Gewöhnliche Menschen, die in schwierigen Zeiten auftauchen

Als Dora del Hoyo (1914-2004) den hl. Josefmaria Escrivá (1902-1975) in Madrid kennenlernte, hatte sie weder eine wichtige Position inne noch war sie eine bedeutsame Persönlichkeit. Sie hat vorgelebt, wovon Papst Franziskus in Fratelli Tutti spricht: In der Stunde der Wahrheit füreinander da zu sein. Ihr Seligsprechungsprozess wurde 2012 eingeleitet.

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Wir schreiben das Jahr 2021. Eine noch nie da gewesene gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Krise sucht unsere Familien heim und deckt ihre Verletzlichkeit auf. Es ist eine Zeit der Ungewissheit, die Phasen der Lockdowns stellen das gemeinsame Leben auf die Probe. Zugleich tauchen Menschen auf, gewöhnliche Leute, deren Größe darin aufleuchtet, mitten in ihren familiären Beziehungen, ihrem persönlichen Umfeld und ihrer beruflichen Arbeit eine Gemeinschaft aufzubauen, „die uns unterstützt, die uns hilft und in der wir uns gegenseitig helfen, nach vorne zu schauen“ (Fratelli tutti, 8).

Jeder von uns kann einmal der Verletzte sein – und auch der gute Samariter. Denn man muss einen gemeinsamen Weg schaffen zwischen den Bedürftigen und denen, die sich um ihre Schwäche kümmern und sie pflegen: „Es gibt einfach zwei Arten von Menschen: jene, die sich des Leidenden annehmen, und jene, die um ihn einen weiten Bogen herum machen; jene, die sich herunterbücken, wenn sie den gefallenen Menschen bemerken, und jene, die den Blick abwenden und den Schritt beschleunigen. In der Tat fallen unsere vielfältigen Masken, unsere Etikette, unsere Verkleidungen: Es ist die Stunde der Wahrheit. Bücken wir uns, um die Wunden der anderen zu berühren und zu heilen? Bücken wir uns, um uns gegenseitig auf den Schultern zu tragen? Dies ist die aktuelle Herausforderung, vor der wir uns nicht fürchten dürfen.“ (FT, 70)

Es gibt Haltungen, Gesten und Verhaltensweisen, die die Wirklichkeiten berühren und eine Liebe, die sich in Taten zeigt: Dienstgesinnung und Solidarität, seine Zeit zur Verfügung stellen, Liebenswürdigkeit. Dazu gehört auch die Wertschätzung für all das, was die anderen, in unserer Familie und in unserem Umfeld tun, um für uns zu sorgen. All die vielen kleinen Handgriffe wertzuschätzen, die das Leben durchtragen: die Waschmaschine einzuräumen, einkaufen zu gehen, zu putzen, hier oder dorthin gehen, um jemandem in der Nähe zu helfen, sich um einen Kranken zu kümmern und so viele andere Dinge, die eben zu einer Familie dazugehören. Und so mancher hat auch etwas Neues in dieser Zeit an Tätigkeiten dazulernen müssen.

Die Grösse DER GEWÖHNLICHEN MENSCHEN, DIE IN IHREN BEZIEHUNGEN UND DURCH IHRE BERUFLICHE ARBEIT FÄHIG SIND, EINE GEMEINSCHAFT aufzuBAUEN, „DIE uNS UNTERSTÜTZT, DIE UNS HILFT UND IN DER WIR UNS GEGENSEITIG HELFEN, NACH VORNE ZU SCHAUEN” (FT, 8)

„Gott fährt nämlich fort, unter die Menschheit Samen des Guten zu säen. Die jüngste Pandemie hat uns erlaubt, viele Weggefährten und -gefährtinnen wiederzufinden und wertzuschätzen, die in Situationen der Angst mit der Hingabe ihres Lebens reagiert haben. Wir können erkennen, dass unsere Leben miteinander verwoben sind und wir durch einfache Menschen Hilfestellung erfahren haben, die aber zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte geschrieben haben: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, Apotheker, Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuungskräfte, Transporteure, Ordnungskräfte, ehrenamtliche Helfer, Priester, Ordensleute und viele, ja viele andere, die verstanden haben, dass niemand sich allein rettet.“ (FT, 54)

Madrid, 1943. Dora ist 29 Jahre alt und beginnt in dem neu eröffneten Studentenheim Moncloa in Madrid zu arbeiten. Es soll nur eine vorübergehende Arbeit sein, denn sie hat andere Pläne im Kopf. Nach ihrer Ankunft erfasst sie die Lage und wird sich der Schwierigkeiten bewusst, die sie dort durchmachen: Versorgungsprobleme, zu wenige Nahrungsmittel, kaum Erfahrung und Leitung der Arbeit. Und sie erkennt auch ihre eigenen Stärken: Großzügigkeit, Resilienz, den Wunsch zu lernen und sich zu verbessern.

Sie vertraute darauf, dass die anderen fähig waren zu lernen, und in wenigen Monaten verwandelte sich die Situation zum Guten.

Dora fühlte, wie jeder andere auch, diese Versuchung, ihren eigenen Dingen nachzugehen und sich nicht einzumischen. Aber dank ihres guten Herzens entschloss sie sich nach ein paar Wochen, zu bleiben. Was anfangs als eine Übergangsarbeit an einem unbequemen Ort begann, verwandelte sich in eine feste und lohnende Arbeit.

Vor 75 Jahren, am 14. März 1946, schloss Dora sich dem Opus Dei an, um die Heiligkeit durch die berufliche Arbeit zu suchen und unter zahllosen Menschen diesen allgemeinen Ruf zur Heiligkeit auf allen Lebenswegen zu verbreiten. Sie war die erste Auxiliarnumerarierin.

Dora hatte Erfahrung in der Arbeit und entwickelte ein Auge dafür, dass man sie brauchte, und ein großzügiges Herz, um anderen zu zeigen, wie sie besser arbeiten könnten, wobei sie immer selbst mit eigenem Beispiel voranging. Außerdem vertraute sie darauf, dass die anderen fähig waren zu lernen, und so verwandelte sich schon in wenigen Monaten die Situation zum Guten.

Sie tat, was wir heute eine Tat der Geschwisterlichkeit und Teamarbeit nennen. Als sie den hl. Josefmaria kennenlernte, entdeckte sie eine geistige Dimension ihrer Arbeit, die sie dazu brachte, sich von Herzen für die Menschen zu interessieren und sich ihnen mit Geduld zu widmen. Dora war weder etwas Besonderes noch hatte sie eine wichtige Stelle inne. Sie war eine von diesen gewöhnlichen Menschen, die in schwierigen Zeiten auftauchen – und Größe zeigen.

Susana García Fernández