Die Verehrung der Muttergottes ist ein selbstverständliches Element im Leben des hl. Josemaría Escrivá. Alle Anrufungen, die er kennen lernte, fanden einen Ort in seinem Herzen, wobei einige in bestimmten Augenblicken seines Lebens eine besondere Bedeutung erhielten. So war es auch mit Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit, der Patronin von Barcelona.
Wie das Opus Dei selbst, dieser Weg der Heiligung im gewöhnlichen Leben, den die göttliche Vorsehung am 2. Oktober 1928 öffnete, tragen auch die Schriften und die Frömmigkeit des Gründers des Opus Dei einen marianischen Stempel. Es war ihm ein Herzensanliegen, immer an Maria zu denken und sie in jeder Lebenslage um ihre Fürsprache anzurufen.
Es ist durchaus möglich, dass Josemaría Escrivá, der ja aus Barbastro stammte, schon als Junge die Muttergottes von der Barmherzigkeit – la Virgen de la Merced – kannte, da sie in der ganzen Region des ehemaligen Königreiches von Aragonien sehr verehrt wird. Und in der Tat hieß eine seiner Tanten, die er besonders gern hatte, Mercedes. Jedoch ist nicht bekannt, dass er als Kind oder Schüler jemals die Muttergottes in der Basilika von Barcelona besucht hätte. Vielleicht war es das erste Mal 1924, noch vor seiner Diakonweihe, als er einen kurzen Besuch in Barcelona nutzte, wo er mit einem Zug ankam, der im französischen Bahnhof halt machte.
Eine Reise mitten im Krieg
Die nächste Fahrt nach Barcelona, von der man weiß, war 1937, und die Umstände waren gänzlich verschieden. Es war mitten im Bürgerkrieg. Der hl. Josefmaria und einige der ersten Gläubigen des Opus Dei machten sich bereit, über die Pyrenäen auf die andere Seite der Front zu gelangen, um dort die apostolische Aufgabe weiterführen zu können, die Gott ihnen anvertraut hatte. Während dieses kurzen Aufenthaltes in der katalanischen Hauptstadt, vom 10. Oktober bis zum 19. November, lief er buchstäblich durch die ganze Stadt von einem Ende bis zum anderen, um sich durch intensives Training auf die harten Märsche vorzubereiten, die sie erwarteten, wenn sie die Pyrenäen zu überqueren gedachten. Es gilt als gesichert, dass der hl. Josefmaria seinen Begleitern empfahl, sie sollten Sühneakte und geistige Kommunionen beten, wenn sie an einer Kirche vorbeikämen. Die Basilika der Merced ist sicher ein Ort dieser intensiven Bitten gewesen, die er selbst als erster häufig verrichtete.
Nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzung, in den letzten Tagen im Dezember 1939, kehrte Josemaria Escrivá mit Alvaro del Portillo, der später sein erster Nachfolger werden sollte, nach Barcelona zurück. Das Ziel dieser Reise war es, in der katalanischen Hauptstadt beim Beginn der kontinuierlichen apostolischen Arbeit zu helfen. Im Jahr 1940 kam er drei Mal nach Barcelona und besuchte dabei die Basilika mindestens einmal, am 2. April. Wie es seine Gewohnheit war, nutzte er gewiss auch damals die Gelegenheit, um der Muttergottes die Anliegen zu Füßen zu legen, die er im Herzen trug: die Kirche, das Werk und die Welt.
Ein Besuch bei Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit, um ihr zu danken
Im Jahr 1941, als das Werk seine erste Approbation erhielt, reagierte der hl. Josefmaria, indem er Maria dankte und seinen Söhnen in Barcelona ein Telegramm schickte, wo er sie bat, sie sollten zur Merced gehen, um ihr dort ebenfalls zu danken, dass sie dem Werk beständig ihre mütterliche Fürsorge angedeihen ließ. Auch 1942 und 1943 kam der hl. Josefmaria erneut, denn das Werk litt gerade in Barcelona unter großem Unverständnis, obwohl es mittlerweile überall, wo es arbeitete, mit der Unterstützung der Bischöfe rechnen konnte. Aber die Botschaft der Heiligung der Arbeit, die das Opus Dei verbreitete, war einfach zu neu. Und Gott ließ zu, dass gerade in dieser Stadt die Widerstände besonders hart waren. Um seinen ersten katalanischen Söhnen Mut zuzusprechen, versicherte Josemaría Escrivá ihnen, dass Gott auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit die apostolische Arbeit des Werkes in der katalanischen Hauptstadt mit reichen Früchten segnen würde.
Am 16. Mai 1945 ließ er das Allerheiligste in einem der ersten Zentren des Opus Dei der Stadt und hatte dann die Gelegenheit, vor der Skulptur Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit zu beten, bevor er zum Kloster Montserrat weiterfuhr, vermutlich, um den Abt zu besuchen und bei der Patronin von Katalonien zu beten.
Während die Arbeit wuchs, wurden die Schwierigkeiten und das Unverständnis nicht weniger, sondern eher größer und heftiger. Andererseits stellte sich immer klarer die Notwendigkeit einer rechtlichen Anerkennung seitens des Heiligen Vaters heraus, die erlauben würde, auch in anderen Ländern die Arbeit aufzunehmen. Daher reiste Alvaro del Portillo am 25. Februar 1946 nach Rom. Er selbst erinnerte sich Jahre später an die erste Antwort die er erhielt: „Unter anderem wurde mir gesagt, dass es noch nicht möglich sei, die Approbation des Opus Dei zu bekommen: wir seien ein Jahrhundert zu früh geboren worden – das war die wörtliche Fassung. Die Schwierigkeiten waren so groß und augenscheinlich unüberwindbar, dass ich mich entschloss, dem Vater zu schreiben, um ihm die Notwendigkeit nahe zu legen, selber nach Rom zu kommen.“ Das tat er denn auch. Der hl. Josefmaria litt in jener Zeit unter einem so schweren Diabetes, dass der behandelnde Arzt es abgelehnt hatte, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen für den Fall, dass er diese Reise unternehme. Trotzdem entschied er, sie zu machen, und zwar per Schiff, von Barcelona aus Richtung Genua.
Im Juni verließ er Madrid und hielt unterwegs in Saragossa, um die Muttergottes von Pilar zu besuchen, und in Montserrat. Am 21. Juni erreichte er Barcelona, wo er sich sofort mit seinen Söhnen im Zentrum des Opus Dei in der Muntaner-Straße treffen wollte. Auch nach Jahren erinnern sich alle Anwesenden noch an die kindliche Klage, die der hl. Josefmaria in der Kapelle von Muntaner fomulierte: „Herr, kannst du zulassen, dass ich guten Glaubens so viele Seelen betrüge? Ich habe doch alles zu deiner Verherrlichung getan, im Wissen, dass es dein Wille ist.“ Dann machte er sich die Worte des hl. Petrus an den Herrn zu eigen: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt, was werden wir dafür bekommen?“ (Mt 19, 27) . Im Laufe dieses Bittgebets wandte sich der hl. Josefmaria mehrere Male an Unsere Liebe Frau von der Barmherzigkeit um sich selbst und alle seine Anliegen unter ihren mütterlichen Schutz zu stellen. „Ich kam nach Rom mit dem Blick auf meine Mutter Maria gerichtet und mit einem glühenden Glauben an Gott unseren Herrn, den ich voller Vertrauen anrief: ‚Ecce nos reliquimus omnia et secuti sumus te; quid ergo erit nobis?’, was werden wir also dafür erhalten, mein Vater,“ erinnert er sich später.
Nachdem er nach deiner furchtbaren Schiffsreise in der J.J. Sister in der Ewigen Stadt angekommen war, lösten sich die Schwierigkeiten bezüglich der rechtlichen Anerkennung verhältnismäßig schnell in mehreren Schritten. Der Heilige Stuhl gewährte das Breve „Cum societatis“, eine ausdrückliche Zustimmung zur pastoralen Aufgabe, und das Schreiben „Brevis sano“, eine Anerkennung der Ziele des Opus Dei, das dem „Decretum laudis“ vorausging, welches am 24. Februar 1947 gewährt wurde. Der hl. Josefmaria verstand sehr wohl, dass diese Approbationen auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit zurückgingen und ließ in Erinnerung an diese Reise in der Kapelle von Muntaner ein Bild dieser Muttergottes aufhängen, wo jene Worte des hl. Petrus stehen: „Siehe, wir haben alles verlassen...“ Später ließ er ebenfalls ein solches Bild im Zentralsitz des Opus Dei in Rom anbringen.
Der hl. Josefmaria wollte wiederkommen
Am 21. Oktober 1946 wollte er noch einmal nach Barcelona zurückkehren, um sich persönlich bei der Merced für ihr mütterliches Eingreifen auf dem juristischen Weg des Werkes zu bedanken. Diese Anrufung Mariens blieb endgültig als ein Meilenstein in der Erinnerung des hl. Josefmaria haften und nahm einen besonderen Platz in seinem Herzen ein, zusammen mit Unserer Lieben Frau von Pilar von Saragossa, der Stadt, wo er zum Priester geweiht wurde, mit Torreciudad, Sonsoles, Loreto und Guadalupe u.a.
Von jenem Augenblick an kam er noch häufiger in die Stadt und in die Kirche, und so machten es auch seine Nachfolger und viele Mitglieder des Opus Dei. Wie ein Sohn in einer Notlage, der seine Mutter um Hilfe bittet, kam der Gründer des Opus Dei Ende der 60er Jahre auf seiner Rundreise durch viele marianische Heiligtümer und Wallfahrtsstätten, wo er für die Lage der Kirche betete. Er kam auch bei anderen Gelegenheiten, wie ein Verliebter, der keine Gelegenheit auslässt, dem geliebten Menschen eine Freude zu machen. Fast am Ende seines Lebens, wie zum Beispiel am 28. November 1972, dankte er in einem Marienheiligtum für alle Gnaden, die er von Maria erhalten hatte und ganz besonders für die Hilfe bei seiner ersten Reise nach Rom. Als er am 7. Oktober 1966 zum Ehrensohn der Stadt Barcelona ernannt wurde, sagte er in seiner Rede ganz in diesem Sinne: „Wenn irgendwann die Geschichte des Opus Dei geschrieben werden wird – und wie viele Ereignisse kommen mir da jetzt in den Sinn! –, werden auf den Seiten dieses Buches Tatsachen berichtet werden, die in dieser Stadt geschehen sind, unter euch und unter dem Blick Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit.“