Betrachtungstext: 28. Oktober – Heilige Apostel Simon und Judas

Simon, ein leidenschaftlicher Anhänger des Herrn – Die Frage des Judas Thaddäus – Die vollkommene Freiheit der Liebe

WIR FEIERN heute das Fest von Simon Kananäus und Judas Thaddäus. Die zwei Apostel wurden in den Listen der Zwölf stets gemeinsam genannt und daher auch im Heiligenkalender nicht voneinander getrennt. Nach alter Überlieferung haben sie in Mesopotamien, das heute Teil des Irak und Syriens ist, das Evangelium gepredigt und das Martyrium erlitten.

Bei Lukas erhält Simon den Beinamen Zelot (Lk 6,15), ein aramäisches Wort, das – ebenso wie das hebräische Kananäus, das Matthäus und Markus verwenden – ,eifersüchtig‘ oder ,leidenschaftlich‘ bedeutet. Als Zeloten wurden damals die Anhänger einer Bewegung bezeichnet, die sich gegen die römische Herrschaft auflehnte, indem sie zur Nichtbezahlung der Steuern und zu Aufständen aufrief. Möglicherweise teilte Simon die Ideen dieser Gruppe, „sein Beiname weist zumindest aber darauf hin“, wie Papst Benedikt ausführte, „dass ihn ein glühender Eifer für die jüdische Identität und damit für Gott, für sein Volk und für das göttliche Gesetz auszeichnete. Wenn das zutrifft“, so der Papst weiter, „steht Simon in diametralem Gegensatz zu Matthäus, der als Zöllner einer Tätigkeit nachgegangen war, die als ganz und gar unrein angesehen wurde. Das zeigt, dass Jesus seine Jünger und Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten sozialen und religiösen Schichten beruft, ohne jemanden von vornherein auszuschließen. Ihn interessieren die Menschen, nicht die gesellschaftlichen Kategorien oder Etiketten!“1

Die Apostel wussten trotz ihrer Unterschiede Seite an Seite zu leben, denn in Jesus fanden sie den Grund für ihren Zusammenhalt: In ihm waren sie alle vereint. Papst Benedikt folgerte daraus: „Das ist eine deutliche Lehre für uns, die wir oft dazu neigen, die Unterschiede und vielleicht auch die Gegensätze hervorzuheben. Dabei vergessen wir, dass uns in Jesus Christus die Kraft gegeben ist, unsere Konflikte beizulegen.“2 Der Prälat des Werkes lädt uns in diesem Sinne ein, die christliche Brüderlichkeit zu leben und „Diskriminierungen zu vermeiden, die angesichts der Unterschiede entstehen könnten. Immer wieder ist diese Verschiedenheit ein Reichtum an Charakteren, Empfindungsvermögen, Interessen usw.“3 Die Gestalt des heiligen Simon zeigt uns, dass es möglich ist, andere Menschen jenseits von natürlichen Sympathien oder Antipathien zu lieben, indem wir einander, wie der heilige Josefmaria schrieb, „als wahre Brüder und Schwestern lieben, mit dem Umgang und gegenseitigen Verständnis von Menschen, die eine geeinte Familie bilden.“4


JUDAS Thaddäus, dessen Beiname ,großmütig‘ bedeutet, stellte Jesus beim Letzten Abendmahl eine grundlegende Frage: Herr, wie kommt es, dass du dich nur uns offenbaren willst und nicht der Welt? (Joh 14,22). Es ist eine Frage, die wir heute ebenso stellen könnten: Herr, warum hast du dich als Auferstandener nicht auf spektakulärere Weise gezeigt? Warum hast du dich nicht als Sieger über deine Widersacher präsentiert? Warum hast du nur eine kleine Anzahl von Jüngern als Zeugen deiner Auferstehung auserwählt?

Die Antwort Jesu mag auf den ersten Blick rätselhaft erscheinen, führt uns aber in das Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und den Menschen sowie in den tieferen Sinn seines Todes und seiner Auferstehung ein: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen (Joh 14,23). Hingegen, so fügt der Herr an, wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht (Joh 14,24). Der heilige Josefmaria kommentiert dazu: „Das bedeutet, dass der Auferstandene auch mit dem Herzen gesehen und erkannt werden muss, damit Gott in uns Wohnung nehmen kann. Der Herr präsentiert sich nicht als ein Gegenstand, er will in unser Leben eintreten. Und deshalb erfordert und setzt seine Offenbarung ein offenes Herz voraus. Nur so können wir den auferstandenen Herrn sehen.“5

Manchmal wünschen wir uns vielleicht, dass Jesus sichtbarer oder unmittelbarer in unser Leben ebenso wie in die weltgeschichtlichen Ereignisse eingreifen wollte, so wie er es gelegentlich tat, als er auf Erden weilte. Aber das ist nicht Gottes Art. Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist, zeigt sich leuchtend und diskret zugleich. Er fordert unsere Sensibilität heraus, unsere Fähigkeit, uns zu öffnen und ihn in dem zu erkennen, was unseren Tag ausmacht, sei es in der unbeachteten Schönheit oder im drohenden Schmerz, in den Begegnungen und Trennungen, die mit den menschlichen Beziehungen einhergehen. In allem bietet uns Jesus seine helfende Hand an, um sein Reich der Liebe großmütig auszubreiten. Wir verstehen so, dass er, wie der heilige Josefmaria sagte, „in den Herzen der Kinder Gottes herrschen will. Denken wir dabei nicht an irdisches Herrschertum; Christus unterjocht nicht und will sich nicht durchsetzen, denn Er ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (Mt 20,28). Seine Herrschaft ist Friede, Freude, Gerechtigkeit.“6


DER HEILIGE Judas Thaddäus gilt traditionell als der Verfasser eines neutestamentlichen Briefes, einem der sogenannten katholischen Briefe, die an alle Christen und nicht nur an die Bewohner einer bestimmten Stadt gerichtet sind. In seiner Begrüßung wendet er sich an die Berufenen, die in Gott, dem Vater, geliebt und für Jesus Christus bewahrt sind (Jud 1,1), um die Christen dann auf einige moralische und lehrmäßige Verirrungen hinzuweisen, die sich in die Kirche eingeschlichen und zu Spaltungen geführt hatten. Viele der Probleme hingen mit einem falschen Verständnis der christlichen Freiheit zusammen, wonach unseres Gottes Gnade mit einem zügellosen Leben (Jud 1,4) verwechselt wurde.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Freiheit gelegentlich auf die Idee reduziert, dass man tun kann, was man möchte und so oft man möchte. Demgegenüber betonte Papst Franziskus, dass „die egoistische Freiheit, das zu tun, was ich will, keine Freiheit ist, weil sie auf sich selbst zurück fällt und nicht fruchtbar ist. Die Liebe Christi hat uns befreit, und die Liebe befreit uns auch von der schlimmsten Knechtschaft, der Knechtschaft des eigenen Ich; daher wächst die Freiheit mit der Liebe. Aber Achtung: nicht mit der Liebe nach Art der Telenovelas, nicht mit der Leidenschaft, die nur nach dem sucht, was uns gefällt und was wir mögen, sondern mit der Liebe, die wir in Christus sehen, der Liebe zu den anderen: Das ist die wahrhaft freie und befreiende Liebe.“7

Daher ermutigt der heilige Judas Thaddäus die Christen am Ende seines Briefes, in der Liebe Gottes zu verbleiben (vgl. Jud 1,20), was bedeutet, stets nach dem Vorbild Jesu zu handeln: den anderen zu dienen und sich selbst großherzig zu verschenken. Er hatte erkannt, dass es möglich ist, sogar den Tod „in der vollkommenen Freiheit der Liebe“8, wie der heilige Josefmaria sagte, zu erleiden. Maria, die Königin der Apostel, möge uns helfen, den Herrn mit dem Eifer und der Großherzigkeit dieser zwei Apostel zu lieben.


1 Benedikt XVI., Katechese, 11.10.2006.

2 Ebd.

3 Msgr. Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 16.2.2023, Nr. 6.

4 Hl. Josefmaria, Brief 30, Nr. 28.

5 Ebd.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 93.

7 Franziskus, Audienz, 20.10.2021.

8 Hl. Josefmaria, Kreuzweg, 10. Station.