Betrachtungstext: 5. Januar

Wie Jesus das Leben für die anderen hingeben – In Wahrheit und mit Werken lieben – „Komm und sieh“: Jesus zieht die Seelen an

MORGEN FEIERN wir das Hochfest der Erscheinung des Herrn. Die Weisen aus dem Orient begaben sich auf eine lange Reise, um das Kind ausfindig zu machen. Als sie es in Bethlehem fanden, fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar (Mt 2,11). Die Magier überreichten Maria und Josef bedeutungsvolle Geschenke. Die Tradition betrachtete das Gold immer als Symbol für das Königtum des Neugeborenen, den Weihrauch als Hinweis auf seine Gottheit und die Myrrhe als Vorzeichen auf seinen Erlösertod: König, Gott und Erlöser. Dieses Kind, der menschgewordene Schöpfer, kommt, um für uns zu sterben.

Bereits in der Krippe ist das Kreuz vorgezeichnet. Zwei Sätze des heiligen Lukas, einer vom Anfang und einer vom Ende seines Evangeliums, weisen durch ihre frappante Parallelität darauf hin. Vor der Geburt berichtet Lukas: Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war (Lk 2,7); und im Augenblick des Todes schreibt er: Und er nahm ihn vom Kreuz, hüllte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch niemand bestattet worden war (Lk 23,53). Zwei Mal wurde der Herr genommen und eingehüllt: nach seiner Geburt in Windeln, nach seinem Tod in ein Leinentuch, zwei Mal wurde sein Leib hingelegt: bei seiner Geburt in die Krippe, nach seinem Tod in das Grab.

Der heilige Johannes, dessen ersten Brief wir in diesen Tagen in der Messe hören, nimmt ebenfalls Bezug auf Jesu Tod, wenn er schreibt: Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns hingegeben hat (1 Joh 3,16). Diese Aussage besitzt die Kraft des direkten Zeugen: Johannes war auf Golgotha dabei, sah, wie der Meister das Kreuz umfing, und erlebte seine Liebe bis zum letzten Atemzug aus erster Hand. Johannes weiß, dass die Liebe Christi nicht nur in Worten besteht. Und er fügt hinzu: Auch wir müssen unser Leben für die Brüder hingeben (1 Joh 3,16). Diese Worte der heutigen Liturgie weisen den Weg, dem wir als Jünger Jesu folgen müssen. Der heilige Josefmaria legte uns inständig nahe: „Wie eindringlich predigte der Apostel Johannes das mandatum novum, das neue Gebot! ,Liebt einander!‘ Ich würde auf die Knie fallen – es wäre kein Theater, mein Herz verlangt danach! –, um euch um der Liebe Gottes willen zu bitten, dass ihr einander liebt, einander helft, einander die Hand reicht und euch gegenseitig zu vergeben versteht. Darum: Weg mit dem Hochmut! Habt Mitgefühl! Habt Liebe! Helft euch gegenseitig durch das Gebet und die aufrichtige Freundschaft.“1


MEINE KINDER, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Und daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind (1 Joh 3,18-19), so schrieb der heilige Johannes in seinem ersten Brief. Und Papst Franziskus gibt uns zu bedenken: „Die Liebe erlaubt keine Ausreden: Wer wie Jesus lieben will, muss sich sein Beispiel zu eigen machen (…). Die Art des Sohnes Gottes zu lieben kennen wir gut, und Johannes erinnert uns deutlich daran. Sie gründet auf zwei Pfeilern: Gott liebte uns zuerst (vgl. 1 Joh 4,10.19); und er liebte uns, indem er alles gab, sogar sein eigenes Leben (vgl. 1 Joh 3,16). Eine solche Liebe kann nicht ohne Antwort bleiben. Auch wenn sie einseitig geschenkt wurde, das heißt, ohne etwas dafür zu verlangen, so entflammt sie das Herz derart, dass sich jeder Mensch angetrieben fühlt, trotz seiner Begrenzungen und Sünden zu entsprechen.2

Von der Kraft der Liebe Jesu bewegt setzten sich die ersten Jünger sofort in Bewegung, um ihren Freunden und Verwandten von ihrer Begegnung mit dem Herrn zu berichten. So sehen wir, wie Andreas seinen Bruder Simon zu Jesus führt, nachdem er einen Tag am Jordan mit Christus verbracht hatte (vgl. Joh 1,42). Und das heutige Evangelium erzählt von der Begegnung des Philippus mit Jesus und seiner unmittelbaren Reaktion, als er seinem Freund Natanael begegnet. Philippus sagte zu ihm: Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs (Joh 1,45). Trotz der Gleichgültigkeit Natanaels, der Nazaret als unbedeutendes Dorf ansieht, das in der Schrift nicht einmal erwähnt wird, antwortete Philippus: Komm und sieh! (Joh 1,46).

Es gibt vielleicht keinen größeren Liebesbeweis, als die Menschen zu einer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus führen. Philippus kann sich nicht zurückhalten, nachdem er aus dem Mund des Meisters das Folge mir nach! (Joh 1,43) gehört hat. Das Feuer in seinem Herzen treibt ihn dazu an, von ihm zu erzählen, andere mitzuziehen und seine Freude mit anderen zu teilen. Er muss Natanael erzählen, dass ihn – auch wenn er nicht so recht weiß, wie und warum – völlig unerwartet das größte aller Geschenke getroffen hat.


DER HEILIGE JOSEFMARIA betonte gerne, dass Gott die Dinge „früher, mehr und besser“3 macht, als wir es uns vorstellen können. Gottes unendliche Güte übertrifft unsere Erwartungen und Träume. Von dieser Gewissheit gehen wir aus, wenn wir für unseren Glauben Zeugnis ablegen. Wir arbeiten nicht im eigenen Interesse, die Seelen gehören dem Herrn. Wir arbeiten einfach nur in seinem Weinberg. Philippus spricht mit seinem Freund, weil er davon überzeugt ist, dass Jesus niemanden enttäuscht. Das ist auch unsere Überzeugung. Wir wissen, dass Jesus die Seelen an sich zieht und das Leben mit ihm unser Leben verwandelt. Wir vertrauen darauf, dass auch unsere Angehörigen und die Menschen, die wir lieben, von ihm gewonnen werden, so wie es bei uns geschehen ist. Diese Hoffnung ist die Triebfeder unseres Apostolats.

Der heilige Papst Paul VI. wandte sich einmal an Schüler in Rom und sagte: „Von diesem Tag an wurden die Apostel zu ,Zeugen‘, die so sehr von der Liebe zu ihrem Meister und der faszinierenden Schönheit seiner Botschaft ergriffen (Phil 3,12) waren, dass sie bereit waren, sogar den Tod in Kauf zu nehmen, nur um die mit ihm eingegangene Verpflichtung nicht zu verraten. (...) Christus lädt nicht nur weiterhin einige wenige durch ein persönliches und geheimes Wort, das in ihren Herzen einen tiefen Wiederhall auslöst, zur Ganzhingabe ihrer selbst ein, sondern sucht die Begegnung mit allen Menschen, mit jedem einzelnen von euch, um ihm persönlich die Frage zu stellen, die er dem jungen Blinden stellte: Glaubst du an den Menschensohn? (Joh 9,35). Denen, die diese Frage bejahen, überträgt Jesus die Aufgabe, vor der Welt Zeugen dieser Erwählung zu sein.“4

Von seinem Lehrstuhl in Bethlehem aus blickt das göttliche Kind auf uns, um uns eine Lektion der Hingabe an die anderen zu erteilen. Es macht sich klein, um alle an sich zu ziehen. Maria ist Zeugin dieser göttlichen Liebe. Sie hält sie in ihren Armen.


1 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 454.

2 Franziskus, Botschaft für den ersten Welttag der Armen, 19.11.2017.

3 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 462.

4 Hl. Paul VI., Ansprache an die Schüler katholischer Schulen in Rom, 25.2.1978.

Foto: wonderlane (unsplash)