Thema 15. Die von Christus gestiftete Kirche

Christus hat im Lauf seines Lebens geoffenbart, wie seine Kirche sein soll. Die Kirche ist die Gemeinschaft aller, die die erneuernde Gnade des Geistes empfangen haben, durch die sie Kinder Gottes sind. Alle Getauften haben Anteil am gemeinsamen Priestertum. Sie sind berufen, Gott und die Menschen zu vereinen. Die ökumenische Bewegung ist das kirchliche Bemühen, die sichtbare Einheit der Christen in der einzigen von Christus gestifteten Kirche herzustellen.

Christus und die Kirche

Die Kirche ist ein Geheimnis, das heißt, eine Wirklichkeit, in der Gott und die Menschen in Verbindung und Gemeinschaft treten. Kirche (griechisch „ekklesía“) bedeutet Versammlung der Zusammengerufenen. Im Alten Testament wurde das Wort verwendet, um „quahal Yahweh“ zu übersetzen: die von Gott zum Kult einberufene Versammlung. Beispiel dafür ist die Versammlung, die am Sinai stattfand, oder die zur Zeit des Königs Joschija abgehaltene Versammlung, um Gott zu loben und zur Reinheit des Gesetzes zurückzukehren. Im Neuen Testament hat das Wort in Kontinuität mit dem Alten Testament mehrere Bedeutungen, bezeichnet aber speziell das Volk, das Gott von allen Enden der Erde einberuft, um die Versammlung aller zu bilden, die durch den Glauben an sein Wort und die Taufe Kinder Gottes sind, Glieder Christi und Tempel des Heiligen Geistes1.

„Die Kirche findet ihren Ursprung und ihr Vollendung im ewigen Ratschluss Gottes. Sie wurde im Alten Bund vorbereitet mit der Erwählung Israels, Zeichen der zukünftigen Vereinigung aller Nationen. Sie wurde durch die Worte und Taten Jesu Christi gegründet und vor allem durch seinen erlösenden Tod und seine Auferstehung verwirklicht. Sie wurde dann durch die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten als Heilsmysterium offenbart. Sie wird am Ende der Zeiten als himmlische Versammlung aller Erlösten vollendet werden.“2

Die Kirche wurde nicht von den Menschen gegründet, sie ist auch nicht eine edle Antwort der Menschen auf die Erfahrung der von Gott in Christus verwirklichten Erlösung. In den Mysterien des Lebens Christi, des vom Geist Gesalbten, haben sich die im Gesetz und bei den Propheten angekündigten Verheißungen erfüllt. Die Kirche wurde durch sein ganzes Leben gegründet. Es gibt nicht einen einzigen besonderen Moment, in dem Jesus die Kirche gestiftet hätte, er gründete sie vielmehr durch sein ganzes Leben: von seiner Menschwerdung bis zu seinem Tod, seiner Auferstehung, Himmelfahrt und der Sendung des Parakleten. In seinem ganzen Leben offenbarte Christus – in dem der Heilige Geist wohnte –, wie seine Kirche sein sollte, indem er die Dinge nacheinander anordnete. Nach der Himmelfahrt wurde der Geist der ganzen Kirche gesandt, und in ihr bleibt er, erinnert sie an alles, was der Herr den Aposteln gesagt hat, und führt sie im Lauf der Geschichte zur Vollendung. Er ist durch die Sakramente und das Wort die Ursache der Gegenwart Christi in seiner Kirche; und er schmückt sie ständig durch verschiedene hierarchische und charismatische Gaben (Lumen gentium, Nr. 4 und 12). Durch seine Gegenwart geht das Versprechen des Herrn in Erfüllung, bis zum Ende der Zeit immer bei uns zu sein (Mt 28,20).

Volk Gottes, Leib Christi und Gemeinschaft der Heiligen

In der Heiligen Schrift erhält die Kirche verschiedene Namen, von denen jeder bestimmte Aspekte des Mysteriums der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen besonders hervorhebt. „Volk Gottes“ ist ein Titel, den Israel empfing. Wenn er auf die Kirche als das neue Israel bezogen wird, dann bedeutet er, dass Gott die Menschen nicht isoliert rettet, sondern sie zu einem einzigen, durch die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinten Volk zusammenfassen will, das ihn in Wahrheit erkennt und ihm heilig dient (Lumen gentium, 4 und 9; hl. Cyprian, De Orat Dom. 23).

Dieses Volk gehört Gott und ist nicht Eigentum einer Kultur, Regierung oder Nation. Es bildet außerdem eine sichtbare Gemeinschaft, die – in den Völkern – auf dem Weg zu ihrem endgültigen Vaterland ist. In diesem Sinn kann man sagen, dass „Kirche und Synode Synonyme sind“ (hl. Johannes Chrysostomus, Explicatio in Psalmum 149). Alle sind wir zusammen zum selben gemeinsamen Ziel unterwegs, alle sind wir zur selben Sendung berufen, alle sind wir in Christus und im Heiligen Geist mit Gott Vater vereint. In diesem Volk haben alle die gleiche Würde der Kinder Gottes, die gemeinsame Sendung, Salz der Erde zu sein, und ein gemeinsames Ziel, nämlich das Reich Gottes. Alle haben an den drei Ämtern oder Funktionen Christi teil3.

Wenn wir sagen, dass die Kirche der „Leib Christi“ ist, betonen wir, dass Christus durch die Sendung des Heiligen Geistes die Gläubigen eng mit sich vereint, vor allem in der Eucharistie, denn in ihr bleiben und wachsen die Gläubigen geeint in der Liebe, um in der Verschiedenheit der Glieder und Funktionen einen einzigen Leib zu bilden. Es wird damit auch ausgedrückt, dass Gesundheit oder Krankheit eines Gliedes sich auf den ganzen Leib auswirken (1 Kor 12,1-24) und dass die Gläubigen als Glieder Christi seine Werkzeuge sind, um in der Welt zu wirken4. Die Kirche wird auch „Braut Christi“ genannt (Eph 5,26 f.), wodurch unbeschadet der Einheit der Kirche mit Christus auch die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche ausgedrückt wird. Diese Bezeichnung weist auch darauf hin, dass der Bund Gottes mit den Menschen endgültig ist. Gott ist seinen Verheißungen treu, und die Kirche ist ihm treu als fruchtbare Mutter aller Kinder Gottes.

Das II. Vatikanische Konzil hat einen alten Ausdruck wieder aufgenommen und die Kirche als „communio“ bezeichnet. Damit wird darauf hingewiesen, dass sie eine Ausweitung der innigen Gemeinschaft der Heiligsten Dreifaltigkeit auf die Menschen ist. Sie ist schon auf Erden Gemeinschaft mit der göttlichen Dreifaltigkeit, obgleich diese noch nicht ihre Fülle erreicht hat. Die Kirche ist nicht nur communio, sondern für alle Menschen auch Zeichen und Werkzeug dieser communio. Durch sie haben wir am inneren Leben Gottes teil und gehören als Söhne im Sohn der Familie Gottes an (Gaudium et spes, 22). Das verwirklicht sich auf spezifische Weise in den Sakramenten, hauptsächlich in der Eucharistie, die auch häufig Kommunion genannt wird (1 Kor 10,16).

Die Kirche ist communio sanctorum: Gemeinschaft der Heiligen, das heißt Gemeinschaft aller, die die Gnade der Wiedergeburt aus dem Geist empfangen haben und so in Christus Kinder Gottes sind und Heilige genannt werden. Manche pilgern noch auf dieser Erde, andere sind schon gestorben und werden noch gereinigt, auch mit Hilfe unserer Fürbitten. Andere genießen schon die Anschauung Gottes und treten für uns ein. Gemeinschaft der Heiligen bedeutet auch, dass wir als Christen die heiligen Gaben gemeinsam haben – in ihrer Mitte die Eucharistie, die anderen Sakramente, die alle auf sie hingeordnet sind, und sämtliche anderen Gaben und Charismen.

Aufgrund der Gemeinschaft der Heiligen sind uns die Verdienste Christi und aller Heiligen, die uns auf der Erde vorausgegangen sind, eine Hilfe bei der Sendung, die uns der Herr selbst übertragen hat. Die Heiligen im Himmel stehen dem Leben der pilgernden Kirche nicht gleichgültig gegenüber und erwarten, dass die Fülle der Gemeinschaft der Heiligen sich mit dem zweiten Kommen des Herrn beim Gericht und bei der Auferstehung der Leiber verwirklicht. Das konkrete Leben der pilgernden Kirche und jedes ihrer Glieder hat für ihre Sendung – für die Läuterung vieler Seelen und für die Bekehrung vieler anderer – große Bedeutung: „Davon, dass du und ich so handeln, wie Gott will, hängen viele große Dinge ab. Vergiss das nicht.“5

Zugleich ist es leider möglich, dass die Gläubigen wegen ihrer Beschränkungen, Irrtümer oder Sünden dem Willen Gottes nicht entsprechen. Einige Gleichnisse vom Himmelreich lehren, dass bis zum Ende der Welt der Weizen mit dem Unkraut zusammen wächst und dass es gute und schlechte Fische geben wird. Der heilige Paulus erkannte, dass die Apostel den großen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen trugen (2 Kor 4,7), und es gibt im Neuen Testament mehrere Warnungen vor den falschen Propheten und vor jenen, die Anstoß erregen (z.B. Offb 2 und 3)6. Wie in der Urkirche haben auch jetzt die Sünden der Christen (der Amtsträger und der einfachen Gläubigen) eine gewisse Auswirkung auf die Sendung und auf die anderen Christen. Sie ist größer, wenn derjenige, der sündigt – durch Tun oder Unterlassen – ein Amt innehat oder Verantwortung für andere trägt; dann kann das sogar Ärgernis (Verführung zur Sünde) bedeuten. Auch wenn die Sünden die Gemeinschaft beeinträchtigen und diese Wirkung vielleicht sogar sehr offensichtlich ist, können sie die Heiligkeit der Kirche nie ganz verdunkeln oder ihre Sendung völlig vereiteln, denn das würde bedeuten, dass das Böse mehr vermag als die Liebe, die Gott den Menschen erwiesen hat und erweist. Außerdem ist die Wirkung des Guten, das viele Christen tun, zwar weniger sichtbar, geht aber viel weiter und tiefer als die des Bösen. Das Gebet aller Christen für den Papst, die Bischöfe, den Klerus, für die Ordensleute und Laien ist eine Antwort des Glaubens angesichts dieser Situation, in der die Kirche lebt, bis sich ihr Geheimnis in der Heimat vollendet. Auch wenn der heilige Josefmaria die Präsenz der Sünder in der Kirche nicht übersah, stellte er doch fest, dass uns das „nicht dazu berechtigt, über die Kirche rein menschlich und ohne den übernatürlichen Glauben zu urteilen, den Blick nur auf den höheren oder niedrigeren Fähigkeitsgrad mancher Amtsträger und mancher anderer Christen gerichtet. Dies würde bedeuten, an der Oberfläche zu bleiben. Das Wichtigste in der Kirche ist nicht der Blick für die Antwort der Menschen, sondern der Blick für das Handeln Gottes. Die Kirche ist Christus unter uns, sie ist Gott, der auf die Menschheit zugeht, um sie dadurch zu heilen, dass Er uns mit seiner Offenbarung ruft, mit seiner Gnade heiligt und uns erhält durch seinen immerwährenden Beistand in den kleinen und großen Kämpfen des Alltags. Es kann dahin kommen, dass wir den Menschen misstrauen – ja, jeder muss sich selbst misstrauen und den Tag mit einem mea culpa, mit einem tiefen und aufrichtigen Reueakt, beschließen; aber wir haben nicht das Recht, Gott zu misstrauen. Und es hieße, an Gott zweifeln, und es wäre mangelnder Glaube an das Gekommensein des Heiligen Geistes, würden wir die Kirche, ihren göttlichen Ursprung und die Heilsmächtigkeit ihrer Verkündigung und ihrer Sakramente in Zweifel ziehen.“7

Die Gemeinschaft der Heiligen ist auf Erden organisch strukturiert, weil Christus und der Geist sie zum Sakrament des Heils machen, das heißt zum Mittel und Zeichen, durch das Gott der Menschheit das Heil anbietet. Die Kirche ist innerlich strukturiert durch die Beziehungen, die zwischen jenen bestehen, die durch die Taufe das gemeinsame Priestertum besitzen, und jenen, die außerdem durch das Sakrament der Weihe das Dienst- oder Amtspriestertum empfangen haben. Die Kirche ist auch äußerlich strukturiert, und zwar durch die Gemeinschaft der Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind und denen jeweils ein eigener Bischof vorsteht. Analog besteht diese Gemeinschaft in anderen kirchlichen Wirklichkeiten. Die so strukturierte Kirche dient dem Geist Christi für die Sendung (vgl. Lumen gentium, 8).

Das gemeinsame Priestertum

Beim Eintritt in die Kirche wird der Mensch in Christus wiedergeboren und mit ihm durch das Zeichen des Kreuzes zum König und Priester gemacht; durch die Salbung des Geistes wird er zum Priester geweiht. Außerdem empfangen einige das Sakrament der Weihe, durch das sie befähigt werden, Christus für die anderen Gläubigen sakramental zu vergegenwärtigen, das Wort Gottes zu verkündigen und ihre Brüder und Schwestern im Glauben und im christlichen Leben anzuleiten. Durch diesen Unterschied zwischen der Christenheit als ganzer und den geweihten Dienern zeigt uns Gott, dass er uns seine Gnade durch andere vermitteln will, dass das Heil von außerhalb unser selbst kommt und nicht von unseren persönlichen Leistungen abhängt. In der Kirche Gottes gibt es also zwei dem Wesen nach verschiedene Arten der Teilhabe am Priestertum Christi, die einander zugeordnet sind. Diese gegenseitige Zuordnung ist keine bloß moralische Bedingung für die Entfaltung der Sendung, sondern die Weise der Vergegenwärtigung des Priestertums Christi in dieser Welt (Lumen gentium, 10 und 11).

Das Priestertum beschränkt sich daher nicht auf einige besondere Dienste in der Kirche, denn alle Christen empfangen ein spezifisches Charisma und wissen, dass sie als Glieder eines königlichen Geschlechts am Priestertum Christi teilhaben (vgl. hl. Leo der Große, Sermo IV, 1). Es handelt sich um eine allen Christen – Männern und Frauen, Laien und geweihten Dienern – gemeinsame Verfasstheit, die mit der Taufe empfangen und durch die Firmung bestärkt wurde. Gläubige sind diejenigen, „die durch Taufe Christus eingliedert und zum Volk Gottes gemacht worden sind. Da sie gemäß ihrer eigenen Stellung am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhaben, sind sie zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche anvertraut hat. Unter ihnen besteht eine wahre Gleichheit in ihrer Würde als Kinder Gottes.“8 Das gemeinsame Priestertum wird ausgeübt in der Antwort auf die Berufung zur Heiligkeit und in der Fortsetzung der Sendung Christi, die alle mit der Taufe empfangen haben.

Im Judentum und in vielen anderen Religionen tritt der Priester als Mittler auf. Wer daher mit Gott in Beziehung treten will, muss den Priester bitten, dass er das in seinem Namen tut. Die Funktion des Priesters ist die des Mittlers: die Menschen mit Gott und Gott mit den Menschen zu verbinden, Opfer darzubringen und zu segnen. Um das Priestertum der Gläubigen zu erklären, haben die Kirchenväter hervorgehoben, dass jeder einzelne Christ direkten Zugang zu Gott hat. Weil wir alle am Priestertum Christi teilhaben, besteht eine Unmittelbarkeit und Nähe aller Christen zu Gott.

Konkret ist der Christ – durch seine Vereinigung mit Christus – befähigt, geistliche Opfer darzubringen, die Welt zu Gott und Gott zur Welt zu führen. Alle Getauften sind aufgerufen, Gott und die Menschen zu einen. Es gibt eine aufsteigende und eine absteigende Dimension des gemeinsamen Priestertums. Die aufsteigende befähigt, unser Leben mit allem, was dazu gehört, zusammen mit Christus zu Gott zu erheben. In ihm, in der heiligen Messe, erlangen unsere kleinen Arbeiten und Opfer Ewigkeitswert. Im Himmel werden wir sie dann verklärt sehen.

Die absteigende Dimension des gemeinsamen Priestertums impliziert, dass der Priester die Gaben Gottes den Menschen vermittelt. Es macht uns zu Werkzeugen der Heiligung anderer, zum Beispiel durch unser Apostolat. Das geschieht, wenn die Eltern ihren Kindern helfen, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen, bzw. die Ehe und das Familienleben heiligen. Das geschieht auch, wenn wir unsere Freunde und Arbeitskollegen Gott näherbringen: „Während ihr eure Tätigkeit inmitten der Gesellschaft entfaltet und an allen edlen Bestrebungen und redlichen Arbeiten der Menschen teilnehmt, dürft ihr den tiefen priesterlichen Sinn, den euer Leben hat, nicht aus dem Blick verlieren: Ihr sollt in Christus Jesus Mittler sein, um alle Dinge zu Gott zu führen, damit die göttliche Gnade alles belebt.“9 Diese heiligende Sendung der nicht geweihten Christen ist eng mit der heiligenden Sendung der geweihten Priester verbunden und braucht sie. Der heilige Josefmaria erklärt, konkret auf das Apostolat seiner Kinder Bezug nehmend, dass jeder Einzelne „versucht, in seiner eigenen beruflichen Umgebung apostolisch zu wirken und die Menschen Christus näherzubringen durch Beispiel und Wort: durch den Dialog. Doch im Apostolat, bei der Anleitung auf den Wegen des christlichen Lebens, stößt man auf die sakramentale Mauer. Die heiligende Aufgabe des Laien bedarf der heiligenden Aufgabe des Priesters, der das Sakrament der Buße spendet, die Eucharistie feiert und das Wort Gottes im Namen der Kirche verkündet.“10

Das gemeinsame Priestertum schließt auch die königliche Sendung Christi ein, durch die alle Christen dazu beitragen, dass Christus in ihrem Leben und in ihrem Umfeld herrscht, indem sie den anderen dienen, besonders den Armen, den Kranken und Bedürftigen. Dienen ist die Weise der Ausübung der königlichen Würde der Christen. Das hilft uns auch zu entdecken und zu verwirklichen, was Gott für die Welt gedacht hat.

Gott hat das gemeinsame Priestertum und das Weihepriestertum in der Kirche einander zugeordnet. Sein Priestertum existiert auf Erden in dieser gegenseitigen Verwiesenheit. Klerikalismus bedeutet daher eine Störung dieser wechselseitigen Beziehung. Er liegt vor, wenn sich Kleriker in Angelegenheiten der anderen Gläubigen einmischen, die sie nichts angehen, oder wenn nicht geweihte Gläubigen sich Aufgaben der Hirten anmaßen.

Die Verschiedenheit der Berufungen in der Kirche

Die Kirche soll in allen Völkern das Reich Gottes, das von Christus grundgelegt wurde, verkündigen und aufrichten. Auf der Erde ist sie Keim und Anfang dieses Reiches. Nach seiner Auferstehung hat der Herr die Apostel ausgesandt, das Evangelium zu verkündigen, zu taufen und zu lehren, alle seinen Gebote zu erfüllen (Mt 28,18 ff.). Der Herr übertrug seiner Kirche die Sendung, die der Vater ihm selbst anvertraut hatte (Joh 20,21). Vom Anfang der Kirche an wurde diese Sendung von allen Christen verwirklicht (Apg 8,4; 11,19), und viele haben ihr Leben hingegeben, um sie zu erfüllen. Der Missionsauftrag des Herrn hat seine Quelle in der ewigen Liebe Gottes, der seinen Sohn und seinen Geist gesandt hat, weil „er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4).

In dieser missionarischen Sendung sind die drei Funktionen der Kirche auf Erden enthalten: das munus propheticum (die gute Nachricht von der Rettung durch Christus zu verkünden), das munus sacerdotale (das Leben Christi, der durch die Sakramente und die Gnade heilt, wirksam gegenwärtig zu setzen und zu vermitteln) und das munus regale (den Christen zu helfen, die Welt zu Gott zu führen und in Heiligkeit zu wachsen). Auch wenn alle Gläubigen an dieser Sendung teilhaben, so kommt nicht allen dieselbe Rolle zu. Einige Sakramente und Charismen prägen und befähigen die Christen für bestimmte Funktionen, die zur Sendung gehören.

Wie wir gesehen haben, sind die Inhaber des gemeinsamen Priestertums und die Träger des Weihepriestertums einander zugeordnet, so dass sie das Mittlertum Christi auf Erden und damit die Gaben der Gnade, die Kraft und das Licht gegenwärtig setzen, die alle benötigen, um die Sendung zu entfalten. Einige von ihnen wurden auf eine spezifische, von den anderen verschieden Weise Christus als dem Haupt der Kirche gleichgestaltet. Durch den Empfang des Weihesakraments besitzen sie das Dienstpriestertum, um Christus für alle anderen Gläubigen sakramental zu vergegenwärtigen. Die Bischöfe haben als Nachfolger der Apostel die Fülle des Weihesakraments empfangen. Die Priester, die den Bischöfen direkt beistehen, nehmen die zweite Stufe des Sakraments ein. Die dritte Stufe der Weihe, der Diakonat, gestaltet dem dienenden Christus gleich, um dem Bischof und den Priestern bei der Predigt, bei Liebeswerken und bei der Feier einiger Sakramente zu helfen.

Was die Aufgabe betrifft, die Welt zu Gott zu führen, gibt es zwei große Lebensstände, die damit befasst sind. Einer hat die besondere Berufung, die Welt von innen her zu Gott zu führen: das sind die Laien. Sie tun das, indem sie die zeitlichen Angelegenheiten, mit denen ihr Leben gleichsam verwoben ist, dem Willen Gottes gemäß ordnen (vgl. Lumen gentium, 31). Da sie am Priestertum Christi teilhaben, haben die Laien auch Anteil an seinem heiligenden, prophetischen und königlichen Amt11. Sie vollziehen die priesterliche Sendung Christi mit, wenn sie, vor allem in der Eucharistie, Gott das eigene Leben und alle ihre Werke darbringen. Sie sind beteiligt an der prophetischen Sendung Christi, wenn sie im Glauben das Wort Christi annehmen und es der Welt durch das Zeugnis ihres Lebens und ihres Wortes verkündigen. Sie nehmen an der königlichen Sendung Christi teil, weil sie von ihm die Kraft empfangen, durch Selbstverleugnung und persönliche Heiligkeit in sich und in der Welt die Sünde zu besiegen, und die zeitlichen Tätigkeiten des Menschen und die Institutionen der Gesellschaft durch sittliche Werte prägen.

Andere haben die besondere Berufung, sich von den weltlichen Wirklichkeiten und Tätigkeiten abzusondern, indem sie einen spezifischen Lebensstand wählen, der gewissermaßen dem Leben in der zukünftigen Welt ähnelt (sie heiraten nicht und leben häufig als Brüder bzw. Schwestern in Gemeinschaften, besitzen keine Güter, ändern oftmals ihren Namen, um so auszudrücken, dass sie für ihr früheres Leben „sterben“ usw.). Um in diesen Stand einzutreten, weihen sie sich Gott auf besondere Weise durch das Gelübde der evangelischen Räte: Keuschheit (im Zölibat bzw. in der Jungfräulichkeit), Armut und Gehorsam. Das geweihte Leben ist ein von der Kirche anerkannter Stand der Teilhabe an ihrer Sendung durch eine volle Hingabe an Christus und an die Brüder und Schwestern und durch ein Zeugnis der Hoffnung auf das Himmelreich12. Sie erinnern durch ihre Lebensweise alle anderen daran, dass sie hier keine bleibende Stätte haben, bezeugen öffentlich, dass alle menschlichen Errungenschaften am Tag des Kommens des Herrn verwandelt werden müssen, und ziehen die Welt gleichsam zu Gott, nachdem sie sich von ihren Tätigkeiten getrennt haben (vgl. Lumen gentium, 44; Perfectae cartitatis, 5).

Laien und Ordensleute führen die Welt von verschiedenen Positionen aus zu Gott. Die einen tun es von innen her und bemühen sich um die Entfaltung der Schöpfung nach dem Plan Gottes (vgl. Gen 2,15); die anderen tun es von außerhalb, indem sie die Schöpfung zur Vollendung hinziehen, die sie durch ihre Lebensweise symbolisch vorwegnehmen. Die einen haben es notwendig, dass die anderen sie erinnern, dass die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen zu Gott geführt werden kann; diese wiederum brauchen die anderen, um daran erinnert zu werden, dass die ursprüngliche Berufung des Menschen darin besteht, die Schöpfung zu der ihr von Gott zugedachten Vollkommenheit zu führen; die einen wie die anderen wirken zusammen beim Aufbau des Reiches Gottes. Das geweihte Leben trägt auch durch die Werke der Liebe, der Wohltätigkeit und der sozialen Hilfe, denen es sich großzügig widmet, viel zur christlichen Belebung der Welt bei.

Außerdem entstehen im Leben der Kirche viele Wege und Formen, die gemeinsame Sendung zu verwirklichen. Das 20. Jahrhundert hat viele Wirklichkeiten, Bewegungen, neue monastische Gemeinschaften und andere neuere Institutionen entstehen sehen, die mit ihren Charismen bei der Evangelisierung zusammenarbeiten.

Die Gebetsoktav für die Einheit der Christen

Die Kirche ist Eine, weil die Heiligste Dreifaltigkeit ihr Ursprung und ihr Vorbild ist; weil Christus, ihr Stifter, die Einheit aller in einem einzigen Leib verfügt hat; weil der Heilige Geist die Gläubigen mit Christus als ihrem Haupt verbindet. Diese Einheit äußert sich darin, dass die Gläubigen denselben Glauben bekennen, dieselben Sakramente feiern, unter ein und derselben Hierarchie vereint sind, eine gemeinsame Hoffnung und dieselbe Liebe haben.

Die Kirche subsistiert als organisierte Gesellschaft in der Katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird (vgl. Lumen gentium, 8). Nur in ihr kann man die Fülle der Heilsmittel erlangen, da der Herr alle Güter des Neuen Bundes nur dem Kollegium der Apostel mit Petrus als seinem Haupt anvertraut hat. Christus hat der Kirche die Einheit gegeben, und sie subsistiert in der Katholischen Kirche. Diese Einheit geht nicht durch die Spaltungen der Christen verloren. Die Trennungen unter den Christen verwunden jedoch die Kirche, können Anstoß erregen und verzögern die Evangelisierung.

Personen, die im Stand der Trennung von der Katholischen Kirche geboren wurden, können nicht einfach als Schismatiker oder Häretiker betrachtet werden. In ihren Gemeinschaften und Kirchen können sie kraft der Taufe die Gnade empfangen. In ihnen gibt es viele Güter der Heiligung und der Wahrheit, die von Christus stammen und zur katholischen Einheit hindrängen; und der Heilige Geist bedient sich ihrer als Werkzeuge des Heils, da ihre Kraft von der Fülle der Gnade und der Wahrheit stammt, die Christus der Katholischen Kirche gegeben hat13.

Die Mitglieder dieser Kirchen und Gemeinschaften werden Christus in der Taufe eingegliedert, weshalb wir in ihnen Brüder und Schwestern sehen. Wir haben eine gewisse Gemeinschaft des Gebetes und anderer geistlicher Güter, haben sogar mit den Christen, die nicht der Katholischen Kirche angehören, eine gewisse Einheit im Heiligen Geist (Lumen gentium, 15). Diese Einheit kann wachsen, wenn wir mehr mit Christus verbunden sind und den anderen helfen, ihm näher zu sein; wenn wir die Einheit im Wesentlichen fördern, die Freiheit im Nebensächlichen achten und in allem die Liebe leben; wenn wir das Haus Gottes für die anderen anziehender machen; wenn wir in Ehrfrucht und Achtung gegenüber dem Papst und der Hierarchie wachsen, indem wir sie unterstützen und ihre Lehren befolgen.

Die ökumenische Bewegung ist das kirchliche Bemühen, das die sichtbare Einheit der Christen in der einzigen von Christus gestifteten Kirche anstrebt. Dieses Bestreben ist ein Wunsch des Herrn (Joh 17,21). Es wird durch das Gebet, die Bekehrung des Herzens, die gegenseitige brüderliche Kenntnis und den theologischen Dialog verwirklicht.

Die Gebetsoktav für die Einheit der Christen ist eine der Initiativen der ökumenischen Bewegung, die dem Bereich des so genannten geistlichen Ökumenismus angehört. Sie entstand 1908 in den Vereinigten Staaten von Amerika unter Führung des Episkopalianers Paul Watson, der später Katholik wurde. Die Päpste Pius X. und Benedikt XV. haben diese Initiative gelobt und alle Katholiken ermuntert, sich ihr anzuschließen. Sie wird vom 18. zum 25. Januar, dem Fest der Bekehrung des heiligen Paulus, begangen. Abgesehen von der Katholischen Kirche wird sie in verschiedenen orthodoxen Kirchen und in vielen christlichen Gemeinschaften begangen. An manchen Orten kann sie Gebetstreffen mit Christen einschießen, die nicht in voller Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche stehen, oder sogar ein liturgisches Gebet, etwa die Vesper. Am meisten verbreitet ist während dieser acht angegebenen Tage jedoch überall das persönliche Gebet für dieses gemeinsame Anliegen der sichtbaren Einheit der Christen.

Miguel de Salis

Grundlegende Bibliografie

Katechismus der Katholischen Kirche, 748-945.

Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, 147-193.

Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Ut unum sint, 25.5.1995.


1 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 777; vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, 147 (in der Folge als Katechismus bzw. Kompendium bezeichnet).

2 Kompendium, 149; vgl. Katechismus, 778.

3 Vgl. Katechismus, 782-786.

4 Vgl. ebd., 787-795.

5 Hl. Josefmaria Escrivá, Der Weg, Nr. 755.

6 „Schon seit langem, seit etwa 25 Jahren habe ich die Gewohnheit, wenn ich das Credo bete und die Göttlichkeit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche bekenne, einen kurzen Zusatz hinzuzufügen: trotz allem. Wenn ich dies jemandem erzähle und er mich fragt, was ich damit meine, antworte ich ihm: deine Sünden und meine Sünden“ (hl. Josefmaria Escrivá, Christus begegnen, Nr. 131).

7 Hl. Josefmaria Escrivá, Christus begegnen, Nr. 131.

8 Kompendium, 177.

9 Hl. Josefmaria Escrivá, Briefe, Rom 28.3.55, Nr. 4.

10 Hl. Josefmaria Escrivá, Gespräche, Nr. 69. „Heiligkeit - echte Heiligkeit - lässt sich nicht einschränken; sie füllt Herz und Seele anderer Menschen mit ihrem Reichtum. Als Kinder Gottes heiligen wir uns dadurch, dass wir andere heiligen. - Verbreitest du christliches Leben in deiner Umgebung? Frage dich jeden Tag danach!“ (Im Feuer der Schmiede, Nr. 856).

11 Vgl. Kompendium, 189-191.

12 Vgl. Kompendium, 192f. „Es ist unsere Aufgabe als Christen, diese Herrschaft Christi mit unseren Worten und Werken kundzutun. Der Herr will die Seinen auf allen Wegen der Erde haben. Einige ruft Er in die Wüste, damit sie dem Trubel der Welt fernbleiben und so vor den anderen Menschen Zeugnis davon ablegen, dass es Gott gibt. Wieder anderen vertraut Er das priesterliche Amt an. Die Mehrzahl will Er mitten in der Welt und in den irdischen Dingen haben. Darum müssen diese Christen Christus überall hintragen, wo Menschen arbeiten: in die Fabriken, ins Labor, aufs Feld, in die Werkstatt, auf die belebten Straßen der Großstadt und auf einsame Bergpfade“ (hl. Josefmaria Escrivá, Christus begegnen, Nr. 105).

13 Vgl. Katechismus, 819.

Miguel de Salis