Betrachtungstext: 26. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Die Freiheit, mit der Jesus den Kalvarienberg besteigt – Die Schwierigkeiten im Apostolat – Ein sanftmütiges Herz wünschen

ALS SICH DIE TAGE erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den festen Entschluss, nach Jerusalem zu gehen (Lk 9,51). Der Herr wusste, dass er mit diesem Schritt seinen Aufstieg auf den Kalvarienberg antrat; da er Mensch und Gott war, kannte er das Los, das ihn erwartete, ohne dass dies die Freiheit jener schmälerte, die ihn zu Tode bringen wollten. Heute und morgen am folgenden Tag muss ich weiterwandern; denn ein Prophet darf nicht außerhalb Jerusalems umkommen (Lk 13,33), wird er später sagen. Nach dem Bekenntnis des Petrus in Cäsarea Philippi nur wenige Tage zuvor hatte er begonnen, seine Jünger auf das Ende vorzubereiten, indem er ihnen offenbarte, wie er sterben würde (vgl. Lk 9,22.44).

Mit beeindruckender Entschlossenheit schreitet Jesus auf den Kalvarienberg zu. Es ist eine Haltung, die deutlich macht, dass Jesus sich willig dareingab (Is 53,7).1 Deshalb liebt mich der Vater, bekennt der Herr, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin (Joh 10,17-18). Es ist erstaunlich, wie sich „vor unseren Augen seine Freiheit bei seinem Aufenthalt auf Erden bis hin zum Kreuzesopfer entfaltet (...)“, schrieb der Prälat des Werkes und setzte fort: „Es hat in der Geschichte der Menschheit keinen so zutiefst freien Akt gegeben wie die Hingabe des Herrn am Kreuz: ,In der vollkommenen Freiheit der Liebe will er den Tod erleiden.‘23

Die Liebe Christi führt ihn zur vollkommenen Selbsthingabe, ohne Vorbehalt, ohne Maß. Wenn ein einziger Tropfen seines Blutes ausreichte, „um“, wie wir im Adoro te devote beten, „alle Schuld zu sühnen, der ganzen Erde Heil und Huld zu bringen“4, warum ließ er dann zu, dass die Menschen ihn sein Blut bis auf den letzten Tropfen vergießen ließen? Aus der Perspektive Jesu, der sich stets ohne jede Berechnung hingibt, können wir eine Antwort erahnen: Er ließ zu, dass sie ihn all sein Blut vergießen ließen, weil er nicht mehr hatte. Und er gibt es uns weiterhin täglich freiwillig hin in den Sakramenten, vor allem in der Heiligen Messe.


KURZ NACHDEM JESUS sich auf den weiten Weg gemacht hatte, der ihn bis auf den Kalvarienberg führen sollte, schickte er Boten vor sich her. Diese gingen und kamen in ein Dorf der Samariter und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war (Lk 9,52). Diese abweisende Reaktion ist verständlich, wenn man bedenkt, dass Juden und Samariter nur ungern miteinander verkehrten.

Wie bei diesen Boten zählt der Herr auf uns, dass wir seine Begegnung mit vielen Menschen vorbereiten. Jesus hat den Wunsch, uns unverdientermaßen mit seinem Erlösungswerk zu verbinden; er wollte, dass wir Seite an Seite mit ihm an diesem Traum arbeiten, vielen Menschen das wahre Glück zu bringen. Es versteht sich, dass wir bei diesem Bemühen auf Schwierigkeiten stoßen, wie es den Jüngern in jenem samaritanischen Dorf erging. Dann können wir uns an Jesus wenden, damit wir nicht den Mut verlieren, sondern nach einer Geduld verlangen, wie nur Gott sie hat. Solche Situationen können uns als Erinnerung daran dienen, dass unsere Aufgabe darin besteht, an der Verwirklichung seines Willens mitzuwirken, und dass wir danach streben, sein Reich auszuweiten – und nicht ein fiktives Reich.

Jesus redete seinen Aposteln zu, sich nicht in eine Empörung hineinzusteigern, die ein Anzeichen dafür sein könnte, dass sie noch nicht vollständig in die göttliche Logik eingetreten sind. Herr, sollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie verzehrt, fragten Jakobus und Johannes. Da wandte er sich um und wies sie zurecht (Lk 9,54-55). Jesus möchte, dass wir uns immer an folgendes erinnern, vor allem in unserem persönlichen Leben, was Papst Benedikt so formulierte: „Wer Christus einlässt, dem geht nichts, nichts, gar nichts verloren von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück. (...). Erst in dieser Freundschaft erfahren wir, was schön und was befreiend ist.“5


ES IST VERBLÜFFEND, mit welcher Sanftmut uns Jesus während seiner Passion seine Freundschaft anbietet. Der Herr „zwingt sich nicht als Herrscher auf, er zeigt uns schweigend seine durchbohrten Hände und bittet um etwas Liebe“6, schrieb der heilige Josefmaria. Und er fordert uns auf, in seine Fußstapfen zu treten: lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig (Mt 11,29). Außerdem wollte er mit dieser Sanftmut eine Seligpreisung verbinden: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben (Mt 5,5). Der Lohn der Sanftmütigen ist ein Erbe, das heißt, etwas, das sich nicht sofort einstellt. Sie können mit heiterer Gelassenheit darauf warten, denn sie dürfen mit Sicherheit darauf hoffen: Sie werden ihren Lohn empfangen wie jemand, der ein unverdientes Geschenk empfängt.

Die Sanftmut Jesu ist nicht die feige Sanftmut eines Menschen, der bei allem nachgibt, weil er es nicht wagt, sich Schwierigkeiten zu stellen. Es ist auch nicht die Sanftmut des klugen Fuchses, der darauf wartet, bis seine Zeit gekommen ist. Jesus ist sanftmütig, denn er ist frei von dem Wunsch, sich durchzusetzen, zu herrschen, sich andere zu unterwerfen. Er ist sanftmütig, weil seine Liebe ihn dazu bringt, die Freiheit der anderen zu respektieren; er versucht nicht, die Person zu besitzen, im Gegenteil, denn, wie Papst Franziskus schrieb, „die Liebe, die besitzen will, wird am Ende immer gefährlich, sie nimmt gefangen, erstickt und macht unglücklich“.7

Gott liebt und achtet unsere Freiheit, die letztlich sein Geschenk ist. Mit dieser Haltung gibt er uns auch ein Beispiel dafür, wie man die Freiheit der anderen respektiert. Und zugleich zeigt uns Jesus mit seinem Leben den höchsten Wert dieser Gabe auf: sie in den Dienst der Menschen zu stellen. Wir bitten die Gottesmutter, uns zu helfen, ein Herz wie das ihres Sohnes zu haben: ein sanftmütiges Herz, das von der Leidenschaft und Freude zu dienen bewegt wird.


1 Zitiert in hl. Josefmaria, Kreuzweg, IX. Station.

2 Ebd., X. Station.

3 Msgr. Fernando Ocáriz, Pastoralbrief, 9.1.2018, Nr. 3.

4 Hymnus Adoro Te devote.

5 Benedikt XVI., Predigt, 24.4.2005.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 179.

7 Franziskus, Patris Corde, Nr. 7.

Foto: Tom Jur (unsplash)