Betrachtungstext: 4. Woche der Fastenzeit – Samstag

Noch nie hat ein Mensch so gesprochen (Joh 7,46) – Das Herz nicht verhärten – Die Worte Jesu

ES IST DAS DRITTE JAHR des öffentlichen Lebens des Herrn. Es sind Tage der Auseinandersetzung mit den Pharisäern und anderen Führern des Volkes. Jesus ist in Jerusalem, wo das Laubhüttenfest gefeiert wird. Die Straßen der Stadt sind mit Hütten aus belaubten Zweigen gefüllt, die an Israels Durchzug durch die Wüste nach der Befreiung aus Ägypten erinnern sollen. An diesem Fest, das zwischen September und Oktober, am Ende des landwirtschaftlichen Jahres, stattfand, wurde Gott für die Ernte und Weinlese gedankt; man bat um Gottes Segen für die Zukunft, mit Blick auf den verheißenen Erlöser.

In diesem festlichen Rahmen mit einer großen Zahl von Pilgern auf den Straßen fürchteten die Hohenpriester und Schriftgelehrten, Jesus könnte zum Messias ausgerufen werden, und schickten einige Tempelwächter aus, um ihn zu ergreifen. Möglicherweise waren es nicht viele, sie sahen sich jedenfalls nicht in der Lage, Gewalt auszuüben, ohne einen Aufstand zu provozieren. Es ist möglich, dass sie an den Ort kamen, wo der Herr zu seinen Jüngern sprach, und seitlich stehen blieben, um das Ende der Rede abzuwarten. So würden sie ihn diskret aufhalten können, ohne dass die Menge in Aufruhr geriet. Während sie warten, hören sie ihn sprechen, und die Worte Jesu berühren ihre Herzen. Ihre Seelen sind bewegt, und sie geben das ursprüngliche Ziel auf, das sie dorthin gebracht hatte. Als sie zurückkehren, um den Hohenpriestern und Pharisäern zu berichten, fragen diese entrüstet: Warum habt ihr ihn nicht hergebracht? (Joh 7,45). Und die Antwort der Wächter ist vielsagend: Noch nie hat ein Mensch so gesprochen (Joh 7,46).

Wie verschieden sind diese beiden Gruppen von Menschen! Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten sind seelisch verhärtet, sie wollen Jesus nicht zuhören und verbergen ihre Herzen hinter einem Schild von Vorurteilen. Wenn sie einen Dialog mit dem Meister führen, ist dieser nur scheinbar, wollen sie ihn bloß bei einem falschen Wort ertappen. Die Tempelwächter hingegen sind einfache Menschen; ihre innere Einstellung erlaubt es ihnen, Christus ohne Hindernisse zu lauschen. Und in dieser persönlichen Begegnung lassen sie sich überzeugen. Diese Nebenfiguren des Evangeliums erinnern uns an die Notwendigkeit, das Wort Gottes mit einfachem Herzen zu hören, damit es, einmal angenommen, wirklich zum Licht wird, das unser Leben leitet.


WÜRDET IHR doch heute auf seine Stimme hören! Verhärtet euer Herz nicht (Ps 95,7-8). Die Kirche wiederholt diese Worte des Psalms in der Fastenzeit unermüdlich für uns. Sie erinnert uns daran, dass unsere Herzen dazu neigen können, sich zu verhärten, auch wenn wir uns schon lange, vielleicht schon seit vielen Jahren, bemühen und versuchen, christlich zu leben. Die Hohenpriester und die Pharisäer konnten in Jesus, der Wahrheit, Licht und Güte war, nichts Positives erkennen. Ihre Augen waren nur bereit, zu erhaschen, was gegen Jesus verwendet werden konnte.

Angesichts der Geschehnisse rings um uns können wir immer zwischen einem wertenden und einem beschaulichen Blick wählen. In gewisser Weise bedingt diese Wahl unsere Art, die Realität wahrzunehmen. Durch das Gebet können wir uns mit der Sicht verbinden, die, wie Papst Franziskus sagte, „von Gott kommt, uns nicht verurteilt, sondern aufnimmt, umarmt, unterstützt und vergibt1. Er allein weiß, was in den Herzen der Menschen vor sich geht.

Wir wissen sehr wohl, dass diejenigen, die sich als Kinder eines Gottes verstehen, der Vater ist und der das Böse besiegt hat, niemanden hassen und die Welt nicht mit pessimistischen Augen betrachten. Der Glaube und die Nächstenliebe drängen uns dagegen, uns vor allem auf das Gute zu konzentrieren, die Schönheit, die uns umgibt, zu bewundern und – mit den Worten des heiligen Josefmaria – „eine positive und offene Haltung gegenüber den zeitbedingten Strukturwandlungen in der Gesellschaft und auch gegenüber den veränderten und sich weiterhin verändernden Lebensformen“2 zu pflegen. Das Christentum ist Neuheit, Licht, Heil, Liebe für jeden Menschen. Und wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika über das Apostolat schrieb, ist der Blick des Glaubens außerdem fähig, „das Licht zu erkennen, das der Heilige Geist immer inmitten der Dunkelheit verbreitet. Er vergisst nicht, dass wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übergroß geworden ist (Röm 5,20). Unser Glaube ist herausgefordert, den Wein zu erahnen, in den das Wasser verwandelt werden kann, und den Weizen zu entdecken, der inmitten des Unkrauts wächst.“3


DIE TEMPELWÄCHTER konnten die Worte Jesu verstehen. Sie erkannten, dass sie nicht irgendeinem Rabbi zuhörten, sondern dass da mehr war, etwas radikal anderes. Das Evangelium weist darauf hin, dass er sie lehrte wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten (Mk 1,22). Die Worte Jesu wurden durch die Zeichen, die er tat, und durch das Beispiel seines Lebens untermauert. Nie war ein Mensch mehr mit seiner Botschaft identifiziert, denn die Botschaft war seine Person: Er war die menschgewordene Liebe Gottes, die Versöhnung mit dem Vater, der den Menschen den Menschen selbst offenbart.4

Jesus hat die Wahrheit mit Autorität und Tiefe offenbart. Es gelang ihm dabei auf einfache Weise, mit einer Sprache, die mit dem Alltag der Menschen, die ihm zuhörten, zu tun hatte. Je nach ihrer Veranlagung konnte jeder die Verkündigung besser oder schlechter verstehen, aber die Worte Jesu berührten das Leben seiner Zuhörer. Darüber hinaus konnten Frauen und Männer mit einem guten Herzen ein weiteres Merkmal in den Worten Christi erkennen: sein Wohlwollen. Sie erkannten, dass er aus dem Herzen sprach, dass es ihm nicht darum ging, gut dazustehen oder Beifall zu ernten, sondern dass er nur im Geiste der Hilfe, des Trostes und der Rettung zu ihnen sprach. In seinen Worten entdeckten sie die Liebe Gottes zu jedem Einzelnen.

Auch heute noch „verweigert Jesus niemandem sein Wort, und es ist ein Wort, das heilt, das tröstet und das erleuchtet5, wie der heilige Josefmaria schrieb. Sooft wir das Evangelium lesen und darüber meditieren, können wir Christus persönlich begegnen, so dass er zum Licht unseres Lebens wird. Wie die Wächter des Tempels können wir ausrufen: Noch nie hat ein Mensch so gesprochen (Joh 7,46). Maria, die das Wort Gottes in sich aufgenommen hat, kann uns auf diesem Weg zur Helferin werden.


1 Franziskus, Patris corde, Nr. 2.

2 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 428.

3 Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 84.

4 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Nr. 22.

5 Hl. Josefmaria, Briefe 37, Nr. 10.