Tabgha, die Kirche des Primats

Ungefähr drei Kilometer westlich von Kafarnaúm hat der Tradition nach die Vermehrung der fünf Brote und zwei Fische stattgefunden, um die Menge speisen zu können. Außerdem wird dort die Bergpredigt angesiedelt, Jesus soll den Aposteln nach seiner Auferstehung erschienen sein, den zweiten wunderbaren Fischfang veranlasst und den Primat des Petrus in der Kirche bestätigt haben.

Spuren unseres Glaubens

Wege durch das Heilige Land

Wenige Orte im Heiligen Land erreichen eine solche Nähe zum Geschehen des NT wie der See Genezareth in Galiläa. An vielen anderen Stellen hat sich die Landschaft nach 2000 Jahren Geschichte total verändert: neue Kirchen oder Heiligtümer wurden gebaut, andere zerstört oder inzwischen neu erbaut, vergrößert oder restauriert. Einige Dörfer sind inzwischen zu bevölkerungsreichen Großstädten geworden während andere völlig verschwunden sind. Wege durchziehen die Landschaft, Straßen und Autobahnen entstanden. Die Gegend um den See Genezareth blieb trotz Veränderung weitgehend unberührt. Die Landschaft um den See ist eine Augenweide und strömt eine himmlische Ruhe aus. Dort scheinen die Worte Jesu noch nachzuklingen. Sie übersteigen die jeweilige Jetzt-Zeit.

Gleichwohl scheint es hier in der Vergangenheit nicht so ruhig zugegangen sein. Zur Zeit Jesu spiegelten sich etwa zehn Siedlungen im Wasser des Sees, die entweder direkt am Ufer oder auf naheliegenden Hügeln erbaut waren. Von Ufer zu Ufer blühte der Handel, der mit vielen Booten, die zwischen den Siedlungen hin und her fuhren, betrieben wurde. Keine dieser Siedlungen besteht heute noch. Nur das moderne Tiberias erinnert in gewisser Weise noch an das römische Tiberias, das die jüngste Ansiedlung der damaligen Zeit war, da es erst zu Beginn des 1. Jahrhunderts entstand, wenn es auch wohl weiter südlich als die heutige Stadt lag. Von den älteren Siedlungen, die Jesus kennenlernte, können wir uns nur noch anhand der Ruinen ein Bild machen.

Der Reichtum der Gegend beruhte zum großen Teil auf dem Fischfang im See Genezareth der von Norden nach Süden eine Ausdehnung vom 21 Kilometer hat und maximal etwa 12 km breit ist. Er ist durchschnittlich etwa 45 m tief. Gespeist wird er hauptsächlich vom Jordan, so wie von einigen Zuflüssen kleinerer Art am Ufer entlang und aus einigen Wasserquellen unterhalb des Wasserspiegels. Reiche Vorkommen gibt es an „tilapie“, der auch „Fisch des Petrus“ genannt wird.

Foto: Jon Lai Yexian. Flickr.

Zur Zeit des öffentlichen Lebens wurde Kafarnaum die zweite Heimat Jesu. Hier stellte der Ackerbau, die zweite wichtige Überlebensquelle. dar. Da die Landschaft 210 m unter dem Meeresspiegel liegt, genießt die Region im Winter und Frühjahr ein sehr mildes Klima, während die Sommer sehr heiß sind. Dieser Umstand begünstigt ein tropisches Klima. So bezeugte der Geschichtsschreiber Flavius Josephus die Fruchtbarkeit dieses Landstrichs im ersten Jahrhundert wie folgt: „Diese Erde weist keine einzige Pflanze zurück. Die Bauern können hier alles anpflanzen, denn das milde Klima lässt alles gedeihen. Sogar Nussbäume, die eigentlich ein kälteres Klima bevorzugen, wachsen hier in großer Zahl. Gleich daneben gedeihen Palmen, die eigentlich ein wärmeres Klima brauchen. Ebenso gibt es Feigen und Oliven, die eher ein gemäßigteres Klima bevorzugen.

Zu Beginn des öffentlichen Lebens wurde Kafarnaum die zweite Heimat Jesu.

Wir könnten hier vom Stolz der Natur sprechen, die sich an einem einzigen Ort bemüht, die verschiedensten Früchte hervorzubringen. Es gibt einen lieblichen Wettstreit zwischen den Jahreszeiten, wobei jede die Erste in diesem Fleckchen Erde sein will. Diese Region bringt nicht nur entgegen aller Erwartungen die unterschiedlichsten Früchte hervor, sondern erhält sie auch alle am Leben. Zehn Monate hindurch beschert sie den Herrschern alle Arten von Früchten, Trauben wie Feigen, während die anderen Früchte im weiteren Verlauf des Jahres reif werden. Außer der angenehmen Temperatur der Luft wird die Gegend von einer wasserreichen Quelle gespeist, die die Leute dort Kafarnaum nennen. Manche halten sie für einen Wasserarm des Nils, da es hier einen Fisch gibt, der dem Adlerfisch des Sees von Alexandria ähnelt. (Flavius Josefus, Der Krieg gegen die Juden, III, 516-520).

Die bedeutendsten Spuren, die der Herr in diesem Landstrich hinterlassen hat, befinden sich im Nordosten des Sees Genezareth, in der Umgebung von Kafarnaum. Zu Beginn seines öffentlichen Lebens, kurz nachdem er Nazareth verlassen hatte, erwählte er dieses kleine Fischerdorf zu seiner zweiten Heimat. Hier besaßen wohl einige der Zwölf oder ihre Verwandten kleine Niederlassungen. So viele Orte dieser Gegend verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit, dass wir ihnen noch verschiedene Artikel im Verlauf des Jahres widmen werden.

Ein Foto vom Ende des 19. Jahrhundert, auf der man erkennen kann, mit welchen Booten der See damals befahren wurde. Foto: Chatham University JKM Library – Flickr.

Westlich von Kafarnaum

Wir beginnen unseren Rundgang mit dem Ort Tabgha. Er liegt in einer Gegend, die 3 km westlich von Kafarnaum verläuft und ein kleines Landstück einnimmt, welches sich vom Seeufer bis zu Erhebung einiger Hügel erstreckt, die den Ort umgeben. Der Name scheint eine arabische Übersetzung des byzantinischen Originals Heptapegon zu sein. Im Griechischen bedeutet er „Sieben Quellen“: er nimmt auf den Wasserreichtum Bezug, der dort vorhanden war und der heute noch weiter besteht. Der christlichen Tradition zufolge, die dort ununterbrochen seit den Zeiten Jesu bestand, fand an diesem Ort die Vermehrung der fünf Brote und zwei Fische statt, um die Menge speisen zu können. (vgl. Mt 14, 13-21, Mk 6, 32-44, Lk 9, 12-17, Joh 6, 1-15). Außerdem wird dort die Bergpredigt angesiedelt, die mit den Seligpreisungen beginnt(vgl. Mt 5,1-11; Lk 6,17-26). Dort soll er den Aposteln nach seiner Auferstehung erschienen sein, den zweiten wunderbaren Fischfang veranlasst und den Primat des Petrus in der Kirche bestätigt haben (vgl. Joh 21, 1-23). Kaum 100 m sind diese drei Orte voneinander entfernt, wo sich diese wichtigen Ereignisse im Leben des Herrn abgespielt haben.

Die archäologischen Grabungen haben unter der Kirche des Primats die Reste zweier Heiligtümer bestätigt, die aus dem 4. und 5. Jahrhundert stammen. Foto: Alfred Driessen.

Ein Text der Pilgerin Egeria, die Palästina im 4. Jahrhundert besuchte, gibt ein beredtes Zeugnis über Tabgha. „Nur wenige Meter von Kafarnaum entfernt sind die Steinstufen, auf die der Herr sich setzte. Dort gibt es in der Nähe des Meeres ein Terrain, das üppig von Gras bewachsen ist und mehrere Palmen aufweist. Neben diesem Platz gibt es sieben Quellen, von denen jede einzelne reichlich Wasser spendet An diesem Ort sättigte der Herr eine große Menschenmenge mit fünf Broten und zwei Fischen. Der Stein, auf den Jesus das Brot legte, wurde zum Altar. Neben den Mauern dieser Kirche spielte sich das öffentliche Leben ab, wo Matthäus seine Zollstätte hatte. Ganz in der Nähe liegt der Berg, den Jesus bestieg, um über die Seligpreisungen zu sprechen.“(Der Text erscheint im Liber de Locis Sanctis, der von Petrus Diaconus, einem Mönch aus Montecassino, im Jahr 1137 niedergeschrieben wurde.)

Dieser Ort erinnert an die Stelle, wo Jesus Petrus als obersten Hirten der Kirche bestätigte. Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit dem ersten der von der Pilgerin Egeria erwähnten Plätze zu: „die Steinstufen, auf die sich der Herr setzte“. Der Tradition folgend ist das der Ort, an dem der Herr den Jüngern nach seiner Auferstehung erschien und ihnen den Auftrag gab, das Netz zur rechten Seite des Bootes auszuwerfen.“Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus (Zwilling), Nathanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworteten ihm. Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas fangen. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war und sprang in den See. Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot- sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen- und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Als sie an das Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Jesus sagte zu ihnen. Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt Da ging Simon Petrus und zog das Netz ans Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. Jesus sagte zu ihnen. Kommt her und eßt. Keiner von den Jüngern wagte ihn zu fragen. Wer bist Du? Denn sie wussten dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. Dies war schon, das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.” (Joh 21, 2-14)

Dieser Ort erinnert an die Stelle, wo Jesus Petrus als obersten Hirten der Kirche bestätigte.

Der Bericht der Egeria enthält keine Angaben über die Existenz einer Kirche am Ufer, wo Jesus erschienen ist. Ein späterer Text aus dem 10. oder 11 Jahrhundert schreibt der Kaiserin Helena die Erbauung eines Heiligtums zu, das den Aposteln geweiht ist und an dem Ort errichtet wurde, wo Jesus mit ihnen gegessen hat. Seit dem 9. Jahrhundert gibt es Belege, die den Ort als „Mensa, Tabula Domini“, „von den zwölf Thronen oder Kohlen“ bezeichnen. Sie stellen Hinweise auf ein Essen dar, das dort stattgefunden hat. Aus dem Mittelalter stammt ein Zeugnis, das die Kirche an dieser Stelle dem Vorsteher der Apostel geweiht war. „Am Fuß des Berges ist die Kirche des hl. Petrus, die sehr schön war, aber jetzt verlassen ist.“ So beschreibt sie der Pilger Saewulfus im Jahre 1102 (Saewulfus, Relatio de peregrinatione ad Hierosolymam et Terram Sanctam). 1263 wurde die Kirche definitiv zertört.1933 errichteten die Franziskaner auf den Grundmauern der alten Kirche eine sogenannte "Kirche des Primats". Sie wollten damit an den Ort erinnern, wo Jesus Petrus im Primat bestätigt. „Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst Du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm .Weide meine Lämmer! Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm. Weide meine Schafe! Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Hast Du mich lieb? Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich lieb habe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!“ (Joh, 21, 15-17)

Der Fels, auf dem Christus mit den Jüngern das Essen eingenommen haben soll, befindet sich im Inneren der Kirche. Foto: Berthold Werner – Wikimedia Commons.

Ausgrabungen, die im Jahr 1969 vorgenommen wurden, haben unter der Kirche des Primats Reste von zwei Heiligtümern bestätigt, die vom Ende des 4. Jahrhunderts stammen. Es sind noch Fragmente einer Mauer vorhanden, die weiß verputzt gewesen waren; andere Überreste, die wohl hundert Jahre später datiert werden, bestehen aus Basaltsteinen, die wahrscheinlich von den Außenmauern stammen. Beide Überreste waren über einem Fels im Mittelpunkt angeordnet, der von den Pilgern mit „Mensa Christi“ bezeichnet wurde und der bis heute vor dem Altar verehrt wird als der Ort, an dem der Herr mit den Aposteln gefrühstückt hatte. Die Stufen, die von der Pilgerin Egeria erwähnt wurden, lassen sich außerhalb der Kirche, an der Südseite der Kapelle finden. Sie sind von einem Gitter geschützt.

Der Dialog zwischen Jesus und Petrus

Was den Dialog zwischen Jesus und Petrus angeht, unterstreicht schon Leo der Große, der von 440 bis 461 Papst war, dass die Sorge des Vorstehers der Apostel sich auf alle seine Nachfolger erstreckt. „In der Person des Petrus wird die Einheit aller verstärk; ihm wird die Hilfe der göttlichen Gnade zuteil, so dass die Stärke, die Petrus durch Christus verliehen wird, auch allen seinen Nachfolgern im Primat zukommt. Deshalb sagt dieser nach seiner Auferstehung, um die dreimalige Bestätigung seiner ewigen Liebe kund zu tun, und nachdem er ihm die Schlüssel des Himmelreichs überreicht hat, dreimal zu Petrus: Weide meine Schafe – ein geheimnisvolles Zeichen. Das tut dieser fromme Hirt auch heute. Er befiehlt, dass sich das Gebot des Herrn erfüllt und bestärkt die Seinen mit Ermahnungen und tritt unablässig für uns ein, damit wir in keiner Versuchung erliegen. Wenn er, wie wir fest glauben, diesen Beistand dem gesamten Volk Gottes zu jeder Zeit und in allen Umständen erweist, um wie viel mehr wird er uns seine Hilfe gewähren, die wir ganz direkt von ihm belehrt wurden?“(Hl. Leo der Große, Predigt am Fest des Apostel Petrus).

Zu Beginn seines Pontifikats hat sich auch Benedikt XVI. auf diese Aufgabe bezogen, über die Kirche zu wachen, die der Herr dem Petrus und seinen Nachfolgern anvertraut hat. Dreimal hat er für ihn gebetet: "So muss es eine Haupteigenschaft des Hirten sein, dass er die Menschen liebt, die ihm anvertraut sind, weil und wie er Christus liebt, in dessen Diensten er steht. „Weide meine Schafe“, sagt Christus zu Petrus, sagt er nun zu mir. Weiden heißt lieben, und lieben heißt auch, bereit sein zu leiden. Und lieben heißt: den Schafen das wahrhaft Gute zu geben, die Nahrung von Gottes Wahrheit, von Gottes Wort, die Nahrung seiner Gegenwart, die er uns in den heiligen Sakramenten schenkt. Liebe Freunde – in dieser Stunde kann ich nur sagen: Betet für mich, dass ich den Herrn immer mehr lieben lerne. Betet für mich, dass ich seine Herde – Euch, die heilige Kirche, jeden einzelnen und alle zusammen immer mehr lieben lerne. Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe. Beten wir füreinander, dass der Herr uns trägt und dass wir durch ihn einander zu tragen lernen." (Homilie bei der Messe zur Amtseinführung von Papst Benedikt XVI. am 24. April 2005).