DAS HEUTIGE Fest ist relativ jung: Papst Pius XII. führte es im Jahr 1954 zum Abschluss des Marianischen Jahres ein und legte es zunächst auf den 31. Mai. Später wurde es auf den 22. August verlegt, um die Verbindung zwischen der Aufnahme Marias in den Himmel, die wir vor einer Woche gefeiert haben, und Marias Königinnenwürde zu betonen. Diese gehört seit alters her zum Glaubensgut der Kirche. Mit der Einführung dieses Festes wollte Pius XII. erreichen, dass „alle das barmherzige und mütterliche Wirken der Mutter Gottes deutlicher erkennen und andächtiger verehren.“ Und er fuhr fort: „Wir sind überzeugt, dass dieses Fest dazu beitragen wird, den Frieden unter den Völkern zu bewahren, zu stärken und zu verlängern, der täglich durch wiederkehrende Krisen fast zerstört wird.“1
Marias Königinnentum könnte in uns auch ein Unbehagen auslösen. Denn lieber betonen wir unsere Freiheit und Unabhängigkeit, als dass wir die Herrschaft eines anderen über unser Leben anerkennen. Wir könnten daher befürchten, unseren eigenen Willen aufgeben zu müssen, um eine gute Beziehung zu Maria zu haben. Doch wenn wir genauer hinblicken, erkennen wir, dass es zwar eine Art von Königtum gibt, die uns die Freiheit raubt, aber auch eine andere, die uns im Gegenteil glücklich macht und in uns Energien freisetzt, die uns zur besten Version unserer selbst führen. Es ist die Herrschaft der Liebe, durch die wir uns für den Willen eines anderen Menschen öffnen und dadurch zu unserer eigenen Entfaltung finden.
So besteht auch die Herrschaft Christi in der Umwandlung unseres Lebens zum Besseren: Er erhebt uns und macht uns zu Kindern Gottes. „Freudig teilen wir die Schönheit, Jesus zum König zu haben. Seine Herrschaft verwandelt Sünde in Gnade, Tod in Auferstehung, Angst in Vertrauen“2, predigte Papst Franziskus am Ende des Jubiläums der Barmherzigkeit. In gewisser Weise ist dies auch an der Jungfrau Maria geschehen. Als sie zusagte, die Magd des Herrn zu sein, veränderte sich ihr Leben komplett. Sie wurde dadurch nicht geringer, sondern ganz im Gegenteil: Mit ihrem Ja zum Willen Gottes wurde sie zur Mutter Gottes und schließlich zur Mutter aller Christen. Wir bitten sie, uns zu helfen, Ja zu sagen zu den Plänen Gottes, die viel größer und hochfliegender sind, als wir uns vorstellen können. Wie der heilige Josefmaria schrieb: „Noch nie hast du dich so vollkommen frei gefühlt wie jetzt, da deine Freiheit ein Gewebe aus Liebe und Loslösung, aus Sicherheit und Ungewissheit ist – denn du vertraust in nichts auf dich selbst und in allem auf Gott!“3
DAMIT die Herrschaft Marias in unserem Leben sichtbar wird, müssen wir uns zunächst von allem reinigen, was uns von ihr trennen könnte. Über Ezechiel ließ Gott dem Volk ankündigen: Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein. Ich reinige euch von aller Unreinheit und von allen euren Götzen (Ez 36,25). Sich Maria und der Herrschaft ihrer Liebe nähern, bedeutet, sich einer inneren Reinigung zu öffnen, damit wir die Gnaden ihres Sohnes ungehindert empfangen können.
Der Begriff „Reinigung“ bedeutet in Kult und Liturgie, eine Person oder einen Gegenstand so zu reinigen, dass sie oder er Gottes würdig ist. Die erste Reinigung in unserem Leben erfolgt durch das Wasser der Taufe, das uns aus einem Zustand der Trennung von Gott in die Gotteskindschaft überführt. Eine der Aufgaben der Gottesmutter besteht darin, uns zu reinigen, damit wir unsere ursprüngliche Beziehung zur Heiligen Dreifaltigkeit bewahren können. Einmal sind es ihre Tränen, die uns vom Schmutz unserer Sünden reinigen, ein anderes Mal der Balsam ihrer Zärtlichkeit, den sie in unsere Seelen gießt, wenn sie uns entmutigt sieht; in Momenten der Freude reinigt sie uns mit einer Mischung wohlriechender Öle, die unseren Seelen eine tiefe Gegenwart Gottes verleihen.
Die Läuterung verlangt von uns eine tägliche Anstrengung, jederzeit soll der heilige Josefmaria uns wie einen seiner Söhne fragen können: „Möchtest du dich bessern, mit dem Herrn mehr Umgang haben, eine tiefere Frömmigkeit erlangen, ohne Theater und äußerliches Getue?“4 Wenn wir wollen, dass die Gottesmutter wirklich in unseren Herzen regiert und wir gute Kinder Gottes werden, können wir uns in dieser Gebetszeit fragen: Welche Aspekte meines Lebens bedürfen der Reinigung? Versuche ich, alle meine Zuneigungen und Gedanken durch das Herz meiner Mutter zu leiten? In einem solchen Zusammenhang sagte der heilige Josefmaria einmal in einer Betrachtung, an sich selbst und die Anwesenden gerichtet: „Bitte den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist und deine Mutter, sie mögen dir Selbsterkenntnis schenken und damit zugleich Schmerz über all die schmutzigen Dinge, die durch dich geschehen sind und – leider! – auch reichlich ihre Spuren hinterlassen haben. – Und sage dann, ohne die Augen von deinem Elend abzuwenden: Gib mir, Jesus, eine Liebe, die wie ein reinigendes Feuer mein armes Fleisch, mein armes Herz, meine Seele und meinen Leib verzehrt und sie von allem irdischen Elend läutert. Ist dann mein Ich leer und frei geworden, so fülle du es ganz aus, damit ich mich an nichts Irdisches mehr hänge, sondern von deiner Liebe allein getragen werde.“5
DIE LÄUTERUNG ist der erste Schritt, um die Freiheit zu genießen, die uns Maria mit ihrem Königinnentum schenken will. Nachdem Jesus sie uns als unsere Mutter gegeben hat, hat er ihr eine ganz besondere Aufgabe anvertraut: in uns ein neues Herz zu formen, das fähig ist, dieselben Empfindungen zu haben wie das Herz seines Sohnes. Auf diese Weise hilft uns Maria, in jedem von uns auch diese prophetischen Worte Ezechiels zu erfüllen: Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres. Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich gebe meinen Geist in euer Inneres und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Rechtsentscheide achtet und sie erfüllt (Ez 36,26-27).
Das Königtum der Gottesmutter besteht darin, die unendliche Liebe ihres Sohnes am Kreuz in der Welt zu verbreiten. Von ihm hat sie gelernt, dass wahre Herrschaft nicht auf Privilegien oder Ehren beruht. Papst Benedikt XVI. sagte einmal: „Es gibt eine volkstümliche, geläufige Vorstellung von einem König oder einer Königin: eine Person mit Macht, Reichtum. Das ist jedoch nicht die Art des Königtums Jesu und Mariens. Denken wir an den Herrn: Das Königtum und das Königsein Christi ist durchwoben von Demut, Dienst, Liebe (…) Und das gleiche gilt für Maria: (…) Sie ist Königin, gerade indem sie uns liebt, uns in jeder Not beisteht.“6 Maria übt ihr Königinnentum aus, indem sie über uns wacht und uns ihren mütterlichen Schutz anbietet. Doch um diese Liebe zu empfangen und sie an unsere Mitmenschen weiterzugeben, brauchen wir ein neues Herz, das im Dienst aufblüht. Die Gottesmutter möchte die harte Schale unseres Egoismus aufbrechen, die uns dazu verleitet, uns in uns selbst zu verschließen, damit wir uns für die Gnaden ihres Sohnes und die Bedürfnisse aller Menschen öffnen können. Wie die Diener im Gleichnis von der Hochzeit des Königssohnes wird unsere Mutter nicht müde, alle Männer und Frauen einzuladen zu entdecken, dass unser Dasein erst dann zu einem großen Fest wird, wenn wir den Willen Gottes suchen. Siehe, mein Mahl ist fertig, meine Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! (Mt 22,4).
Wir beenden diese Zeit des Gebets, indem wir uns mit Worten des heiligen Josefmaria an unsere Mutter wenden: „Heilige Maria, Regina apostolorum, Königin aller, die sich danach sehnen, die Liebe deines Sohnes bekannt zu machen: bitte du, die du unsere Erbärmlichkeit so gut versteht, um Vergebung für unser Leben: für das, was in uns hätte Feuer sein können und nur Asche war; für das Licht, das nicht mehr leuchtet; für das Salz, das schal geworden ist.“7 Mutter, hilf uns, ein so freies und reines Herz zu haben wie das deine.
1 Hl. Pius XII, Ad caeli reginam, Nr. 51.
2 Franziskus, Predigt, 20.11.2016.
3 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 787.
4 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, S.51.
5 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 41.
6 Benedikt XVI., Audienz, 22.8.2012.
7 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 175.