Betrachtungstext: 17. Woche im Jahreskreis – Sonntag (A)

Die eigene Berufung entdecken – Den richtigen Weg finden – Früchte der Treue

JESUS verglich das Reich Gottes einmal mit einem Schatz, der in einem Acker verborgen ist. Ein Mann, der ihn findet, zögert nicht, alles zu verkaufen, was er besitzt, um das Grundstück zu erwerben. Das Bild vom Schatz im Acker hat oft dazu gedient, um neben dem allgemeinen Ruf zur Nachfolge Christi die Erfahrung eines spezifischen Rufs darzustellen, den Gott da und dort an einzelne Personen richtet. Der Herr hält für jeden von uns einen Schatz bereit, und um ihn zu finden, müssen wir alles verkaufen, was wir haben. Die Frage, die sich stellt, lautet: „Wie beginne ich nach dem Acker zu suchen, in dem ein Schatz auf mich warten könnte, und wie wähle ich das Grundstück aus, das ich kaufen will?“ Oder noch direkter: „Wie kann ich meine persönliche Berufung entdecken?“

Um diese Frage zu beantworten, sagte der heilige Josefmaria gerne, dass es nicht möglich ist, „vorgefertigte Formeln oder starre Methoden oder Regeln anzubieten“. Das wäre wie ein Versuch, „das stets originelle Wirken des Heiligen Geistes“, der weht, wo er will, „in Bahnen zu zwängen“1. Die Wege zu Gott sind so vielfältig wie die Zahl der Menschen. Das Evangelium zeigt jedoch ein gemeinsames Merkmal all derer auf, die daran interessiert sind, das Feld zu entdecken, in dem der Schatz zu finden ist: die Unruhe des Herzens. Als Nikodemus Jesu Lehren hörte, wollte er wissen, ob dieser Mann der Messias ist; weil er voller Zweifel und Ungewissheit war, wagte er es jedoch nur, sich ihm nach Einbruch der Finsternis zu nähern, um darauf Antworten zu erhalten. Der reiche junge Mann hingegen war unzufrieden mit dem korrekten Leben, das er führte, und so kam er am helllichten Tag zu Christus gelaufen, um zu fragen, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen.

Sie waren, wie so viele andere, „Suchende“: Sie waren in Erwartung eines Ereignisses, das ihr Leben verändern und mit Abenteuer erfüllen würde. Als die Heiligen das Besondere entdeckten, das ihrer Berufung entsprach, waren ihre Seelen offen und hungrig. Sie träumten von einer größeren Vertrautheit mit Gott, sie verlangten danach, die Kirche wachsen zu sehen, sie sehnten sich nach einem Leben, in dem sie ihre Talente einsetzen konnten, sie wollten das Leid der Welt lindern ... Und sie verstanden es, dieser Unruhe ihres Herzens im Dialog mit Gott freien Lauf zu lassen: „Was willst du mir sagen, mein Gott? Was bedeuten diese Wünsche und Neigungen in meinem Herzen?“ Gott hinterlässt uns auf dem Weg Zeichen, die, wenn wir sie im Gebet zusammenfügen, ein erkennbares Muster abgeben, das uns zeigen kann, wo sich dieser Acker mit dem verborgenen Schatz befindet.


IST DAS Grundstück einmal gekauft, kann eine weitere Sorge auftauchen: „Woher weiß ich, ob der Schatz, den ich gefunden habe, meiner ist?“ Mit anderen Worten: „Ist dies der richtige Weg für mich?“ Der Beginn einer Berufung ist, wie der Beginn eines jeden Projekts, oft mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Hinter diesem Zweifel verbirgt sich eine ganz normale Angst: Wir wissen nicht mit Sicherheit, was zukünftig passieren wird, wohin uns dieser Weg führen wird, weil wir ihn noch nicht gegangen sind. Darüber hinaus kann uns das Bewusstsein unserer eigenen Hinfälligkeit zu der Annahme verleiten, dass wir nicht in der Lage sein könnten, dem gerecht zu werden, worum Gott uns bittet.

Es ist aber nicht Sinn der Sache, auf einen bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Plan zu warten. Gott hat uns einen Acker gegeben, er rechnet jedoch auch mit unserer eigenen Initiative, mit dem, was wir denken, was wir wollen und was wir tun. Leben bedeutet Abenteuer, Risiko, Grenzen; es bedeutet, aus der kleinen Welt, die wir im Griff haben, herauszutreten, um die Schönheit zu finden, unser Leben einer Sache zu widmen, die größer ist als wir und die unseren Durst nach Glück mehr als stillt. Natürlich ist es notwendig, die Dinge zu überlegen. Die Kirche nennt dies die Zeit der Unterscheidung. Doch sollte man vor Augen haben, wie Papst Franziskus schreibt, dass „die Unterscheidung keine stolze Selbstanalyse oder egoistische Nabelschau ist, sondern ein wahrer Ausgang von uns selbst auf das Geheimnis Gottes zu, der uns hilft, die Sendung zu leben, zu der wir zum Wohl der Mitmenschen berufen sind“2. Berufung bedeutet, dass wir unseren Horizont über das bekannte Terrain, die so genannte Komfortzone, die Zone der individuellen Sicherheit, hinaus erweitern, um uns auf ein Projekt einzulassen, das uns auf Wege des Gebens und Empfangens von noch mehr Liebe führt.

„Du weißt, dass dein Weg nicht klar ist“, schrieb der heilige Josefmaria, „und dass er es nicht ist, weil du im Dunkeln tappst, wenn du Jesus nicht dichtauf folgst. Auf was wartest du noch, um dich zu entscheiden?“3 Erst wenn ich den Weg wähle, kann ich ihn auch gehen und leben, was ich gewählt habe. Jede Berufung birgt ein gewisses Maß an Ungewissheit, das uns Gott belassen wollte, damit unsere Freiheit gesichert ist, damit wir den ersten Schritt tun. Um den Stern zu sehen, muss man sich wie die heiligen Drei Könige auf den Weg machen, denn Gottes Pläne sind größer und gehen immer über uns selbst hinaus. Nur im Vertrauen auf ihn werden wir fähig. Am Anfang geht gar nichts: Man muss wachsen. Doch um zu wachsen, muss man glauben. Denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen (Joh 15,5), sagt Jesus, mit mir aber könnt ihr alles.


ES GIBT eine dritte Frage, die man sich stellen kann, wenn man jenen Schatz schon besitzt, den Jesus im Bild nennt: „Was kann ich damit tun?“ Der gefundene Schatz bietet eine Fülle von Möglichkeiten, das eigene Leben und das der anderen zu verbessern. In gleicher Weise bereichert die Entdeckung einer Berufung unser eigenes Dasein, öffnet uns für ein Glück, das unsere Erwartungen übersteigt, und erleuchtet auch die Menschen, die Gott uns zur Seite gestellt hat.

Denen, die diesen Schatz wachsen lassen, hat Gott versprochen, dass er sie in sein Reich aufnehmen wird: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! (Mt 25,21). Der Herr wartet aber nicht auf den Himmel, um seine Kinder zu belohnen, sondern er führt sie schon in diesem Leben in diese göttliche Freude ein mit Früchten der Heiligkeit und der Tugenden, indem er das Beste aus jedem Menschen und seinen Talenten hervorholt. Doch das wichtigste Geschenk, das er uns macht, ist er selbst, seine Freundschaft und seine Gegenwart in uns: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen (Joh 14,23). „Der Herr hat uns einen reichen Schatz geschenkt, (…)“, sagte der heilige Josefmaria. „In uns wohnt Gott unser Herr in seiner ganzen Größe. In unserem Herzen befindet sich ein Himmel.“4

Wir können den Himmel, den wir in uns tragen, überallhin mitnehmen. Msgr. Fernando Ocáriz schrieb: „In unserer Zeit, in der wir oft einen Mangel an Frieden im sozialen Leben, am Arbeitsplatz und in der Familie wahrnehmen, wird es immer notwendiger, dass die Christen, wie der heilige Josefmaria sagte, ,Säleute des Friedens und der Freude‘ sind.“5 Wir wissen aus Erfahrung, dass dieser Friede und diese Freude nicht von uns kommen. Deshalb versuchen wir, Gottes Gegenwart in unserem Herzen zu pflegen, damit er uns erfüllt und seine Gaben an die Menschen um uns herum weitergibt. Die heilige Maria, die es verstand, den Schatz ihrer Berufung Früchte bringen zu lassen, wird uns helfen, die großen Dinge auszukosten, die Gott in unserem Leben und im Leben der anderen durch unsere Treue bei der Suche nach eben diesem Schatz wirken wird.


1 Hl. Josefmaria, Brief 6.5.1945, Nr. 42.

2 Franziskus, Gaudete et exsultate, Nr. 175.

3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 797.

4 Vgl. Salvador Bernal, Msgr. Josefmaria Escrivá de Balaguer. Aufzeichnungen über den Gründer des Opus Dei, Adamas-Verlag, Köln 1978, Epilog.

5 Msgr. Fernando Ocáriz, Predigt, 12.5.2017.