Betrachtungstext: Unbeflecktes Herz Mariens

Maria bringt den Himmel auf die Erde – Selig, die reinen Herzens sind – Alles mit dem Herzen erwägen

NACHDEM wir gestern die Weite und Tiefe des Herzens Jesu betrachtet haben, richten wir unseren Blick heute auf das Herz seiner Mutter. Von Herzen freue ich mich am Herrn. Meine Seele jubelt über meinen Gott. Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils (Jes 61,10). Die Kirche projiziert diese Worte des Propheten Jesaja auf die Gestalt Marias. Um „dem Heiligen Geist eine würdige Wohnung“1 zu bereiten, so beten wir im Tagesgebet, überschüttete der Herr Marias Herz mit Gnaden und bekleidete es mit Reinheit.

Der heilige Kirchenvater Ephräm aus Syrien war bekannt für seine Loblieder auf Maria. So schrieb er etwa: „Maria ist für uns zum Himmel geworden, da sie die Gottheit trug, die Christus, ohne dass er die Herrlichkeit seines Vaters verließ, in die Enge eines Mutterschoßes einschloss, um die Menschen zu einer höheren Würde zu führen.2 Da sie sich von der Gnade erfüllen ließ, wird Maria gewissermaßen zum Himmel, zum Licht und zur Herrlichkeit Gottes. Maria erlangte eine Größe, die sie vor Freude frohlocken ließ: Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. (...) Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter (Lk 1,46-48).

Wir wollen in diesen Chor der „Geschlechter“ einstimmen, die selig bestaunen, was die Gnade im Herzen Marias bewirkt hat, und dieses Glück mit unserer Mutter teilen. In Erinnerung daran, wie Gott in unserem Leben gewirkt hat, möchten auch wir unser Magnificat singen. Schließen wir uns dem Gebet an, das die Kirche heute an Gott Vater richtet: „Auf ihre Fürbitte hin erfülle auch unser Leben mit deiner Gegenwart und mache uns zu einem Tempel deiner Herrlichkeit.3


SELIG, DIE rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen (Mt 5,8), wird der Sohn Marias in seiner Verkündigung sagen. Die Jungfrau durfte den Mensch gewordenen Gott von seiner frühesten Kindheit an schauen. Ihr reiner Blick war fähig, den Blick Jesu zu verstehen, ihr reines Herz war in der Lage, viele seiner Gefühle und Absichten zu erahnen. In Kana wusste Maria hinter einer abschlägigen Antwort die Bereitschaft ihres Sohnes zu erkennen, sich vorzeitig als Messias zu erweisen; am Kreuz entdeckte sie im Blick ihres Sohnes die sanfte Bitte, sich in diesen schweren Augenblicken nicht abzuwenden.

Marias einfacher Blick ließ sie hinter all den großen und kleinen Ereignissen ihres Lebens die Hand Gottes entdecken; dies war die Quelle ihrer ständigen Freude. Die Reinheit des Herzens lässt uns einen hellen Blick haben, der in der Lage ist, in die innere Wirklichkeit der Dinge vorzudringen. Er versteht, dass alles seinen Ursprung und sein Ziel in Gott hat. Wenn es einem Blick hingegen an Unschuld mangelt und& er sich nicht für dieses Geschenk Gottes öffnet, kann er leicht am Äußerlichen und Oberflächlichen hängen bleiben.

Ein Mensch mit einem reinen Herzen versteht seine Mitmenschen. Er möchte sie weder klassifizieren noch etikettieren noch in verschiedene Schubladen stecken, sondern sie aufrichtig lieben. Ein reines Herz möchte nicht Abstände zu den Menschen schaffen, sondern jeden Menschen als Kind Gottes wahrnehmen, das es verdient, so behandelt zu werden, wie es seiner großen Würde entspricht. Mit einem reinen Herzen können wir unsere Mitmenschen mehr und besser lieben. Eine Liebe, wie die der Mutter Jesu, findet zudem Wege, um auch noch unerwünschte Situationen für die anderen erträglich und schön zu machen. So sagte Papst Franziskus: „Maria versteht es, mit ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe einen Tierstall in das Haus Jesu zu verwandeln.“4


BEI ALL IHREN Privilegien als Mutter des Herrn war Marias Leben nicht von Sorgen und Mühen befreit. Der heilige Josefmaria weist darauf hin: „Auch wenn Gott seine Mutter hoch erheben wollte, ist ebenso gewiss, dass Maria in ihrem irdischen Leben weder die Erfahrung des Schmerzes noch die Mühsal der Arbeit, noch das Helldunkel des Glaubens erspart blieben.5 In der Episode des vermissten Jesusknaben finden wir einen dieser helldunklen Momente. Zu dem schrecklichen Kummer der Eltern, nicht zu wissen, wo er war, gesellte sich später die Befremdung über die Worte ihres Sohnes: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? (Lk 2,49).

Wir dürfen nicht verlangen, alle Ratschlüsse des Herzens Jesu verstehen zu können. Im Leben seiner Jünger, sogar im Leben seiner Mutter, gibt es Momente, in denen Gott uns überrascht, wie wenn er uns daran erinnern wollte, dass er immer noch etwas hat, das über unseren Planungen steht. Es ist tröstlich zu denken, dass auch Maria solche Erfahrungen gemacht hat. Die Heilige Schrift zögert nicht zu sagen, dass Maria und Josef die Antwort Jesu nicht verstanden. Es wird jedoch hinzugefügt: Seine Mutter bewahrte all die Worte in ihrem Herzen (Lk 2,51).

Zu wissen, dass hinter allem Gottes Hand steht, heißt nicht, dass wir jeden einzelnen seiner Pläne unmittelbar und zur Gänze verstehen. In unserem Gebetsleben gibt es auch Momente der Dunkelheit, in denen der Herr uns um Vertrauen bittet, um jenen reifen Glauben, der die Momente der Prüfung erhellt. Maria wusste, dass der Heilige Geist in ihrem Herzen wohnte: Das war der richtige Ort, um zusammen mit Gott und manchmal auch unter Schmerzen sogar jene Lebenslagen zu lieben, die sie erst mit der Zeit besser verstehen würde. Und wir wollen, dem Beispiel unserer Mutter folgend und mit ihrer Hilfe, dasselbe tun.


1 Schott Messbuch, Gedenktag Unbeflecktes Herz Mariä, Tagesgebet.

2 Hl. Ephräm, Sermo 3 de diversis: Opera omnia, III syr. et lat. Romæ 1743, 607: Maria vero caelum pro nobis facta est divinitatem portans, quam Christus absque eo, quod a paterna gloria recederet, intra angustos uteri limites conclusit, ut homines ad altiorem dignitatem extolleret. Zitiert im Stundenbuch. Lesehore, Gedenktag ULF von Fatima, 2. Lesung.

3 Schott Messbuch, Gedenktag Unbeflecktes Herz Mariä, Tagesgebet.

4 Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 286.

5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 172.