, alles mit dankbaren Augen zu sehen und so zu lieben, wie Gott es liebt; wir entdecken die Spuren Gottes in jedem Wesen und wissen uns so von ihm begleitet.


SOBALD WIR die Größe der Schöpfung entdecken, lässt uns die Gabe der Erkenntnis nach Worten von Johannes Paul II. auch „den wahren Wert der Geschöpfe in ihrer Beziehung zum Schöpfer erkennen6. So hilft uns der Heilige Geist, zwischen den Dingen und Gott zu unterscheiden und die unendliche Distanz zu entdecken, die sie voneinander scheidet. Wir geraten daher nicht in die Versuchung, geschaffene Dinge zu Götzen zu machen, die uns von Gott trennen. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wir lieben die Welt, weil Gott sie gut gemacht hat, weil sie vollkommen aus seinen Händen hervorgegangen ist – auch wenn manche Menschen sie durch die Sünde manchmal hässlich und schlecht machen –, und weil es unsere Pflicht ist, sie Gott zu weihen, sie ihm zuzuführen, sie ihm zurückzugeben: in Christus alles im Himmel und auf Erden wiederherzustellen (vgl. Eph 1,10).“7

Wir haben gerade das Hochfest Christi Himmelfahrt begangen. Der Herr hat uns erlöst und ist aufgestiegen zur Rechten des Vaters. Davor hat er uns, seine Jünger, beauftragt, uns mit ihm zu vereinigen, in einem heiligen Leben, das alles heiligt, was es berührt, und den Vater daher gebeten: Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst (Joh 17,15). Er will uns an unserem Platz haben, in unserer Arbeit, inmitten der Gesellschaft, in der wir leben, „in der Welt, aber nicht von der Welt“8, wie es in einer der frühesten christlichen Schriften, im berühmten Brief an Diognet, heißt, um sie zu heiligen, zu verwandeln, um alles, was wir in Händen haben, Gott zu Füßen zu legen und, mit Worten des heiligen Josefmaria, „Christus zum Ziel allen menschlichen Tuns zu erheben“9.

Mit der Gabe der Erkenntnis haben wir die Möglichkeit, erklärte Papst Benedikt, „mit dem Evangelium die tägliche Arbeit zu beseelen (...) und so der Arbeit, auch der schwierigen Arbeit, Würze zu verleihen“10; diese Gabe wird uns helfen, alles nach dem Wunsch Gottes zu gestalten. Indem wir uns auf Maria, die Mutter des Schöpfers, besinnen, lernen wir, die Welt mehr zu lieben und die Hände zu preisen, die alles um uns herum geformt haben.


1 Benedikt XVI., Audienz, 25.1.2012.

2 Josef Ratzinger – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Teil II, S. 100f.

3 Hl Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 785.

4 Benedikt XVI., Ansprache, 2.6.2012.

5 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 23.4.1989.

6 Ebd.

7 Hl. Josefmaria, Briefe 23, Nr. 6.

8 Brief an Diognet, Nr. 6, zitiert in: Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 63.

9 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 59.

10 Benedikt XVI., Ansprache, 2.6.2012.

Foto: Tim Mossholder (unsplash)