IN DEN Apostellisten der Synoptiker wird zwar ein Bartholomäus erwähnt, wir erhalten über ihn jedoch keine weiteren Informationen. Sein Name bedeutet „Sohn des Talmay“. Im Johannesevangelium hingegen wird die Berufung eines Natanaël geschildert, dessen Namen die Synoptiker wiederum nicht kennen. Die Tradition hat Bartholomäus mit Natanaël gleichgesetzt. Von Natanaël wissen wir, dass er aus Kana in Galiläa stammte (vgl. Joh 21,2) und ein Freund des Philippus war. Als Philippus ihm begeistert von dem Lehrer aus Nazaret erzählt, den er soeben kennengelernt hat und für den Messias hält, reagiert Natanaël skeptisch: Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen? (Joh 1,46).
Erfüllt von Freude und einem tiefen Gefühl der Neuheit wollten die ersten Jünger Christi den Schatz, den sie gefunden hatten, mit den Menschen teilen, die ihnen am nächsten standen. Da sie vielleicht nicht immer in der Lage waren, in Worte zu fassen, was sie an Jesus so sehr faszinierte, luden sie diese ein: Komm und sieh! (Joh 1,46). Die Begegnung Natanaëls mit dem Herrn veränderte sein ganzes Leben. „Der Glaube entsteht durch Anziehung“, wird Papst Franziskus nicht müde zu wiederholen, „man wird nicht zu einem Christen, weil man von jemandem gezwungen wird, nein, sondern weil man von der Liebe berührt wird.“1
Der Dialog zwischen Philippus und Natanaël zeugt von tiefer Freundschaft. Beide teilen offen ihre Gedanken und Gefühle und äußern ihre Ansichten ohne Scheu. Anfangs ist Natanaël skeptisch, dass ein Prophet – geschweige denn der Messias – aus einem so unscheinbaren Ort wie Nazaret kommen könnte. Doch sein Vertrauen in Philippus ist größer als seine Zweifel, und er nimmt die Einladung zur Begegnung mit dem Herrn an. Papst Benedikt kommentiert: „Unsere Kenntnis von Jesus bedarf vor allem einer lebendigen Erfahrung: Das Zeugnis anderer ist sicherlich wichtig, da unser ganzes christliches Leben in der Regel mit der Verkündigung durch einen oder mehrere Zeugen beginnt. Aber letztlich müssen wir selbst es sein, die sich persönlich auf eine innige und tiefe Beziehung zu Jesus einlassen.“2
NATANAËL staunt, als der Herr ihn beim Näherkommen unvermittelt anspricht: Sieh, ein echter Israelit, an dem kein Falsch ist (Joh 1,47). Überrascht und verwirrt fragt Natanaël: Woher kennst du mich? (Joh 1,48). Jesus antwortet darauf: Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen (Joh 1,48). Dieser Satz bleibt für uns rätselhaft, Natanaël wusste aber offensichtlich, worauf der Herr anspielte: auf etwas, das für ihn große Bedeutung hatte. Er fühlt sich von Jesu Worten, „zutiefst berührt und verstanden“, wie Papst Benedikt sagte, „und erkennt: Dieser Mann weiß alles über mich, er kennt meinen Lebensweg, ihm kann ich mich wirklich anvertrauen. Und so antwortet er mit einem klaren und schönen Glaubensbekenntnis, wenn er sagt: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel! (Joh 1,49). Mit diesem Bekenntnis vollzieht er einen ersten, wichtigen Schritt auf dem Weg der Treue zu Jesus.“3
Im Lob Jesu für Natanaël erkennen wir die Freude, die ein einfacher und aufrichtiger Mensch im Herzen Christi weckt. Diese Ehrlichkeit und Offenheit sind auch uns wichtig: dass jemand sich uns so zeigt, wie er ist, ohne Masken oder Hintergedanken. Einfachheit und Aufrichtigkeit sind zwei eng zusammenhängende Tugenden, die uns helfen, authentisch und kohärent zu sein – Menschen, die in Wort und Tat klar und wahrhaftig sind. Der heilige Josefmaria forderte uns auf, die klaren und großartigen Worte des heiligen Paulus zu betrachten: Denn das ist unser Ruhm – und dafür zeugt auch unser Gewissen –, dass wir in der Welt, vor allem euch gegenüber, in der Aufrichtigkeit und Lauterkeit, wie Gott sie schenkt, unser Leben führten (2 Kor 1,12). Und er fuhr fort: „Dies ist der Ruhm des Werkes, und das soll jeder von uns zu leben suchen in jeder Situation und unter allen Umständen, in welchen er sich befindet. Die Einfachheit und die aufrichtige Natürlichkeit unseres Geistes werden in dieser Welt vor den Menschen leuchten, wenn ihr euch bemüht, im Umgang mit Gott kindlich einfach und aufrichtig zu sein, und wenn ihr stets darauf achtet, eure Gedanken, eure Worte und eure Werke mit der Wahrheit in Einklang zu bringen.“4
DIE WURZEL der Einfachheit, die das Leben des heiligen Bartholomäus kennzeichnete, liegt in der Demut – einer Tugend, die uns in der Gegenwart Gottes erkennen lässt, wer wir wahrhaft sind und wie es um unsere Seele steht. Die Selbsterkenntnis führt uns dazu, uns ganz in die Hände des Herrn zu übergeben, ihm mehr zu vertrauen als uns selbst und seine Pläne für unser Leben von Herzen anzunehmen. Um diese Demut zu erlangen, müssen wir im geistlichen Leben wie Kinder sein. Der heilige Josefmaria riet: „Werdet wie Kinder vor Gott. Nur so können wir auch als Erwachsene auf Erden reifen, denn wegen unserer Einfachheit kann die Hand Gottes mit Kraft und Sicherheit wirken. Kinder vor Gott zu sein bedeutet, ihm voll und ganz zu vertrauen, wie ein kleines Kind seiner Mutter vertraut; es sorgt sich nicht um morgen oder sonst etwas: seine Mutter wacht über ihm. Gott wacht über uns, wenn wir einfach sind.“5
Über die apostolische Tätigkeit von Bartholomäus-Natanaël nach dem Tod Jesu gibt es nur wenige Informationen, wie Papst Benedikt XVI. einmal betonte. Nach frühchristlicher Überlieferung soll der Apostel vor allem in Armenien und Indien gewirkt haben. Seit dem Mittelalter verbreitete sich die Überlieferung, dass er durch das Abziehen seiner Haut bei lebendigem Leib den Märtyrertod erlitt – eine Erzählung, die große Bekanntheit erlangte. Reliquien von ihm werden nicht nur in Rom in der ihm geweihten Kirche auf der Tiberinsel verehrt. Auch der Kaiserdom Sankt Bartholomäus in Frankfurt am Main beherbergt eine bedeutende Reliquie des Apostels und gehört damit wie Rom, Santiago de Compostela, Salerno oder Trier zu den Städten mit Apostelreliquien. Abschließend können wir mit Papst Benedikt sagen, „dass die Gestalt des heiligen Bartholomäus trotz der wenigen Informationen, die über ihn bekannt sind, zeigt, dass die Treue zu Jesus auch ohne spektakuläre Taten gelebt und bezeugt werden kann. Außerordentlich ist und bleibt Jesus selbst, und jeder von uns ist dazu berufen, ihm sein Leben und seinen Tod zu weihen.“6 Bitten wir Maria und den heiligen Bartholomäus, uns zu helfen, jene Einfachheit an den Tag zu legen, die das Herz Jesu erobert.
1 Franziskus, Audienz, 7.6.2023.
2 Benedikt XVI., Audienz, 4.10.2006.
3 Ebd.
4 Hl. Josefmaria, Brief 6, Nr. 60-61.
5 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einem Familientreffen, 25.8.1968.
6 Benedikt XVI., Audienz, 4.10.2006.