Euer Herz lasse sich nicht verwirren, sagt Jesus heute zu uns. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen (Joh 14,1-2). Der Allerseelentag ist eine Gelegenheit, die Wirklichkeit des ewigen Lebens wieder einmal zu bedenken und unsere Hoffnung auf das endgültige Zusammentreffen mit der wahren Liebe zu richten. Niemand von uns hat die Schwelle des Todes je überschritten; wir wissen nicht, wie dieser Augenblick aussehen wird. Doch in seinem Sohn wollte uns Gott einen Ausblick auf das schenken, was uns in seinen himmlischen Wohnungen erwartet.
„Viele haben gestern und heute einen Besuch auf dem Friedhof gemacht, der (...) eine ,Ruhestätte‘ in Erwartung des endgültigen Erwachens ist“, so Worte von Papst Franziskus. „Jesus selbst hat gezeigt, dass der Tod des Leibes einem Schlaf gleicht, aus dem er uns auferwecken wird. In diesem Glauben verweilen wir – auch geistig – bei den Gräbern unserer Lieben, jenen also, die uns geliebt und uns Gutes getan haben. Heute sind wir jedoch aufgerufen, aller zu gedenken, auch jener, an die niemand sich mehr erinnert.“1
Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, fährt Jesus fort, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin (Joh 14,3). Jesus möchte, dass wir mit dem Tod eine große Hoffnung verbinden, sodass dies uns auch zu einem Leben in Hoffnung führt. Papst Benedikt betont: „Der Mensch braucht Ewigkeit, jede andere Hoffnung ist für ihn zu kurz, zu begrenzt. Der Mensch ist nur erklärbar, wenn es eine Liebe gibt, die jede Grenze überschreitet, auch die des Todes, in einer Ganzheit, die Raum und Zeit übersteigt.“2
„HERR, GIB IHNEN die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihnen“3 – so beten wir zu Beginn der Heiligen Messe am Allerseelentag. Die gläubigen Verstorbenen, die den Himmel noch nicht erreicht haben, erleben das Fegefeuer als eine zugleich schmerzhafte und glückselige Zeit. Schmerz und Freude sind dort auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden. Die Freude entspringt der Gewissheit, dass sie Gott schauen werden: Sie haben den Kampf gewonnen, sie haben entschieden, auf Erden und im Himmel glücklich zu sein und stehen nur noch einen Schritt von der Herrlichkeit entfernt. Deshalb nennt die christliche Tradition sie „die Armen Seelen im Fegefeuer“.
Selbst der Schmerz wird dort zur Freude, da die Seelen die Läuterung im Einklang mit Gottes Willen annehmen. In brennender, wenn auch noch unvollkommener Liebe beten sie das Geheimnis der Heiligkeit Gottes an. Papst Benedikt XVI. zitiert die heilige Katharina von Genua, deren Vision des Fegefeuers bekannt ist. Sie beschreibt das Fegefeuer nicht als Teil eines unterirdischen Ortes, sondern als „inneres Feuer“: „Die Heilige spricht vom Weg der Läuterung der Seele auf die volle Gemeinschaft mit Gott hin, ausgehend von ihrer eigenen Erfahrung des tiefen Schmerzes wegen der begangenen Sünden angesichts der unendlichen Liebe Gottes.“4
In einem der eucharistischen Hochgebete richtet der Priester im Namen aller an Gott folgende Bitte: „Gedenke unserer Brüder und Schwestern, die entschlafen sind in der Hoffnung, dass sie auferstehen. Nimm sie und alle, die in deiner Gnade aus dieser Welt geschieden sind, in dein Reich auf, wo sie dich schauen von Angesicht zu Angesicht.“5 Von allen Opfern ist das Altarsopfer das wertvollste. Damit die Armen Seelen so schnell wie möglich ihre ewige Bestimmung erreichen, erlaubt die Kirche deshalb allen Priestern heute, bis zu dreimal die Heilige Messe zu feiern. Daneben ermutigt sie uns, für unsere Brüder und Schwestern, die „bereits den Schlaf des Friedens schlafen“, zu beten. Neben der Eucharistie sind auch das Rosenkranzgebet, das Responsorium und Bußwerke wertvolle Ausdrucksformen der Fürbitte, um den Verstorbenen beizustehen.
DIE GEMEINSCHAFT des mystischen Leibes Jesu Christi bedeutet, wie es im Katechismus heißt, dass unser Gebet für die Verstorbenen nicht nur ihnen zugutekommt. Denn „wenn ihnen geholfen ist, kann auch ihre Fürbitte für uns wirksam werden.“6 Diese wechselseitige Hilfe wussten viele Heilige sehr zu schätzen. So war der heilige Alfons Liguori überzeugt, „dass Gott ihnen unsere Gebete bekannt macht, und dann unterlassen es diese sicher nicht, für uns zu beten, da sie ja voller Liebe sind“7. Die heilige Theresia von Lisieux, die die Armen Seelen oft um Hilfe bat, fand Trost in folgendem Gebet: „Mein Gott, ich bitte dich, begleiche die Schuld, die ich den Seelen im Fegefeuer gegenüber habe.“8 Auch der heilige Josefmaria verbündete sich mit ihnen und erklärte einmal: „Anfangs habe ich die Gesellschaft der Seelen im Fegefeuer stark empfunden. Ich hatte das Gefühl, dass sie an meiner Soutane zupften und mich baten, ich solle für sie beten und mich ihrer Fürsprache anvertrauen. Aufgrund der enormen Dienste, die sie mir erwiesen, sage ich seit damals gerne – und predige es und bringe anderen diese Wirklichkeit nahe –: meine guten Freunde, die Seelen im Fegefeuer.“9
Die Erfahrungen der Heiligen zeigen uns, dass wir mit unseren Lieben über den Tod hinaus verbunden bleiben können. Papst Benedikt erklärte dazu: „Kein Mensch ist eine geschlossene Monade. Unsere Existenzen greifen ineinander, sind durch vielfältige Interaktionen verbunden. Keiner lebt allein. Keiner sündigt allein. Keiner wird allein gerettet. In mein Leben reicht immerfort das Leben anderer hinein.“ Deshalb sollten wir uns als Christen fragen: „Wie kann ich dienen, damit anderen der Stern der Hoffnung aufgeht?“ So tun wir zugleich das Beste für unsere eigene Rettung.10
„Wenden wir uns jetzt an die Gottesmutter“, lädt Papst Franziskus uns ein, „die unter dem Kreuz das Drama des Todes Christi durchlitten und dann an der Freude über seine Auferstehung Anteil hatte. Sie, die Pforte des Himmels, helfe uns, den Wert des Fürbittgebets für die Verstorbenen immer tiefer zu erfassen. Sie sind uns nahe!“11
1 Franziskus, Angelus-Gebet, 2.11.2014.
2 Benedikt XVI., Audienz, 2.11.2011.
3 Messe von Allerseelen II, Eröffnungsvers.
4 Benedikt XVI., Audienz, 12.1.2011.
5 Römisches Messbuch, Hochgebet II.
6 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 958.
7 Hl. Alfons Maria von Liguori, Das große Mittel des Gebetes, Teil 1, 3.
8 Hl. Therese vom Kinde Jesu, Letzte Gespräche, 6.8.1897.
9 Hl. Josefmaria, Worte, notiert 1967, in: Javier Echevarría, Memoria del Beato Josemaría Escrivá, Rialp, Madrid 2000, S. 187.
10 Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, Nr. 48.
11 Franziskus, Audienz, 2.11.2014.