Betrachtungstext: 32. Woche im Jahreskreis - Samstag

Jesus fordert uns auf, als Bittsteller zu beten. - Für die Menschen um uns herum Fürsprache einlegen. - Gebet und Glaube stärken sich gegenseitig.

OBWOHL es so oft schwierig erscheint, die Vorstellung eines absolut vollkommenen Gottes, der alles weiß, mit seiner Bereitschaft, sich von uns bewegen zu lassen, in Einklang zu bringen, ist Jesus im heutigen Evangelium eindeutig. Ja, Gott zählt auf unsere Gebete. "Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern?" (Lk 18,1-7).

Das Gleichnis stellt uns in lebhaften Farben einen herzlosen Richter und eine beharrliche Witwe vor. Die Schlussfolgerung ergibt sich aus dem Kontrast: Wenn selbst eine Figur wie der Richter, wenn auch widerwillig, dem hartnäckigen Drängen der Witwe nachgibt, wie kann dann unser beharrliches Gebet nicht wirksam sein, wenn derjenige, der uns erhört, unser Vater Gott ist, der uns unendlich liebt und unser Wohl mehr wünscht als wir selbst?

"Wer so an der rettenden Liebe Gottes teilnimmt, begreift, daß jedes Bedürfnis Gegenstand des Bittens werden kann. Christus, der alles angenommen hat, um alles zu erlösen, wird durch die Bitten, die wir in seinem Namen dem Vater darbringen, verherrlicht [Vgl. Joh 14,13]. Mit dieser Zuversicht ermahnen uns Jakobus [Vgl. Jak 1,5-8.] und Paulus [Vgl. Eph 5,20; Phil 4,6-7; Kol 3, 16-17; 1 Thess 5, 17-18.], jederzeit zu beten".1 Im Gebet erkennen wir die Macht, Güte und Barmherzigkeit Gottes an. Und die erste Frucht des Gebets ist, dass es uns enger mit unserem Herrn verbindet, dass es uns hilft, seinen Willen anzunehmen, bis hin zur Identifikation mit ihm, auch wenn wir ihn nicht immer ganz verstehen.


DAS LEBEN des heiligen Josefmaria ist, wie das vieler anderer Heiliger, ein Beispiel für die Beharrlichkeit im Gebet. “Ich bin sehr stur, ich komme aus Aragonien", sagte er einmal mit gutem Humor und erinnerte an eine Eigenschaft, die man gewöhnlich den Menschen seiner Heimat zuschreibt, "und das spielt, auf das Übernatürliche bezogen, keine Rolle; im Gegenteil, es ist gut, denn wir müssen im inneren Leben beharrlich sein".2 Und sehr oft ermutigte er seine Töchter und Söhne angesichts der Nöte und Dringlichkeiten, die im Leben der Kirche und des Werkes immer wieder auftauchen, mit Glauben zu beten, ohne sich entmutigen zu lassen: "Es bleibt uns nichts anderes übrig als auszuharren. Bittet, bittet, bittet! Seht ihr nicht, was ich tue? Ich versuche diesen Geist in die Tat umzusetzen. Und wenn ich etwas erreichen will, lasse ich alle meine Kinder darum beten und sage ihnen, sie sollen die Kommunion und den Rosenkranz und unzählige Abtötungen und Stoßgebete aufopfern — tausende! Und wenn wir persönlich beharrlich sind, dann wird uns Gott, unser Herr, alle Mittel geben, die wir brauchen, um wirksamer zu sein und sein Reich auf der Welt auszubreiten".3

"Die inständige Bitte ist Ausdruck des Herzens, das auf Gott vertraut, das weiß, dass es alleine nichts vermag. Im Leben des gläubigen Gottesvolkes finden wir viel an inniger Bitte, voll gläubiger Zärtlichkeit und tiefen Vertrauens. Nehmen wir dem Bittgebet nicht seinen Wert, das oft unser Herz beruhigt und uns hilft, mit Hoffnung weiter zu kämpfen. Die Fürbitte hat einen besonderen Wert, weil sie ein Akt des Gottvertrauens und zugleich ein Ausdruck der Nächstenliebe ist. Manche glauben aufgrund von spiritualistischen Vorurteilen, dass das Gebet eine reine Kontemplation Gottes sein müsse, ohne Ablenkungen, so als ob die Namen und Gesichter der Brüder und Schwestern eine zu vermeidende Störung wären. Die Realität ist dagegen, dass das Gebet Gott gefälliger und heiligmachender wird, wenn wir darin durch die Fürbitte versuchen, das uns von Jesus hinterlassene Doppelgebot zu leben. Die Fürbitte drückt das brüderliche Engagement für andere aus, wenn wir in ihr fähig sind, das Leben anderer aufzunehmen, mit ihren verstörenden Seelennöten und besten Träumen. Wer sich großmütig der Fürbitte widmet, von dem kann man mit den Worten der Heiligen Schrift sagen: »Dieser ist der Freund seiner Brüder, der viel für das Volk betet« (2 Makk 15,14)".4


"WIRD JEDOCH der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?" (Lk 18,8). Die Schlussfolgerung Jesu aus dem Gleichnis über die Notwendigkeit des Gebets zeigt immer die enge Verbindung zwischen Glauben und Gebet. “Lasst uns glauben, damit wir beten können", sagte der heilige Augustinus, "und lasst uns beten, damit der Glaube, der der Anfang des Gebets ist, uns nicht im Stich lässt. Der Glaube verbreitet das Gebet, und das Gebet, indem es sich ausbreitet, erlangt seinerseits die Festigkeit des Glaubens".5

Sowohl in unserem persönlichen Leben als auch auf dem Weg der Kirche durch die Menschheitsgeschichte können wir sicher sein, dass "die Lampe des Glaubens auf der Erde stets brennen wird, solange das Öl des Gebets vorhanden sein wird".6 Scheinbare individuelle oder kollektive Erfolge oder Misserfolge sind von sehr relativer Bedeutung, weil das Wesen des Evangeliums ein anderes ist: "Das Evangelium verspricht keinen leichten Erfolg. Es verspricht niemandem ein bequemes Leben. Es stellt Ansprüche. Doch gleichzeitig ist es eine große Verheißung: die Verheißung des ewigen Lebens für den Menschen, der dem Gesetz des Todes unterliegt; es ist die Verheißung des Sieges durch den Glauben, die an den Menschen gerichtet ist, dem so viele Niederlagen drohen".7

Wir müssen immer beten, uns an den Herrn wenden, "wie man mit einem Bruder, mit einem Freund, mit einem Vater spricht – voller Vertrauen. Sag ihm: Herr, Du bist alle Größe, alle Güte, alle Barmherzigkeit. Ich weiß, daß Du mich hörst! Deshalb liebe ich Dich immer mehr, mit all meiner Ungeschliffenheit, mit meinen armseligen Händen, die schmutzig sind vom Staub des Weges".8 Maria ist Lehrmeisterin des Gebets, weil sie immer ihren Sohn im Blick hatte. "Sieh, wie sie ihren Sohn in Kana bittet. Wie sie ohne Entmutigung beharrlich auf ihrer Bitte besteht. – Welchen Erfolg sie hat".9


1 Hl. Josefmaria, Notizen eines Familientreffens, 16. Juni 1974.

2 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2633.

3 Hl. Josefmaria, Betrachtung, 4. März 1960.

4 Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben ‘Gaudete et exsultate’, Nr. 154.

5 Hl. Augustinus, Predigt 115, 1.

6 Papst Franziskus, Generalaudienz, 14. April 2021.

7 Hl. Johannes Paul II., Die Schwelle der Hoffnung überschreiten, S: 131.

8 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, ‘Das Gebet der Kinder Gottes’, S. 32.

9 Hl. Josefmaria, Der Weg, Punkt 502.

Foto: Rodnae Productions (pexels)