Betrachtungstext: 6. Osterwoche – Samstag

Die Gabe der Frömmigkeit – Bittgebet ist Gottvertrauen – Die Frömmigkeit macht uns von Herzen sanftmütig

IN DER TRAUTEN Atmosphäre des Abendmahls führt Jesus die Apostel in die verborgenen Schätze des göttlichen Herzens ein, wenn er sagt: Der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich geliebt und weil ihr geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin (Joh 16,27). Geradezu zärtlich versichert Jesus ihnen wiederholt, dass Gott Vater sie genauso liebt wie er. Dabei ist seine Liebe so groß – er liebte sie bis zur Vollendung (Joh 13,1) – dass es ihn schmerzt, sie allein zurückzulassen, das heißt ohne die Wärme seiner Gegenwart: Ich bin vom Vater gekommen und in die Welt gegangen; jetzt verlasse ich die Welt wieder und gehe zum Vater (Joh 16,28).

Der Vater selbst liebt euch. Durch die Gabe der Frömmigkeit, die der Heilige Geist schenkt, wenn er in der Seele Wohnung nimmt, wächst das Vertrauen des Christen in die Liebe des göttlichen Vaters. Die Gabe der Frömmigkeit vervollkommnet die gleichnamige Tugend, die – mit Worten des heiligen Josefmaria – „ihre Quelle und Grundlage in der Gotteskindschaft hat“1. Die Gabe der Frömmigkeit erweckt in uns Lob und Dank. Papst Franziskus erklärt: „Wenn der Heilige Geist uns die Gegenwart des Herrn und all seine Liebe zu uns wahrnehmen lässt, erwärmt sich unser Herz und bewegt uns auf natürliche Weise zum Gebet und zur Feier.“2

So „verkosten“ wir unsere Identität als geliebte Söhne und Töchter. Die Frömmigkeit pflanzt jene kindliche Liebe in unser Herz, die uns das Gespräch mit Gott zum Bedürfnis werden lässt. „Schließlich durchdringt die Frömmigkeit“, wie der heilige Josefmaria sagte, „das ganze Dasein des Menschen; sie ist gegenwärtig in jedem Gedanken, in jedem Wunsch, in jeder Gemütsregung“3 und drückt sich im frohen Vertrauen aus, dass uns die Liebe des Vaters niemals fehlen wird. Durch diese Gabe, so sagte Papst Johannes Paul II., „heilt der Geist unser Herz von jeder Art von Härte und öffnet es für die Zärtlichkeit gegenüber Gott und unseren Geschwistern4.


WAS IHR DEN VATER in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben. Bis jetzt habt ihr noch um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen ist (Joh 16,23-24). Jesus ermutigt uns zu einem solchen Gottvertrauen, dass wir nicht mehr daran zweifeln, in unseren Bitten erhört zu werden. Auch wenn „inständiges Bitten und Flehen“ zunächst lästig erscheinen mag, ist es doch Zeichen der Frömmigkeit. „Bitten, flehen. Das ist sehr menschlich (...)“, erklärt Papst Franziskus. „Das Bittgebet geht mit der Annahme unserer Begrenztheit und unserer Kreatürlichkeit einher. Man mag vielleicht nicht dahin gelangen, an Gott zu glauben, aber es ist schwierig, nicht an das Gebet zu glauben: Es ist ganz einfach da; es entsteht in uns wie ein Schrei. Wir alle schlagen uns mit dieser inneren Stimme herum, die vielleicht für lange Zeit schweigen mag, die aber eines Tages erwacht und schreit. Wir wissen, dass Gott antworten wird. Es gibt keinen Beter im Buch der Psalmen, der seine Klage erhebt und nicht erhört wird. Gott antwortet immer: Heute oder morgen, er antwortet immer, auf die eine oder die andere Weise. Die Bibel sagt das wiederholt: Gott hört den Schrei dessen, der zu ihm fleht. Auch unsere gestammelten Bitten und jene, die tief in unseren Herzen geblieben sind: Der Vater hört sie und will uns den Heiligen Geist schenken, der jedes Gebet beseelt und alles verwandelt.“5

Die Gabe der Frömmigkeit verleiht unserem Gebet Frische und Natürlichkeit. Unser Gebet nimmt einen vertraulichen Ton an, der uns, wie der heilige Josefmaria sagte, „liebevoll mit Gott umgehen“6 lässt. Der Heilige Geist erweckt in uns dann ein Gebet, das wie die Psalmen alle Tonarten aufweist. Gelegentlich werden wir uns beim Vater beklagen: Warum verbirgst du dein Angesicht? (Ps 44,25) Andere Male werden wir mit ihm über unsere Wünsche nach Heiligkeit reden: Gott, mein Gott bist du, dich suche ich, es dürstet nach dir meine Seele (Ps 63,2); oder über unser Verlangen nach einer innigeren Vereinigung mit ihm: Neben dir erfreut mich nichts auf Erden (Ps 73,25). Und immer wird unsere Hoffnung auf sein Erbarmen setzen: Denn du bist der Gott meines Heils. Auf dich hoffe ich den ganzen Tag (Ps 25,5).


ECHTE FRÖMMIGKEIT fließt in unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen ein. Denn sie sind Söhne und Töchter desselben Vaters, sie sind unsere Geschwister. Der liebevolle Umgang mit Gott Vater führt uns zu einem liebevollen Umgang mit ihnen. Im Alltag, wo wir mit vielen Menschen in Kontakt kommen, „äußert sich diese zärtliche Liebe in einer wahrhaft brüderlichen Öffnung zum Nächsten in Milde“7, so Worte von Papst Johannes Paul II. Der Heilige Geist weitet unser Herz und befähigt es, die anderen frei und bedingungslos zu lieben. Unser Herz erhält sozusagen unverdient das Geschenk der Sanftmut, die dem Herzen Christi eigen ist.

Die Frömmigkeit drängt uns, gegenüber unseren Mitmenschen offen und hilfsbereit zu sein. Darüber hinaus „tilgt sie im Herzen“, wie der heilige Johannes Paul II. auch sagte, „Spannungs- und Trennungsherde wie Bitterkeit, Zorn oder Ungeduld und nährt Empfindungen wie Verständnis, Toleranz oder Vergebung“8. Die Frömmigkeit macht uns sanft, freundlich und geduldig. Wenn wir im Einklang mit Gott leben, wird dieser Frieden sich auf alle unsere Beziehungen ausdehnen. In schwierigen Situationen, unter Druck, werden wir lernen, ohne Gewalt zu reagieren, wie es Christus uns vorlebt. „Die Sanftmut ist charakteristisch für Jesus, der von sich selbst sagt: Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig (Mt 11,29)“, sagt Papst Franziskus. „Sanftmütige Menschen beherrschen sich selbst, lassen anderen Raum, hören zu und respektieren sie in ihrer Lebensweise, in ihren Bedürfnissen und Forderungen. Sie versuchen nicht, andere zu beherrschen oder zu unterdrücken, noch ihre eigenen Ideen und Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen... Wir brauchen Sanftmut, um auf dem Weg zur Heiligkeit voranzukommen.“9

„Bitten wir den Herrn“, so sagte Papst Franziskus ein anderes Mal, „dass die Gabe seines Geistes unsere Furcht, unsere Unsicherheiten, auch unseren unruhigen, ungeduldigen Geist überwindet und uns zu frohen Zeugen Gottes und seiner Liebe macht. Dies geschieht in der wahren Anbetung des Herrn und auch im Dienst am Nächsten, den wir mit Sanftmut und jenem Lächeln verrichten, das uns der Heilige Geist stets schenkt.“10 Vertrauen wir diese Bitte der Fürsprache Marias an, dem „vorzüglichen Gefäß der Andacht“, der „gütigen, milden, süßen Jungfrau Maria“, wie wir sie im Rosenkranz und im Salve Regina anrufen.


1 Diccionario de san Josemaría (Wörterbuch des heiligen Josefmaria), Stichwort „Piedad“ (Frömmigkeit).

2 Papst Franziskus, Audienz, 4.6.2014.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 146.

4 Hl. Johannes Paul II, Angelus-Gebet, 28.5.1989.

5 Franziskus, Audienz, 9.12.2020.

6 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 167.

7 Hl. Johannes Paul II, Angelus-Gebet, 28.5.1989.

8 Ebd.

9 Franziskus, Angelus-Gebet, 1.11.2020.

10 Franziskus, Audienz, 4.6.2014.

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