Betrachtungstext: 2. Sonntag im Jahreskreis (A)

Die Kirche und der Christ, die das Licht Christi widerspiegeln – Jesus mehr und mehr kennenlernen – Das Heil durch das Lamm Gottes

"ES IST ZU WENIG, dass du mein Knecht bist", sagt Gott zum Propheten Jesaja, "nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht der Nationen; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht" (Jes 49,3.6). Diese Worte, die sich ursprünglich auf das Volk Israel bezogen, finden ihre volle Erfüllung in Jesus und seiner Kirche. Das neue Volk Gottes ist nicht auf eine Region, eine Kultur oder eine Gesellschaft beschränkt: Der Herr dehnt sein Heil auf alle Völker und alle Menschen aus.

Seit der Zeit der ersten Jünger Jesu ist "die Kirche gerufen, das Licht Christi in der Welt leuchten zu lassen, indem sie es in sich widerspiegelt, wie der Mond das Licht der Sonne reflektiert".1 In ihr erfüllen sich die Prophezeiungen über die Stadt Jerusalem: "Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht (...). Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz" (Jes 60,1-3). Aus diesem Grund deutet die Kirche in ihrer Berufung, jeden konkreten historischen Augenblick zu erhellen, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums. Dabei hat sie stets ihren Auftrag vor Augen. Auf diese Weise wird sie nie aufhören, "auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben".2

Jeder Gläubige ist dazu berufen, den Menschen das Licht zu bringen, das Christus in ihren Seelen entzündet hat. "In der Kirche gibt es verschiedene Dienste, aber nur ein einziges Ziel: die Heiligung der Menschen. Und an diesem Werk haben auf irgendeine Weise kraft des in Taufe und Firmung empfangenen Prägemales alle Christen teil. Alle müssen wir uns für diese Sendung der Kirche verantwortlich fühlen, die ja die Sendung Christi ist".3 Wir sind alle Apostel. In diesem Sinne und in der Überzeugung, dass die persönliche Vereinigung mit Jesus das Wichtigste bei einer Aufgabe ist, die von Gott abhängt, betonte der heilige Josefmaria: "Die Welt und Christus. Unser Auftrag. Wir sind wenige, wenn wir mehr sein wollen, müssen wir besser sein!"4

JOHANNES DER TÄUFER war sich bewusst, dass seine Größe von dem kam, der ihm vorausging. Sein ganzes Leben drehte sich um den Messias. Seine Aufgabe war es, die Herzen der Menschen auf sein Kommen vorzubereiten. Deshalb wollte er, als er ihn vorbeigehen sah, dass die Anwesenden denjenigen erkennen, der ihrer Existenz einen Sinn gibt: "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt! Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, damit er Israel offenbart wird" (Joh 1,29-31). In ähnlicher Weise weiß der Christ, dass das Licht, das er weitergeben kann, nicht sein eigenes ist, sondern das des Herrn.

Es ist vielleicht bemerkenswert, dass der Täufer sagte: "Auch ich kannte ihn nicht", denn Johannes hatte die Nähe Christi schon im Mutterleib von Elisabeth erfahren, als Maria seine Mutter besuchte (vgl. Lk 1,41-42). Wir können davon ausgehen, dass sie sich auch zu anderen Zeiten, als sie Kinder und Jugendliche waren, getroffen haben. Doch egal, wie oft Johannes mit Jesus zusammen war, es reichte nicht aus, um ihn genau zu kennen: Er musste immer wieder neue Aspekte seiner Person und seiner Sendung entdecken.

"Wir lernen von Johannes dem Täufer, nicht davon auszugehen, Jesus bereits zu kennen, bereits alles über ihn zu wissen (vgl. Joh 1,31). Dem ist nicht so. Verweilen wir beim Evangelium und betrachten vielleicht auch ein Bild Christi, ein »Heiliges Antlitz«. Betrachten wir mit unseren Augen, und mehr noch mit unseren Herzen. Und lassen wir uns vom Heiligen Geist belehren, der uns im Inneren sagt: Er ist es! Er ist der Sohn Gottes, das aus Liebe geopferte Lamm".5 Wenn wir Jesus auf diese Weise betrachten, wie der Täufer, immer mit der Offenheit, den Herrn immer besser kennenzulernen, ohne davon auszugehen, dass wir ihn bereits ausreichend kennen, werden wir besser in der Lage sein, das Licht weiterzugeben, das von Gott kommt, das nicht erlischt und nach dem so viele Menschen suchen.

JOHANNES STELLT Jesus als "das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt", vor (Joh 1,29). Vielleicht assoziierten die Zuhörer diese Worte mit dem Passahlamm, dessen Blut in der Nacht der Befreiung der Juden aus der Sklaverei in Ägypten vergossen worden war. Jedes Jahr wurde eines im Tempel geopfert, um der Befreiung zu gedenken, die Gott seinem Volk gewährt hatte. All dies war in Wirklichkeit ein Bild dessen, was Christus sein würde, der mit dem Opfer auf Golgatha für die ganze Menschheit um Vergebung bitten würde. "Er ist das wahre Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, durch seinen Tod hat er unseren Tod vernichtet und durch seine Auferstehung das Leben neu geschaffen".6

Johannes der Täufer stellt den Messias also schon sehr früh als denjenigen vor, der durch seinen Tod die Welt retten wird. Dieses Bild des Erlösers stimmte jedoch nicht mit dem der meisten seiner Zeitgenossen überein. Viele erwarteten eine irdische, politische Befreiung, ähnlich der, die Israel von Jahwe für das Volk aus Ägypten erhalten hatte; diesmal konnten sie erwarten, dass der Messias sie von der römischen Herrschaft befreien würde. Daher konnte der Tod des Erlösers nicht als Triumph angesehen werden. Das ist jedoch nicht die Logik Gottes. Im Laufe seines Lebens wird Jesus die Waffen ankündigen, die er einsetzen wird und die sich so sehr von denen des physischen Krieges unterscheiden, dass sie sein Heilsangebot kennzeichnen: Barmherzigkeit, Dienst, Nächstenliebe, Sanftmut, Frieden…

Nachdem Jahrhunderte vergangen sind, können wir jedoch manchmal eine ähnliche Mentalität haben wie die Landsleute des Täufers, d.h. wir können denken, dass der Sieg Christi über das Böse uns ein sicheres und bequemes Leben garantieren kann, oder dass es sich um eine Art irdische Überlegenheit handelt, oder dass diese Überlegenheit irgendwie kommen muss. Der heilige Josefmaria hingegen sagte: "Sei gewiß: Es gibt kein Scheitern, wenn du mit lauterer Absicht handelst und mit der Bereitschaft, den Willen Gottes zu tun. Du wirst dann ‒ ob mit oder ohne Erfolg ‒ immer siegreich sein, weil du aus Liebe gearbeitet hast".7 Bitten wir Maria, uns zu helfen, den wahren Sieg, den ihr Sohn, das einzige Lamm Gottes, uns gebracht hat, immer besser zu verstehen.


1 Benedikt XVI., Homilie, 6-I-2006.

2 Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendor, Nr. 2.

3 Hl. Josefmaria, Liebe zur Kirche, Nr. 32.

4 Hl. Josefmaria, Notizen für einen Vortrag, Dezember 1935, zitiert in Camino, edición crítico-histórica preparada por Pedro Rodríguez, Kommentar zum Punkt 984, Rialp 2004 (3. Auflage), S. 1041.

5 Papst Franziskus, Angelus, 19-I-2020.

6 Römisches Messbuch, Präfation von Ostern I.

7 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 199.