Betrachtungstext: 4. Woche der Fastenzeit – Mittwoch

Gott erhält uns im Dasein – Von Jesus lernen wir, Kinder Gottes zu sein – Beim Gericht siegt die Liebe des Vaters

JESUS HAT am Sabbat einen Gelähmten geheilt, doch zu unserem Erstaunen verhaken sich die Gesetzeslehrer in einer Wochentagsfrage, statt an die freie Sichtbarwerdung Gottes zu glauben. Gestützt auf eine rigide Auslegung der Heiligen Schrift, sind sie nicht bereit, jemandem zu erlauben, am Sabbat irgendeine Verrichtung durchzuführen, nicht einmal Wunder oder Heilungen. Sie haben sich dem Licht des Heiligen Geistes – worum wir bitten – nicht geöffnet und von der Wirklichkeit, die ihnen vor Augen stand, nicht ansprechen lassen.

Jesus antwortet mit einem lapidaren Satz: Mein Vater wirkt immer, und auch ich wirke (Joh 5,17). Diese Worte enthalten eine gewichtige theologische Wahrheit, die Licht auf unsere geschöpfliche Verfasstheit wirft. Sicherlich versichert die Bibel, dass Gott am Sabbat ruhte, um anzudeuten, dass er keine neuen Geschöpfe mehr schuf, doch „er wirkt immer und beständig“, so lehrt der heilige Thomas, „um sie im Sein zu erhalten (...). Gott ist die Ursache aller Dinge auch in dem Sinne, dass er sie bestehen lässt; denn würde seine Macht zu einem gegebenen Moment unterbrochen werden, hörten alle Dinge, die die Natur enthält, augenblicklich auf zu existieren.“1 Unser Dasein hängt vollständig von Gott ab, in jedem Augenblick. Jede Sekunde unseres Lebens ist eine Gunst, die uns der Herr vertrauensvoll gewährt. Der Schöpfer hat sich von seinem Werk nicht zurückgezogen, sondern „arbeitet weiter“, so Worte von Benedikt XVI., „in und an der Geschichte der Menschen2.

Wie der heilige Josefmaria erklärte, „ist der Gott unseres Glaubens kein fernes Wesen, das gleichgültig auf das Los der Menschen blickt. Er ist ein Vater, der seine Kinder inniglich liebt, ein Schöpfergott, der überfließt vor Zuneigung zu seinen Geschöpfen. Und er gewährt dem Menschen das große Privileg, lieben und damit das Vergängliche und Vorübergehende überschreiten zu können.3


IN SEINER ANTWORT an jene, die ihm vorwarfen, am Ruhetag zu heilen, offenbart Jesus implizit seine göttliche Natur, womit er sich als Herr über den Sabbat (Lk 6,5) erweist. Die Rabbiner unterschieden zwischen Gottes „Arbeit“ an der Schöpfung, die am Sabbat endete, und seinem Wirken durch die Vorsehung, das ständig weitergeht. Wenn Jesus sich nun aber auf eine Stufe mit dem Vater stellt, indem er sich mit dessen ständigem Wirken zugunsten der Menschen vereint, ist diese Behauptung für seine Gegner anstößig. Darum suchten die Juden noch mehr suchten, ihn zu töten, sagt uns die Heilige Schrift,weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich damit Gott gleichmachte (Joh 5,18). Jesus versucht nicht, sie von diesem Gedanken abzubringen, denn er ist wahrhaftig der Sohn. Die Abstammung vom Vater steht im Zentrum seines Wesens und seiner Sendung, sie ist ein wesentlicher Teil seines Geheimnisses. Bis zu diesem Moment hatte sich noch niemand in der gesamten Heilsgeschichte an Gott gewandt und ihn dabei mit „mein Vater“ angesprochen, wie Jesus dies stets tat; und noch weniger mit dem vertrauensvollen Wort, das die hebräischen Kinder benutzten, um ihren Vater zu rufen: abba, Papa.

Amen, amen, ich sage euch, wendet sich der Herr eindringlich an seine Zuhörer: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht.Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn (Joh 5,19-20). Jesus Christus ist das vollkommenste Modell der Einheit mit dem Vater. Johannes Paul II. fordert uns zur Nachahmung auf: „Indem wir uns auf dieses Modell beziehen und es in unserem Gewissen und in unserem Verhalten widerspiegeln, können wir in uns eine ,christusähnliche‘ Lebensweise und -ausrichtung entwickeln, in der die wahre Freiheit der Kinder Gottes (vgl. Röm 8,21) zum Ausdruck kommt und verwirklicht wird.4 Im Lichte des Beispiels Christi können wir tatsächlich besser begreifen, dass es das Bewusstsein unserer Gotteskindschaft ist, was uns zutiefst frei macht: „Zu wissen, dass wir aus Gott stammen“, schrieb der hl. Josefmaria, „dass wir von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit geliebt werden, dass wir Kinder des erhabensten Vaters sind. Ich bitte unseren Herrn darum, wir möchten dessen ganz und gar innewerden, es Tag für Tag auskosten: dann werden wir als freie Menschen handeln. Und vergesst nicht: Wer sich nicht als Sohn Gottes weiß, kennt nicht die innerste Wahrheit seines Seins, und es fehlen ihm in seinem Handeln die Würde und die Überlegenheit jener, die den Herrn über alles lieben.5


AUCH RICHTET der Vater niemanden, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, fährt Jesus fort, ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat. Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen (Joh 5,22-24). Wenn von der Endzeit, dem besonderen Gericht und dem Endgericht die Rede ist, empfinden wir möglicherweise eine gewisse Furcht. Es ist gut, diese Furcht in Hoffnung umzuleiten, denn wir wissen, dass unser Richter Jesus sein wird, der, vom Vater gesandt, gekommen ist, um uns zu retten. Christus hat sein Leben für uns hingegeben: Wenn wir unseren Blick auf ihn richten, der ans Kreuz genagelt wurde und dann von den Toten auferstanden ist, begreifen wir, dass seine Gerechtigkeit immer Hand in Hand geht mit dem Geheimnis der Gnade und seiner Liebe zu uns.

Sicherlich „löscht die Gnade die Gerechtigkeit nicht aus“, schreibt Benedikt XVI. in Spe salvi. „Sie macht das Unrecht nicht zu Recht. Sie ist nicht ein Schwamm, der alles wegwischt, so dass am Ende dann eben doch alles gleich gültig wird, was einer auf Erden getan hat (...). Unser Leben ist nicht gleichgültig, aber unser Schmutz befleckt uns nicht auf ewig, wenn wir wenigstens auf Christus, auf die Wahrheit und auf die Liebe hin ausgestreckt geblieben sind. Er ist im Leiden Christi letztlich schon verbrannt. Im Augenblick des Gerichts erfahren und empfangen wir dieses Übergewicht seiner Liebe über alles Böse in der Welt und in uns. Der Schmerz der Liebe wird unsere Rettung und unsere Freude.“6

„Hab keine Angst vor dem Tod. – Nimm ihn schon jetzt großmütig an ..., wann Gott will ..., wie Gott will ..., wo Gott will. – Sei ganz sicher: Er kommt zu einer Zeit, an einem Ort und in einer Weise, wie es für dich am besten ist ..., gesandt von deinem Vater Gott. – Willkommen sei unser Bruder Tod!“7 So schrieb der Gründer des Opus Dei, den es auch tröstete zu wissen, dass derjenige, der uns erwartet, „kein Richter im strengen Sinne des Wortes sein wird, sondern einfach Jesus8. Und auch unsere himmlische Mutter wird dann da sein und für uns Fürsprache einlegen, sie, die Zuflucht der Sünder und unsere Hoffnung.


1 Hl. Thomas von Aquin, Kommentar zum Evangelium des Johannes, 5,16.

2 Benedikt XVI., Ansprache, 12.9.2008.

3 Hl. Josefmaria, Discursos sobre la Universidad, Nr. 8.

4 Hl. Johannes Paul II., Generalaudienz, 24.8.1988.

5 Hl. Josemaría, Freunde Gottes, Nr. 26.

6 Benedikt XVI., Spe Salvi, Nr. 44.47.

7 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 739.

8 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 168.