JESUS WURDE von den unterschiedlichsten Menschen zum Essen eingeladen: Er war Gast bei seinen Jüngern und Freunden, nahm an Banketten teil, die ihm zu Ehren gegeben wurden, und aß mit führenden Persönlichkeiten des Volkes. Einmal, so berichtet das Evangelium nach Lukas, folgte Jesus der Einladung eines bekannten Pharisäers. Als der Gastgeber bemerkte, dass Jesus sich zu Tisch setzte, ohne vorher die traditionelle Händewaschung zu vollziehen, wurde er unruhig. Auch die anderen Gäste nahmen dies wahr und hinterfragten innerlich die Haltung des Meisters.
Der Evangelist erzählt, dass Jesus die Situation nutzte, um den Anwesenden eine wichtige Lehre zu erteilen: In Gottes Augen zählt nicht nur das Äußere, sondern vor allem das Innere – die Beweggründe des Herzens. (Lk 11,40): Weh euch Pharisäern! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Gewürzkraut und allem Gemüse und geht am Recht und an der Liebe Gottes vorbei. Man muss das eine tun, ohne das andere zu unterlassen (Lk 11,42). Der Ton seiner Worte war scharf. Jesus klagte die religiösen Führer der Heuchelei an und entlarvte ihr falsches Verhalten. Sie waren so sehr auf die strikte Einhaltung des Gesetzes bedacht, dass sie den dahinterliegenden Geist vergaßen.
Diese Haltung gibt es in gewisser Weise auch heute noch. Wenn wir etwa unsere täglichen Pflichten gegenüber Gott und unseren Mitmenschen lieblos oder mechanisch erfüllen, tun wir zwar, was von uns erwartet wird, verstehen aber den tieferen Sinn nicht. Unsere Taten können dann von Trägheit, dem Wunsch nach Anerkennung oder der Vermeidung von Konflikten getrieben sein. Doch Gott will, dass wir nicht nur tun, was richtig ist, sondern dass wir es aus Liebe tun. Der heilige Augustinus lehrte: „Liebe und tu, was du willst!“ Und er erklärte: „Schweigst du, so schweige aus Liebe; redest du, so rede aus Liebe; rügst du, so rüge aus Liebe; schonst du, so schone aus Liebe. die Wurzel der Liebe sei in deinem Innern, und aus dieser Wurzel kann nur Gutes wachsen.“1
EINIGE Pharisäer waren nicht in der Lage, in den Taten Jesu das Handeln Gottes zu erkennen. Im Gegensatz zur Einfachheit und Natürlichkeit, mit der der Herr handelte, hatten sie eine Vielzahl kleiner Vorschriften vor Augen, die sie bis ins Detail befolgten. Sie glaubten, dadurch Gott zu gefallen, während sie die Aufrichtigkeit ihres Herzens und die Nächstenliebe gegenüber ihren Mitmenschen vernachlässigten. In der Lehre Christi liegt das Geheimnis der Gerechtigkeit jedoch nicht in der Größe oder Perfektion dessen, was man tut, sondern in der Liebe, die dazu führt, es auf bestmögliche Weise zu tun. „Alles aus Liebe“2, sagte der heilige Josefmaria oft, denn: „Alles, was aus Liebe getan wird, erhält Schönheit und Größe.“3 Deshalb gibt es keine unwichtigen Arbeiten oder Aufgaben – die Bedeutung liegt in der Liebe, mit der sie ausgeführt werden.
Der Gründer des Opus Dei predigte einmal über die Heiligung der Arbeit: „Tut alles aus Liebe und in Freiheit, lasst euch niemals von Angst oder Routine leiten, sondern dient unserem Vater Gott.“4 Mit dieser Haltung wird es uns selbstverständlich und notwendig erscheinen, bei unserer Gewissenserforschung nach den Beweggründen zu fragen, die unser Handeln leiten: Was treibt mich an, diese oder jene Handlung zu setzen – die Liebe zu Gott und zu anderen oder der Wunsch nach persönlicher Befriedigung?
Das bloße Befolgen von Regeln kann schnell zur Last werden. So erging es auch dem älteren Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Obwohl er äußerlich alles richtig gemacht hatte – er blieb bei seinem Vater und arbeitete fleißig –, schien er sein Leben nicht zu genießen. Man kann spüren, dass er seinen Bruder insgeheim um dessen Entscheidung und Vergnügungen beneidete. Darum sollen wir in den göttlichen Geboten nicht nur eine Pflicht sehen, sondern eine befreiende Kraft, die uns dazu verhilft, das wirklich Wertvolle im Leben zu schätzen. Es geht nicht nur darum, was wir tun, sondern um das Gute, das wir damit anstreben. Das Leben gleicht einer Reise, auf der wir unsere Absichten immer mehr läutern, tiefer in die höchsten Güter eintauchen – und unsere Richtung korrigieren, wenn wir vom Weg abgekommen sind. So wächst in unserem Aufwärtsstreben der Wunsch, Gott über alles zu lieben.
FÜR DEN UMGANG mit Gott muss der Christ bestimmte Zeiten und eine gewisse Ordnung in seinem Leben halten, damit die alltäglichen Verpflichtungen das Wesentliche nicht erdrücken – das, was allem anderen seinen eigentlichen Sinn gibt. Planung und Prioritätensetzung sind entscheidend, um in verschiedenen Lebensbereichen – ob Familie, Beruf, Freundschaften, Erholung oder Gesundheit – den Überblick zu behalten. Ohne diese Struktur kann uns die Hektik des Alltags leicht überwältigen, sodass wir uns von den wichtigen Dingen entfernen, auf die wir eigentlich Wert legen möchten. Der heilige Josefmaria bezeichnete die verschiedenen Frömmigkeitspraktiken, die den Tag eines Christen prägen, als „Lebensplan“. Diese Momente ermöglichen es, inmitten von Arbeit und alltäglichen Aktivitäten zu erkennen, dass „jede noch so gewöhnliche Situation etwas Heiliges, etwas Göttliches in sich trägt“5. Der Lebensplan ist eine Antwort auf das Bedürfnis der Seele, „Gott zu suchen, ihm zu begegnen und immer mit ihm in Verbindung zu bleiben, während man ihn inmitten der Mühen der gewöhnlichen Arbeit liebevoll staunend anblickt“6.
Gleichzeitig warnte der heilige Josefmaria davor, diesen Plan in ein starres und unflexibles Programm zu verwandeln, dessen bloße Umsetzung zum Selbstzweck wird. Vielmehr betonte er, dass der Plan „kein enges Korsett“ sein dürfe. Die Frömmigkeitsübungen sollten als „flexibler Weg“ verstanden werden, der sich an die individuelle Lebenssituation anpasst – sei es die berufliche Arbeit, familiäre Pflichten oder soziale Verpflichtungen. Denn all diese Aufgaben dürfen nicht vernachlässigt werden, da sie Teil der Begegnung mit Gott sind. Josefmaria verglich den Lebensplan mit einem elastischen Gummihandschuh, der sich an die jeweilige Hand anpasst.7 Daher stellt das Einhalten eines solchen Plans nicht das Abhaken von Pflichten dar, um ein ruhiges Gewissen zu haben. Vielmehr sollen diese Momente uns öffnen – für Gott und für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen. Bitten wir die Jungfrau Maria um ihre Fürsprache, damit sie uns hilft, stets aus Liebe zu handeln, mit dem aufrichtigen Wunsch, uns immer mehr mit ihrem Sohn zu identifizieren.
1 Hl. Augustinus, Predigten über den 1. Johannesbrief, 7. Predigt, Nr. 8.
2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 813: „Tut das alles aus Liebe. (…) Beharrlichkeit in den kleinen Dingen, aus Liebe, ist Heroismus.“
3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 429.
4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 68.
5 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 114.
6 Hl. Josefmaria, Brief 3, Nr. 13.
7 Vgl. hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 149.