Betrachtungstext: 5. Osterwoche – Mittwoch

Jesus durch das Gebet nahe sein – Sein Wort verwandelt uns – Die Früchte der Vereinigung mit dem Weinstock

In diesen Tagen, zwischen Ostern und Pfingsten, legt uns die Liturgie Worte aus den Abschiedsreden Jesu vor, die die Apostel damals nicht gänzlich verstanden, da der Geist noch nicht gesandt war. Wir vertiefen uns heute in den Vergleich mit Weinstock und Reben: Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt (Joh 15,4).

Papst Franziskus erläutert dazu: „Jesus ist der Weinstock, und durch ihn fließt in die Reben – wie der Nährsaft des Baumes – die Liebe Gottes selbst, der Heilige Geist. (...). Die Reben sind nicht selbstständig, sondern hängen ganz vom Weinstock ab, in dem der Quell ihres Lebens ist. So geht es uns Christen. Durch die Taufe wurden wir in Christus eingepflanzt, empfingen so von ihm ungeschuldet neues Leben und können in Leben spendender Gemeinschaft mit Christus bleiben. Nötig ist, der Taufe treu zu bleiben und in der Freundschaft mit dem Herrn zu wachsen durch das Gebet jedes Tages, das Hören und den Gehorsam gegenüber seinem Wort – das Evangelium lesen –, durch die Teilnahme an den Sakramenten, vor allem der Eucharistie und der Versöhnung.“1

Das persönliche Gebet, in dem wir aus der Anonymität herauszutreten suchen, um eine innige und persönliche Beziehung zu Jesus aufzubauen, ist unerlässlich, um uns vom Weinstock zu nähren. Wie sehr brauchen wir diese Minuten der Stille, der Zurückgezogenheit, um in aller Ruhe auf Jesus zu schauen, sei es im Tabernakel oder in der Tiefe unseres Herzens, wo immer wir sind. Der heilige Josefmaria schrieb: „Darin besteht das Geheimnis. Ihn so sehr aus der Nähe begleiten, dass wir mit ihm zusammen leben, wie die ersten Zwölf; so nahe, dass wir mit ihm eins werden. (…). In unserem Verhalten erscheint dann der Herr wie in einem Spiegel. Ist der Spiegel gut, dann gibt er das liebenswerte Antlitz unseres Erlösers wieder, keine Karikatur, sondern ein unverzerrtes Bild, das unsere Mitmenschen zur Bewunderung und zur Nachfolge anspornt.“2


BLEIBT IN MIR und ich bleibe in euch (Joh 15,4). Der persönliche Dialog ermöglicht es Christus, in unsere konkreten Lebensumstände einzutreten und unsere Welt zu erleuchten. Papst Franziskus unterstreicht die Wirkungen des Gebets: „Durch das Gebet kommt das Wort Gottes zu uns, um in uns zu wohnen, und wir wohnen in ihm. Das Wort inspiriert gute Absichten und unterstützt das Handeln; es gibt uns Kraft, es gibt uns Ruhe, und auch wenn es uns in eine Krise bringt, gibt es uns Frieden. An ,verdrehten‘ und wirren Tagen sichert es im Herzen einen Kern des Vertrauens und der Liebe, der es vor den Angriffen des Bösen schützt.“3

Wir brauchen es, dass die Worte des Herrn uns trösten und in uns die Überzeugung wecken, dass wir seine Reben sind. Es hilft uns sogar so sehr, dass seine Gegenwart unsere Seelen inmitten von Schwierigkeiten mit ruhiger Gefasstheit erfüllen kann. Und wir wollen mit Jesus auch die guten Nachrichten teilen und dabei mit dankbarer Haltung zum Himmel aufschauen. „Die Schwierigkeiten, die Widrigkeiten verschwinden“, schrieb der heilige Josefmaria, „sobald wir uns Gott im Gebet nähern. Gehen wir hin und reden wir demütig und offenherzig mit Jesus, dieses bedenkend: Wer im Umgang einfach ist, nähert sich voll Vertrauen, und sofort wird das Licht kommen, und werden Friede, Heiterkeit und Freude einziehen.“4

„Wenn das Wort Gottes, getränkt vom Heiligen Geist, mit offenem Herzen angenommen wird“, sagte Papst Franziskus, „dann lässt es die Dinge nicht, wie sie vorher waren, nie, sondern es ändert etwas. Und das ist die Gnade und die Kraft des Wortes Gottes.“5 Die Worte Christi annehmen bedeutet, sie im Herzen zu bewahren, sie zu assimilieren und sich ihnen zu öffnen, damit sie unser Leben allmählich verwandeln. Letzten Endes beschneiden sie uns, um neues Leben hervorzubringen, wie der Herr sagt: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. (...) Jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt (Joh 15,1-2).


DER HERR fährt in seiner Rede fort. Er möchte, dass wir seine Worte bewahren und dass aus unserer Vereinigung mit ihm viele Früchte hervorgehen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet (Joh 15,7-8). „Indem wir in Christus bleiben“, schrieb der heilige Augustinus in einem Kommentar zu dieser Schriftstelle, „was können wir wollen, außer was für Christus angemessen ist? (…) Wenn wir also in ihm bleiben und seine Worte in uns bleiben, so werden wir, um was wir immer wollen, bitten, und es wird uns zuteil werden. Denn wenn wir bitten, und es wird uns nicht zuteil, dann bitten wir nicht um das, was das Bleiben in ihm verlangt, noch was seine Worte, die in uns bleiben, verlangen.“6

Wer mit dem Weinstock verbunden bleibt, wer mit Überzeugung bittet, wer davon träumt, jede Geste des Erlösers in seiner Seele zu bewahren, wird zu einem Menschen, aus dem das Leben Gottes fließt. Im inneren Leben „erfolgen“ die Ernten auf andere Weise als auf die natürliche, denn sie werden an der Liebe gemessen. Der Glaube führt uns über unsere Vorstellung hinaus und dazu, göttliches Leben zu leben. Welche größere Frucht könnten wir uns wünschen? Wenn Gott will, werden wir vielleicht sehen, wie dasselbe in anderen Menschen geschieht, in neuen Reben, wann er es will. Der heilige Josefmaria schrieb in einem Brief: „Ihr müsst – ich wiederhole es – Heilkraft und Stärke für andere sein, und ihr müsst euch dessen bewusst sein, dass der Herr gesagt hat: sine me, nihil potestis facere – ohne mich könnt ich nichts tun. Doch mit ihm sind wir allmächtig und sagen mit dem Apostel: omnia possum in eo qui me confortat – alles kann ich in dem, der mich stärkt.“7

„Die Früchte dieser tiefen Einheit mit Jesus sind wunderbar“, sagte Papst Franziskus. „Die Gnade des Geistes verwandelt unsere ganze Person: Seele, Verstand, Wille, die Art zu lieben und auch unseren Leib, da wir eine Einheit von Geist und Leib sind. Wir empfangen eine neue Art zu sein, das Leben Christi wird unser Leben: Wir können denken wie er, handeln wie er, die Welt und die Dinge mit den Augen Jesu sehen. Als Folge können wir unsere Brüder und Schwestern lieben, wie er es getan hat, angefangen bei den Ärmsten und Leidenden, und sie mit seinem Herzen lieben und so in die Welt Früchte der Güte, der Liebe und des Friedens bringen.“8 Wie Maria die Worte des Herrn in ihrem Herzen bewahrte, wollen auch wir, dass sie in unserem Herzen bleiben.


1 Franziskus, Regina Coeli-Gebet, 3.5.2015.

2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 299.

3 Franziskus, Generalaudienz, 27.1.2021.

4 Hl. Josefmaria, Briefe 2, 54b.

5 Franziskus, Generalaudienz, 27.1.2021.

6 Hl. Augustinus von Hippo, Vorträge über das Johannes-Evangelium, 81, 4.

7 Hl. Josefmaria, Briefe 27, Nr. 17.

8 Franziskus, Regina Coeli-Gebet, 3.5.2015.