Betrachtungstext: 5. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Jesus scheut sich nicht, sich um die Seelen zu kümmern – Erkennen, dass wir Gott brauchen – Die Kraft des Glaubens einer Mutter

WÄHREND des gesamten öffentlichen Lebens Jesu wiederholte sich immer wieder dasselbe Muster: Der Herr versucht, sich zurückzuziehen, um durchzuatmen, zu beten, nachzudenken und sich mit seinen Aposteln auszutauschen, doch die Menschenmengen machen es ihm schwer, diese Räume zu finden. Ein anderes Mal versucht er, unbemerkt zu bleiben, aber sein Wunsch wird nicht erfüllt: Er ging in ein Haus, wollte aber, dass niemand davon erfuhr; doch es konnte nicht verborgen bleiben (Mk 7,24). Das menschliche Bedürfnis Jesu, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, ist bewegend. Aber noch bewegender ist es, daran zu denken, dass der Herr sich nicht schont und den Seelen immer volle Aufmerksamkeit schenkt.

Einem der bekanntesten Wunder Jesu, der Vermehrung der Brote und Fische, ist eine solche Szene vorausgegangen. Der Herr lädt die Zwölf ein in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen (Mk 6,32-34). Jesus, der einen ruhigen Tag geplant zu haben scheint, verbringt den ganzen Tag mit diesen Menschen, so dass seine Apostel ihn auffordern, sie wegzuschicken, weil es zu spät geworden ist.

Da haben wir wunderbare Beispiele für jene, die das gewöhnliche Leben heiligen wollen. Der heilige Josefmaria erinnert uns daran, dass „gerade diejenigen, die keine Zeit haben, Christus besonders wichtig sind“1, d. h. Menschen, die ein arbeitsreiches Leben führen, die intensiv arbeiten. In der Tat hat Jesus so gelebt, und deshalb sind die Christen aufgerufen zu erkennen, dass „die Zeit kurz ist, in der wir lieben können“2. Jesus hatte keinen Zeitplan, denn die Erlösung war für ihn keine Aufgabe unter anderen, die es zu erfüllen galt. Und mit dieser Haltung sind auch wir aufgerufen, unser Leben als Christen anzugehen.


ALS SICH DIE NACHRICHT verbreitete, dass Jesus in diese Gegend gekommen war, begannen viele Menschen das Haus zu belagern, in dem er sich aufhielt. Für eine Frau aber bedeutete die Anwesenheit Jesu etwas anderes, etwas Entscheidendes: die Möglichkeit, für ihre Tochter, die von einem unreinen Geist besessen war, um Heilung zu bitten. So ging sie direkt zu unserem Herrn und warf sich in flehender Haltung und voller Demut zu seinen Füßen nieder, um ihn um das Wunder zu bitten. Der heilige Josefmaria schreibt: „Wenn du dir klar machst, wie viele Menschen die wunderbare Gelegenheit der Begegnung mit Christus ungenutzt und Ihn an sich vorbeigehen haben lassen, dann frage dich auch: Wieso hat dieser eindeutige, providentielle Ruf, der mir den Weg wies, gerade mich erreicht?“3 Im Evangelium gibt es viele, die sich des Ausmaßes dessen, was sie sahen, nicht bewusst waren. Zum Glück haben wir auch das Beispiel dieser Frau und anderer wie Jairus oder die Freunde des Gelähmten.

Die Stellen im Evangelium, die diese Art von Bitten an Christus schildern, haben etwas gemeinsam: das Gefühl, in Not zu sein. Die Frau, die um die Heilung ihrer Tochter bittet, sieht in Christus ihre einzige Möglichkeit, weiterzukommen, ihre einzige Chance, den Lauf des Schicksals zu ändern. Du behauptest: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir. Du weißt aber nicht, dass gerade du elend und erbärmlich bist, arm, blind und nackt (Offb 3,17), erinnert uns die Apokalypse mit deutlichen Worten.

Die zuversichtliche Haltung dieser Frau, das Wissen, dass sie Jesus braucht, ist ein Bild des echten Glaubens. Von Papst Franziskus sind folgende Worte: „Das Wissen um die eigene Kleinheit, das Wissen um die eigene Erlösungsbedürftigkeit ist unerlässlich dafür, den Herrn zu empfangen. Das ist der erste Schritt, um uns ihm gegenüber zu öffnen. Oft vergessen wir das aber. Im Wohlstand, im Wohlergehen geben wir uns der Illusion hin, autark zu sein, uns selbst zu genügen, Gott nicht zu benötigen. (...). Wenn wir es recht bedenken, wachsen wir nicht so sehr dank der Erfolge und der Dinge, die wir haben, sondern vor allem in den Augenblicken des Kampfes und der Fragilität. Da, in der Not, reifen wir (...). Das wäre ein gutes Gebet: ,Herr, schau auf meine Schwächen …‘, und sie ihm aufzuzählen. Das ist eine gute Haltung vor Gott.“4


DAS GESPRÄCH, das sich zwischen Jesus und der Frau, die zu ihm kam, entspann, ist ein Beispiel für den beharrlichen Glauben. Sie war syrophönizischer Abstammung, d. h. sie gehörte nicht zum auserwählten Volk. Deshalb antwortet der Herr, als er ihre Bitte hört, mit Worten, die für uns hart klingen mögen: Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen (Mk 7,27). Der Herr weist darauf hin, dass seine Priorität in diesem Moment darin besteht, die verlorenen Schafe des Hauses Israel wiederzufinden. Aber es war nicht das erste Mal, dass der Herr dem, was man von ihm verlangte, Steine in den Weg zu legen schien: Man denke nur an Kana, als er seiner Mutter sagte, dass seine Stunde noch nicht gekommen sei (vgl. Joh 2,4).

Doch wie bei jener Hochzeit ließ sich Jesus erneut vom Herzen einer Mutter überzeugen, die es verstand, ihre Liebe auf zarte Weise zum Ausdruck zu bringen, indem sie betonte: Herr! Aber auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrumen der Kinder (Mk 7,28). Angesichts dieser Antwort folgen sofort die Worte Christi: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst (Mt 15,28). Einmal mehr stellt das Evangelium den Glauben als den Schlüssel dar, der Gott die Türen unseres Herzens öffnet, damit er sein Werk vollbringen kann.

Der große Glaube dieser Frau ist ein Spiegelbild des Glaubens der heiligen Maria. Papst Franziskus lädt uns zur Reflexion ein: „Wir können uns eine Frage stellen: Lassen wir uns erleuchten vom Glauben Marias, die unsere Mutter ist? Oder meinen wir, sie sei uns fern und ganz anders als wir? Blicken wir in Augenblicken der Schwierigkeiten, der Prüfung, der Dunkelheit auf sie als Vorbild des Vertrauens auf Gott, der immer nur unser Wohl will?“5


1 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 199.

2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 39.

3 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 200.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 3.10.2021.

5 Franziskus, Audienz, 23.10.2013.