Thema 2. Das Warum der Offenbarung

Der Mensch hat ein natürliches Verlangen nach vollkommenerer Erkenntnis Gottes. Diese kann er aber ohne die Hilfe Gottes nicht erlangen. Gott hat sich als ein personales und dreifaltiges Wesen in der „Heilsgeschichte“ geoffenbart, die in der Bibel enthalten ist. Durch diese Offenbarung will Gott den Menschen die Möglichkeit bieten, in Gemeinschaft mit ihm zu leben, um an seinen Gütern und seinem Leben teilzuhaben und so zur Glückseligkeit zu gelangen.

1. Das Warum der Offenbarung

Im Menschen gibt es ein natürliches Verlangen, zur vollen Erkenntnis Gottes zu gelangen. Diese Erkenntnis kann jedoch nicht mit den menschlichen Kräften allein erreicht werden, denn Gott ist kein materielles Geschöpf oder ein Sinnenphänomen, von dem wir eine Erfahrung haben könnten. Gewiss kann der Mensch, ausgehend von den geschaffenen Dingen und seiner eigenen Natur, zu einigen sicheren Aussagen über Gott gelangen, aber diese „Wege“ vermitteln uns eine ziemlich beschränkte Kenntnis von ihm und seinem Leben. Außerdem bestehen, um diese Gewissheit zu erreichen, beträchtliche Schwierigkeiten. Deshalb wäre die Situation des Menschen, wenn Gott nicht aus seinem Mysterium herausträte und sein Wesen offenbarte, jener ähnlich, die – nach Auskunft einiger Autoren des Mittelalters – der heilige Augustinus erlebt hat.

Die Anekdote ist ziemlich berühmt. Eines Tages stand Augustinus am Ufer des Meeres und dachte über die Lehre von Gott und das Geheimnis der Dreifaltigkeit nach. Da sah er ein kleines Kind, das im Sand spielte. Es lief zum Meer, füllte ein kleines Gefäß mit Wasser, kehrte zurück und goss das Wasser in eine Grube. Nachdem er diesen Vorgang mehrmals beobachtet hatte, wurde der Heilige neugierig und fragte das Kind: „Sag mir, was tust du da?“ Der Kleine antwortete: „Ich schöpfe alles Wasser aus dem Meer und gieße es in diese Grube“. „Aber das ist unmöglich“, erwiderte ihm der Heilige. Worauf der Knabe antwortete: „Noch unmöglicher ist, was du versuchst: mit deinem kleinen Verstand das Geheimnis Gottes zu erfassen“.

Gott hat aber den Menschen nicht in dieser Situation belassen. Er wollte sich offenbaren, sich mitteilen, aus seinem Mysterium heraustreten und den ,Schleier‘ wegnehmen, der uns daran hindert zu erkennen, wer er ist und wie er ist. Er hat das nicht getan, um unsere Neugierde zu befriedigen; er hat es auch nicht getan, um bloß eine Botschaft über sich selbst mitzuteilen, sondern er hat sich offenbart und ist den Menschen selbst entgegengekommen – besonders durch die Sendung seines Sohnes in die Welt und durch die Gabe des Heiligen Geistes –, um sie einzuladen, in eine Beziehung der Liebe zu ihm einzutreten. Er wollte sein innerstes Wesen enthüllen, den Menschen als Freunden und geliebten Kindern begegnen, um sie durch seine unendliche Liebe vollkommen glücklich zu machen.

Die Sehnsucht nach Fülle und die Sehnsucht nach Heil, die unserer menschlichen Natur eingeschrieben sind, können nicht mit irdischen Dingen befriedigt werden. Doch die Offenbarung Gottes, die Hingabe seiner selbst, mit der er uns seine unendliche Liebe schenkt, vermag das menschliche Herz überreich zu erfüllen, da sie uns ein Glück gibt, das viel größer ist, als der Mensch sich zu wünschen oder vorzustellen vermöchte. So sagt Paulus zu den Korinthern: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Die Offenbarung „ist die Verwirklichung der tiefsten Sehnsüchte, jenes Verlangens nach dem Unendlichen und der Fülle, das der Mensch im Innersten beherbergt, und sie öffnet ihn für ein Glück, das nicht vorübergehend und begrenzt, sondern ewig ist“1.

2. Die Offenbarung in der Heilsgeschichte

Das II. Vatikanischen Konzil zeigt, dass die Offenbarung einem Plan entspricht, einem Projekt, das sich durch das Eingreifen Gottes in der Geschichte der Menschen entfaltet. Gott wird initiativ, greift durch bestimmte Ereignisse in die Geschichte ein (wie den Ruf des Patriarchen Abraham zum Glauben, die Befreiung der Israeliten aus Ägypten usw.) und ordnet diese Ereignisse, damit sie das Heil, das er den Menschen schenken will, zum Ausdruck bringen. Den tiefen Sinn dieser Ereignisse, ihre Bedeutung für das Heil teilt Gott selbst den von ihm erwählten Männern mit, die er zu Zeugen dieses göttlichen Wirkens macht. Zum Beispiel waren Mose und Aaron Zeugen der Wunder, die Gott wirkte, um den ägyptischen Pharao zu bewegen, das Volk der Israeliten ziehen zu lassen, und es so aus der Knechtschaft zu befreien. Auf diese Weise enthüllte und verwirklichte Gott einen Teil seines Plans und öffnete die von ihm in seiner ewigen Weisheit vorgesehenen Wege, um den Menschen zu zeigen, dass die Gemeinschaft mit Gott Freiheit und Heil bedeutet. Auf diesen Abschnitt folgten andere Etappen und andere heilbringende Ereignisse; deshalb spricht man von einer „Heilsgeschichte“ Gottes mit den Menschen.

Diese „Heilsgeschichte“ wird im Alten Testament erzählt, vor allem in den ersten Büchern (in der Genesis und besonders im Exodus) und den darauffolgenden historischen Büchern des Alten Testaments (16 Bücher, unter ihnen das Buch Josua, die zwei Bücher Samuel und die zwei Bücher der Könige). Die Heilsgeschichte gipfelt in einem gewaltigen Geschehen: der Inkarnation (Menschwerdung) des Sohnes Gottes. Sie vollzieht sich in einem konkreten Moment der Geschichte und bezeichnet die Fülle dieses Plans Gottes.

Die Inkarnation ist ein einzigartiges Ereignis. Gott greift nicht mehr wie zuvor durch bestimmte Begebenheiten ein oder teilt auserwählten Männern seine Worte mit, sondern tritt selbst in die „Geschichte“ ein. Er wird Mensch und damit Hauptfigur dieser menschlichen Geschichte, um sie zu leiten und von innen her zum Vater zurückzuführen. Der Sohn Gottes tut das durch seine Predigt und seine Wunder, seine Passion, seinen Tod und seine Auferstehung. Und zuletzt durch die seinen Jüngern verheißene Sendung des Heiligen Geistes.

In der Heilsgeschichte, die im Leben Christi und in der Sendung des Heiligen Geistes ihren Höhepunkt erreicht, enthüllt uns Gott – abgesehen von der Offenbarung seines eigenen Mysteriums – auch seinen Plan in Bezug auf uns. Es ist ein großes und schönes Projekt, weil wir von Gott im Sohn, in Jesus Christus, schon vor der Erschaffung der Welt erwählt worden sind. Wir sind nicht Frucht des Zufalls, sondern eines Planes, der der Liebe Gottes entspringt, die ewige Liebe ist. Unsere Beziehung zu Gott ergibt sich nicht nur daraus, dass er uns geschaffen hat, noch erschöpft sich unser Ziel darin, in der Welt zu leben oder in eine Geschichte eingebunden zu sein. Wir sind nicht nur Geschöpfe Gottes, sondern Gott hat uns – seit er daran dachte, uns zu erschaffen – mit den Augen eines Vaters betrachtet und dazu bestimmt, als seine Kinder angenommen zu werden, als Brüder und Schwestern Jesu Christi, seines einzigen Sohnes. Deshalb ist unser eigentlicher Ursprung im Geheimnis Gottes verborgen, und nur die Erkenntnis dieses Mysteriums, das ein Geheimnis der Liebe ist, erlaubt es uns, den tiefsten Grund unserer Existenz zu entschlüsseln.

Das Kompendium des Katechismus fasst diese Gedanken so zusammen: „In seiner Güte und Weisheit offenbart sich Gott dem Menschen. In Taten und Worten offenbart er sich selbst und seinen gnädigen Ratschluss, den er in Christus für das Menschengeschlecht von Ewigkeit her gefasst hat. Dieser Ratschluss besteht darin, durch die Gnade des Heiligen Geistes alle Menschen als seine Kinder in seinem einzigen Sohn anzunehmen und am göttlichen Leben teilhaben zu lassen“ (Nr. 6).

3. Der persönliche und dreifaltige Gott

Die Bücher des Alten Testaments bereiten auf die tiefere und entscheidende Offenbarung über Gott vor, die im Neuen Testament erfolgt. Diese Vorbereitung stellt Gott hauptsächlich als Gott des Bundes dar, als den, der die Initiative ergreift und ein Volk erwählt – Israel –, um mit ihm einen Bund der Freundschaft und des Heils zu schließen. Gott erwartet für sich selbst aus diesem Bund keinen Vorteil. Er braucht nichts, denn er ist ein transzendentes Wesen: unendlich, ewig, allmächtig, vollkommen über die Welt erhaben. Dennoch bietet er aus reinem Wohlwollen diesen Bund an, der der Seligkeit Israels und der ganzen Welt dient. Der Gott, den uns das Alte Testament zeigt, ist somit der Welt vollkommen überlegen und transzendent, steht aber zugleich in inniger Verbindung mit ihr, mit dem Menschen und seiner Geschichte. Er bleibt in seiner Majestät unzugänglich, aber seine Liebe bewirkt, dass er den Menschen ganz nah ist. Er entscheidet in souveräner Freiheit und steht zugleich ganz zu seinen Entscheidungen.

All das beweist, dass Gott eindeutig ein personales Wesen ist, denn es ist den Personen eigen, zu entscheiden, zu wählen, zu lieben, sich anderen mitzuteilen. Wir Menschen zeigen unsere Persönlichkeit und unseren Charakter durch unsere Worte und Taten. Durch sie lernen uns die anderen kennen, denn durch sie offenbaren wir unsere Art und Weise zu sein. Und Gott tut das Gleiche. Im Alten Testament offenbart er sich in erster Linie durch seine Worte. Häufig finden wir Aussagen, in denen er in der ersten Person von sich selbst spricht. Zum Beispiel: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus“ (Ex 20,2). Andere Male ist es der Prophet, der die Worte Gottes mitteilt: „So spricht der Herr: Ich denke an deine Jugendtreue“ (Jer 2,2). Und zusammen mit den Worten die Werke: „Nun erinnerte sich Gott an Rahel, er erhörte sie und öffnete ihren Mutterschoß“ (Gen 30,22). „An jenem Tag befahl Gott, der Herr der Heere, zu weinen und zu klagen“ (Jes 22,12). Worte und Werke, die sich gegenseitig erhellen, die den Willen Gottes offenbaren und die das auserwählte Volk zur wahren Quelle des Lebens führen, das er selber ist.

Das Neue Testament enthält im Vergleich zum Alten eine erstaunliche Neuheit. Die Evangelien zeigen, dass Jesus in einer ausschließlichen und unübertragbaren Weise Gott „meinen Vater“ nennt. Es besteht eine einzigartige Beziehung zwischen dem Vater und Jesus, die nicht allein in menschlichen und zeitlichen Begriffen ausgedrückt werden kann. Die Worte und Werke Jesu weisen darauf hin, dass er nicht nur ein Mensch ist. Auch wenn er sich nie als Gott bezeichnet, lässt er doch mit absoluter Klarheit verstehen – durch das was er sagt und tut -, dass er Gott ist. Deshalb verkündeten die Apostel in ihren Schriften, dass Jesus der Sohn des ewigen Gottes ist, der für uns und um unseres Heiles willen Mensch geworden ist. Außerdem enthüllt Jesus nicht nur seine enge Beziehung zum Vater, sondern auch die des Heiligen Geistes mit dem Vater und mit sich selbst. Der Heilige Geist ist „Geist des Vaters“ (Joh 15,26-27), „Geist des Sohnes“ (Gal 4,6), „Geist Christi“ (Röm 8,11), oder einfach „Geist Gottes“ (1 Kor 6,11). Auf diese Weise zeigt sich der personale Charakter Gottes, der schon im Alten Testament erkennbar war, nun auf erstaunliche Weise: Gott existiert als Vater, Sohn und Geist.

Das bedeutet offensichtlich nicht, dass es drei Götter gibt. Es gibt vielmehr drei verschiedene Personen in der Einheit des einzigen Gottes. Das wird verständlicher, wenn man die Namen der Personen betrachtet, denn zwischen ihnen bestehen Beziehungen tiefster Vertrautheit. Unter Menschen ist es natürlich, dass die Vater-Kind-Beziehung von Liebe und Vertrauen gekennzeichnet ist. Im göttlichen Bereich sind diese Liebe und dieses Vertrauen so vollkommen, dass der Vater dem Sohn total innerlich ist und umgekehrt der Sohn dem Vater. Und auch die Beziehung eines jeden zu seinem eigenen Geist ist die der völligen Vertrautheit. Oft treten wir in unser eigenes Innere ein, prüfen unsere Gedanken und Gefühle und erkennen uns so innerlich. Auf analoge Weise ist der Heilige Geist Gott und kennt das Herz Gottes. Er selbst ist das Mysterium dieser wechselseitigen Vertrautheit des Vaters und des Sohnes. All das führt uns zu einer Schussfolgerung: Gott ist ein Geheimnis der Liebe. Nicht einer Liebe nach außen, zu den Geschöpfen, sondern der Liebe zwischen den göttlichen Personen. Diese Liebe ist so stark, dass die drei Personen eine einzige Realität sind, ein einziger Gott. Ein Theologe des 12. Jahrhunderts, Richard von Sankt Viktor, schrieb in Bezug auf die Dreifaltigkeit: „Damit die Liebe existieren kann, sind zwei Personen notwendig; damit sie vollkommen ist, muss sie sich einem Dritten öffnen“ (De Trinitate, III, 13). Vater, Sohn und Heiliger Geist haben dieselbe Würde und dasselbe Wesen: die drei sind ein einziger Gott, ein einziges Geheimnis der Liebe.

4. Der Ruf zur Gemeinschaft und zum Glauben

Ein Dokument des II. Vatikanischen Konzils fasst das Ziel der Offenbarung zusammen: „In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen“ (Dei Verbum, 2). Ziel ist, den Menschen die Möglichkeit anzubieten, in Gemeinschaft mit Gott zu leben, sodass sie an seinen Gütern und seinem Leben teilhaben können. Die Offenbarung hat Bezug auf das Glück und das Leben jedes Menschen.

Hier erhebt sich die Frage, wie diese Offenbarung Gottes zum Einzelnen gelangt; welcher Werkzeuge sich Gott bedient oder welche Mittel er anwendet, damit die Menschen erkennen, dass sie zu einer Gemeinschaft der Liebe und des Lebens mit ihrem Schöpfer berufen worden sind. Die Antwort auf diese Fragen hat einen doppelten Aspekt.

Einerseits ist darauf hinzuweisen, dass Christus die Kirche gegründet hat, damit sie seine Sendung in der Welt fortsetzt. Die Kirche ist ihrem Wesen nach evangelisierend; ihre Aufgabe besteht darin, die Frohe Botschaft zu allen Völkern und in alle Zeiten zu tragen, damit die Menschen durch ihr Verkündigungswirken Gottes Offenbarung und seinen Heilsplan kennen können. Die Kirche ist bei der Erfüllung diese Aufgabe nicht allein. Christus, ihr Herr und Stifter, leitet sie zusammen mit dem Vater weiter vom Himmel aus. Der Heilige Geist, der der Geist Christi ist, führt die Kirche und treibt sie an, den Menschen die Botschaft zu bringen. So wird das Evangelisierungsstreben der Kirche durch das Wirken der Dreifaltigkeit belebt.

Andererseits lassen es die geschichtlichen Umstände nicht immer zu, dass die Kirche diese Evangelisierung wirksam vollzieht. Es fehlt nicht an Hindernissen, die sich der Verbreitung des Evangeliums entgegenstellen, und deshalb gibt es in jeder Epoche Menschen – manchmal sind es viele –, die de facto von der Frohen Botschaft ihrer Berufung zur Gemeinschaft mit Gott und zum Heil keine Kenntnis erlangen. Sie finden nicht zum Glauben, weil sie die Verkündigung des Heils nicht auf einleuchtende Weise erreicht. Das muss nicht heißen, dass sie keinerlei Kontakt zur christlichen Offenbarung haben, denn das Wirken des Heiligen Geistes ist durch keine Umstände eingeschränkt. Er ist Gott und kann daher jeden Einzelnen zu Formen der Gemeinschaft mit sich einladen, die im Inneren des Gewissens erfolgen und im Herzen einen Samen der Offenbarung einpflanzen. Daher gibt es niemanden, der nicht vonseiten Gottes die notwendige Hilfe und das Licht erhält, um zur Gemeinschaft mit ihm zu gelangen. Aber in diesen Fällen, in denen weder die Verkündigung der Kirche noch das Zeugnis eines echten christlichen Lebens empfangen wird, ist die Beziehung zu Gott gewöhnlich konfus und fragmentarisch. Sie wird erst geklärt und vervollkommnet, wenn die Heilsbotschaft wahrgenommen und die Taufe empfangen wird.

Bis jetzt haben wir fast immer von der Offenbarung als einer Einladung Gottes zur Gemeinschaft mit ihm und zum Heil gesprochen. Welche Rolle spielt aber dabei der Mensch? Wie wird dieses Heil angenommen, das Gott anbietet, wenn er die Menschen beruft, Kinder Gottes in Jesus Christus zu werden? Der Katechismus der Katholischen Kirche erklärt in Nr. 142: „Die angemessene Antwort auf diese Einladung ist der Glaube“. Und was ist der Glaube? Wie kann man ihn erlangen?

Der Glaube ist kein rein menschliches Vertrauen auf Gott, und auch keine mehr oder weniger überzeugte Meinung über etwas. Manchmal benützen wir das Wort „glauben“ im Sinn von „denken“ oder „meinen“. Zum Beispiel, „Ich glaube, dass es heute regnen wird“, oder „Ich glaube, dass das, was ihm zustößt, vorübergehen wird“. In diesen Fällen gibt es gewisse Gründe anzunehmen, dass etwas tatsächlich so sein wird, ohne dass wir sicher sind, dass es sich so verhält. Wenn man in der christlichen Religion vom „Glauben“ spricht, handelt es sich um etwas Anderes.

Der Glaube ist ein inneres Licht, das von Gott kommt und unser Herz berührt, indem es uns antreibt, seine Gegenwart und sein Wirken anzuerkennen. Wenn zum Beispiel jemand in einem Missionsgebiet durch die Arbeit eines Missionars in Kontakt mit dem Christentum kommt, so kann es sein, dass er sich für das, was er hört, interessiert oder davon begeistert ist. Gott erleuchtet ihn und lässt ihn erkennen, dass all das wahr und sehr schön ist, seinem Leben wirklich jene Bedeutung gibt, nach der er vielleicht bis jetzt ohne Erfolg gesucht hat. Dieser Mensch hat nicht nur eine sinnvolle Rede gehört, sondern außerdem ein Licht empfangen, das ihn glücklich macht, weil sich für ihn Horizonte des Sinns eröffnen, die er vielleicht nicht für möglich gehalten hatte. Deshalb nimmt er mit Freude das Gehörte an, das seinem Leben Sinn gibt und ihm von Gott und einer großen Liebe spricht; und er hat die Sicherheit, dass hier der Schlüssel für seine Existenz liegt – in diesem Gott, der ihn geschaffen hat, der ihn liebt und ihn zum Heil ruft. Dieses Licht ist eine Gabe, eine Gnade Gottes, und die Antwort, die dieses Licht in seiner Seele fruchtbar werden lässt, ist der Glaube.

Daher ist der Glaube zugleich göttlich und menschlich, er ist göttliches Wirken in der Seele und Öffnung des Menschen für dieses göttliche Wirken: ein Akt der Zustimmung zu dem sich offenbarenden Gott. Das II. Vatikanische Konzil fasst diese Idee zusammen, wenn es feststellt: „Dieser Glaube kann nicht vollzogen werden ohne die zuvorkommende und helfende Gnade Gottes und ohne den inneren Beistand des Heiligen Geistes, der das Herz bewegen und Gott zuwenden, die Augen des Verstandes öffnen und es jedem leicht machen muss, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben“ (Dei Verbum, 5).

Wegen seiner menschlichen Dimension ist der Glaube ein Akt des Menschen. Ein freier Akt. Tatsächlich kann es geschehen, dass die Predigt des Missionars einige zu einem Glaubensakt bewegt und andere nicht. Gott, der die Herzen kennt, erleuchtet jeden Einzelnen entsprechend seiner Bereitschaft, und der Mensch bleibt immer auch frei, die liebevolle Einladung Gottes anzunehmen oder abzulehnen, Jesus als Herrn seines Lebens aufzunehmen oder ihn abzuweisen. Letzteres setzt ihn jedoch der Gefahr aus, das irdische und das ewige Glück zu verlieren.

Der Glaube ist außerdem ein Akt des Vertrauens, weil man annimmt, von Gott geführt zu werden, und akzeptiert, dass Christus der Herr ist, der mit seiner Gnade den Weg der Freiheit und des Lebens weist. Glauben bedeutet, sich mit Freude dem Plan der Vorsehung auszuliefern, den Gott für jeden Einzelnen hat und der dazu führt, als gute Kinder Gottes in Jesus Christus zu leben. Er lässt uns auf Gott vertrauen, wie der Patriarch Abraham vertraute, wie die Jungfrau Maria vertraute.

Antonio Ducay

Grundlegende Bibliografie

Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 50-73.

Papst Franziskus, Enzyklika Lumen fidei.

Benedikt XVI., „Das Jahr des Glaubens. Was ist der Glaube?“, Audienz, 24.10.2012.

Ders., „Das Jahr des Glaubens. Die Etappen der Offenbarung“, Audienz, 5.12.2012.

Empfohlene Lektüre

C. Izquierdo Urbina et al., Revelación, in Diccionario de Teología, EUNSA, Pamplona 2006, S. 864ff.

J. Burggraf, Grundlagen des katholischen Glaubens, Fassbaender, Wien 2008, Kap. III und VII.

1 Benedikt XVI., Audienz, 5.10.2012.

Antonio Ducay