Betrachtungstext: 2. Woche der Fastenzeit – Dienstag

Ein kohärentes Leben, das Jesus Christus widerspiegle – Reine Absicht, um Gott die Ehre zu geben – Die Demut öffnet uns für die Größe Gottes

AUF DEM STUHL des Mose sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht (Mt 23,2-3). In den Synagogen gab es einen besonderen Stuhl, auf dem jeweils derjenige Rabbiner Platz nahm, der die Heilige Schrift erklärte. Im übertragenen Sinne stand der „Stuhl des Mose“ für das Lehramt der Lehrer des Volkes, die das Gesetz lehrten und auslegten. Doch führten sie, wie der Herr andeutet, ein derart inkohärentes Leben, dass sie die von ihnen aufgestellten Vorschriften selbst unerfüllt ließen.

Die einfachen Leute hingegen suchten Jesus, weil an ihm alles wahr war. Sie folgten dem Herrn mit Begeisterung, weil er lebte, was er predigte. Während der Meister voranging und den Weg eröffnete, legten die Pharisäer und Schriftgelehrten anderen schwere und unerträgliche Lasten auf die Schultern, selber aber wollen sie keinen Finger rühren (Mt 23,4). Jesus fordert die Seinen auf, täglich ihr Kreuz auf sich zu nehmen (vgl. Lk 9,23), denn er geht voraus, und zwar mit dem allerschwersten Kreuz. Die Amtsinhaber waren im Gegensatz dazu fordernd gegenüber den anderen und nachsichtig gegenüber sich selbst; sie reden, doch erkennen wir an ihnen keine guten Früchte.

Auch wenn es im christlichen Leben nicht darum geht, etwas zu tun, damit es von anderen gesehen wird, hilft ein kohärentes Leben mehr als bloße Worte. Wenn der Geist, in dem wir unsere Alltagspflichten angehen, den Zauber des Friedens und der Freude Christi widerspiegelt, wird er authentische Weitergabe des Evangeliums sein. „Es hängt von der Stimmigkeit unseres Lebens ab, ob unsere Brüder und Schwestern Jesus Christus erkennen, den einzigen Erlöser und die Hoffnung der Welt“,1 predigte Papst Franziskus.


JESUS warf den Amtsinhabern vor, sich mehr um den Schein als um die Wahrheit zu kümmern. Alles tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden (Mt 23,5): Sie haschen nach dem Lob der Menschen, suchen sich die vordersten Plätze in den Versammlungen, lechzen nach Ehrerbietung ... Sie tun alles, um sich Ansehen zu verschaffen. Sie führen ihr Leben wie in der Auslage, wie auf einer Bühne, und begnügen sich damit, äußere Formen zu wahren, die nicht der Liebe entspringen: Sie folgen „dem Buchstaben“, so schrieb Origenes, „sie kennen seinen Geist nicht2.

Es ist selbstverständlich, dass uns an der Meinung der anderen liegt, denn wir leben in einer Gesellschaft. In gewisser Weise sollen wir von den Menschen um uns herum akzeptiert und geschätzt werden, insbesondere von denen, die uns lieben. Die reine Absicht führt uns jedoch dazu, das Schwergewicht unserer Bemühungen auf die Freude zu legen, die wir Gott machen, und auf das Wohl der anderen. Wir wollen nur insofern gefallen, als wir die Menschen, die wir lieben, glücklich machen wollen.

Der heilige Josefmaria pflegte zu sagen, dass Lauterkeit der Absicht heißt, „ausschließlich und in allem“ die Ehre Gottes zu suchen.3 Das ist das entscheidende Kriterium, das unser Handeln prägen soll. Laut Papst Franziskus ist das „der Wegweiser, der uns Orientierung gibt, wenn wir nicht sicher sind, was das Richtige zu tun ist. Es hilft uns, in unserem Inneren die Stimme Gottes zu vernehmen. (...). Die Verherrlichung Gottes ist die Kompassnadel für unser Gewissen.“4 Selbst wenn sich in unseren Herzen verschiedene Absichten und Wünsche vermischen, wird uns die Prüfung der Motive unseres Handelns allmählich davon befreien, vor dem Blick der Menschen zu handeln, um in den Frieden einzutreten, den das Handeln vor dem Angesicht Gottes schenkt.


ANGESICHTS der Haltung der Schriftgelehrten und Pharisäer macht der Herr einen Vorschlag: Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden (Mt 23,11-12). Die Demut erweist sich als unentbehrlich, damit Gott uns mit seinen Gaben erfüllen kann, denn „durch die Stufen der Demut steigt man zu den Höhen des Himmels auf“,5 wie der heilige Augustinus bemerkte. In Erinnerung an die Leiter, die der Patriarch Jakob im Traum sah und auf der die Engel zwischen Erde und Himmel auf- und niedersteigen (vgl. Gen 28,12), schreibt ein anderer Kirchenvater, dass „wir durch Selbsterhöhung hinab steigen und durch Demut hinauf. [So] ist unser Leben auf Erden. Gott gibt ihm die Richtung zum Himmel, wenn das Herz demütig ist.“6

Die Demut lässt uns unser Elend und unsere Größe entdecken. Sie ermöglicht es uns, so der heilige Josefmaria, „dass wir uns so sehen, wie wir sind, ungeschminkt, wahrhaftig. Indem wir unsere Armseligkeit begreifen, öffnen wir uns der Größe Gottes, und das ist es, was unsere eigentliche Größe ausmacht.7 Eine solche demütige und großzügige Haltung gibt dem Herrn die Möglichkeit zu handeln. Wo Demut ist, da ist Weisheit, erklärt das Buch Jesus Sirach. Bei all deinem Tun bleibe bescheiden und du wirst geliebt werden von anerkannten Menschen! (Sir 3,17).

Der heilige Josefmaria fährt fort: „Gott wünscht unsere Demut als die Befreiung von den Fesseln des eigenen Ich einzig und allein deshalb, damit er uns ganz erfüllen kann. Er will, dass wir keine Hindernisse aufrichten, sondern in unseren armen Herzen – sagen wir es mit einem Bild – seiner Gnade mehr Raum lassen.8 Maria, die Magd des Herrn, wird uns als gute Mutter helfen, unser Herz von allem zu reinigen, was uns daran hindert, etwas noch Besseres zu empfangen. So wird der Herr uns mehr und mehr mit seinen Gaben bereichern können.


1 Franziskus, Predigt, 31.7.2018.

2 Origenes, Catena aurea, Homilia 23 in Matthaeum.

3 Vgl. hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 921.

4 Franziskus, Predigt, 31.7.2018.

5 Hl. Augustinus, Sermo über die Demut und die Furcht Gottes.

6 Hl. Benedikt von Nursia, Die Regel des hl. Benedikt, Kap. 7.

7 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 96.

8 Ebd., Nr. 98.