Betrachtungstext: 21. Woche im Jahreskreis – Samstag

Mit unseren Talenten dienen – Eine Angst, die lähmt – Der Wert des gewöhnlichen Lebens

JESUS erzählte einmal die Geschichte von einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab (Mt 25,14-15). Was der Mann selbstverständlich erwartete, war, dass seine Diener mit den Talenten Geschäfte machten, damit er bei seiner Rückkehr einen Ertrag einheben konnte. Genau um diese Botschaft geht es im Gleichnis: um die Notwendigkeit, die natürlichen und übernatürlichen Gaben, die Gott uns geschenkt hat, gewinnbringend einzusetzen.

Wie den Dienern im Gleichnis hat der Herr auch jedem von uns einzigartige Talente gegeben – Fähigkeiten, die wir nutzen sollen, um in unserem Umfeld positiv zu wirken. Papst Benedikt XVI. sagte: „Gott beruft jeden Menschen zum Leben und übergibt ihm Talente, wobei er ihm zugleich eine Sendung überträgt, die es zu erfüllen gilt.“1 Der erste Schritt, um diese Talente bestmöglich einzusetzen, besteht darin, sie als solche zu erkennen, also herauszufinden, welchen Beitrag wir für unsere Mitmenschen leisten können. Manchmal finden wir sie in unserem Temperament: Ein offener Mensch kann andere ermutigen oder zum Lachen bringen, während ein zurückhaltender Mensch eher zuhört und die Bedürfnisse anderer erkennt. Andere Male liegen sie in unseren beruflichen Fähigkeiten: Damit können wir zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen und auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen prägen.

Entscheidend ist jedenfalls weniger die Größe des Einflusses, den wir ausüben, als die aufrichtige Bemühung, dass unsere Talente – in Begleitung der göttlichen Gnade – tatsächlich Früchte tragen. Im Gleichnis lobt der Herr den Diener, der zwei Talente erarbeitet hat, ebenso wie den, der fünf Talente erwirtschaftet hat, denn er würdigt die Mühe, die jeder einzelne unternommen haben, um Gutes zu tun. Jesus will uns damit ermuntern, das Empfangene wertzuschätzen und ebenso die Gaben anderer zu erkennen und dankbar anzunehmen. Während Neid uns nur dazu verleitet, unsere eigenen Talente zu übersehen und über die Gaben anderer traurig zu sein, schlägt Christus einen viel spannenderen Weg vor: Er lädt uns ein, unsere Qualitäten einzusetzen – egal wie groß oder klein sie sind – und uns am Guten zu erfreuen, das durch unser Dienen wie auch das Dienen anderer entsteht. Der heilige Josefmaria schrieb: „Grabe dein Talent aus! Lass es Gewinn bringen. Du wirst die Freude erfahren, dass es bei den Geschäften Gottes nicht auf ein Ergebnis ankommt, das die Bewunderung der Menschen erweckt. Entscheidend ist, dass wir alles hingeben, was wir sind und haben, dafür sorgen, dass unsere Talente ertragreich sind, und uns stets bemühen, gute Früchte zu bringen.“2


EINER der Diener in dem Gleichnis erhielt ein Talent. Doch statt es zu nutzen und zu mehren, grub er ein Loch in die Erde und versteckte das Geld (Mt 25,18). Und als der Herr zurückkam, versuchte er sich folgendermaßen zu rechtfertigen: Ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine (Mt 25,24-25).

Es ist verständlich, dass wir – wie der Diener im Gleichnis – angesichts der Aufgabe, die Gott uns anvertraut hat, gelegentlich Angst verspüren. Wir fürchten, der Herausforderung nicht gewachsen zu sein, zu scheitern, uns zu blamieren oder das Talent, das wir erhalten haben, zu verlieren. Diese Angst ist an sich ist kein Problem – sie ist sogar eine natürliche Reaktion. Wären wir allzu selbstsicher, würden wir mehr auf unsere eigenen Fähigkeiten bauen als auf die Gnade Gottes. Die anfängliche Angst kann also positiv sein, wenn sie uns dazu führt, uns Gott anzuvertrauen. Papst Franziskus erklärte dazu: „Dieser Diener hatte kein Vertrauensverhältnis zu seinem Herrn, sondern Angst vor ihm, und das blockierte ihn. Angst lähmt immer und führt oft zu falschen Entscheidungen. Sie hindert uns daran, die Initiative zu ergreifen, und drängt uns, uns in sichere und garantierte Lösungen zu flüchten – und so tun wir am Ende nichts Gutes. Um im Leben voranzukommen und zu wachsen, darf man keine Angst haben, man muss Vertrauen haben.“3

Chronische Angst kann auf ein verzerrtes Gottesbild hindeuten: dass wir Gott als strengen Herrn sehen, der uns bestrafen will, sobald wir einen Fehler machen. „Wenn wir dieses falsche Gottesbild in uns tragen“, warnte der Papst, „kann unser Leben nicht fruchtbar sein, denn wir werden in Angst leben, und diese Angst wird hindern, konstruktiv zu agieren.“4 Ein ganz anderes Gottesbild finden wir in der Heiligen Schrift. Sie zeigt uns einen barmherzigen und gnädigen Gott, langmütig und reich an Huld und Treue (Ex 34,6); er ist nicht Herrscher, der die Fehler seiner Untertanen unbarmherzig bestraft, sondern Vater, der seinen heimkehrenden Sohn mit offenen Armen empfängt und ihm das Beste gibt, was er hat (vgl. Lk 15,11-32). In diesem Sinne sagte der heilige Josefmaria im Zusammenhang mit der Sterbestunde, dass Gott nicht wie ein Jäger ist, der auf die kleinste Unachtsamkeit des Wildes wartet, um es zu erlegen, sondern wie ein Gärtner, „der die Blumen pflegt, sie begießt, sie schützt und sie erst pflückt, wenn sie in voller Blüte stehen“5.


DIE EINSATZBEREITEN DIENER spricht der Mann einzeln auf folgende Weise an: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! (Mt 25,21). Anders als der faule Knecht vielleicht gedacht hat, ist der Gutsherr überaus großzügig und belohnt die Bemühungen seiner Diener weit über alle Erwartungen hinaus: Für ihren überschaubaren Einsatz erhalten die Diener – ein Leben an der Seite ihres Herrn.

Christus verdeutlicht damit, dass es nicht notwendig ist, außergewöhnliche Taten zu vollbringen, um das ewige Leben zu erlangen. Auch wenn die Biografien einiger Heiliger von besonderen Ereignissen durchsetzt sind, führt Gott die allermeisten Menschen auf einem gewöhnlichen Weg zur Heiligkeit. Dieser Weg ist von der Liebe geprägt, mit der wir unseren alltäglichen Aufgaben nachgehen, die der Herr uns anvertraut hat: die Fürsorge für unsere Familie, die Ausübung unserer Arbeit, die Pflege unseres Glaubens ... Diese scheinbar einfachen Realitäten können, wie die Talente im Gleichnis, eine neue Dimension erlangen. Indem wir gute Eltern, Ehepartner, Christen und Arbeiter sind, können wir bereits hier auf Erden die Freude des Himmels erleben.

Der heilige Josefmaria schrieb in einem seiner Briefe: „Das gewöhnliche Leben ist nicht ohne Wert. Wenn es flach, öde und uninspirierend erscheint, jeden Tag das Gleiche zu tun, dann liegt dies daran, dass es an Liebe fehlt. Wenn Liebe da ist, hat jeder neue Tag eine andere Farbe, eine andere Schwingung, eine andere Harmonie. Möge alles, was du tust, aus Liebe geschehen. Lasst uns nicht müde werden, unseren Gott zu lieben: Wir müssen jede Sekunde unseres Lebens nutzen, um allen Geschöpfen aus Liebe zu unserem Herrn zu dienen, denn die Zeit des irdischen Lebens ist immer zu kurz, um zu lieben; sie vergeht schnell wie der Wind.“6 Die Jungfrau Maria verbrachte den größten Teil ihres Lebens in einer ganz gewöhnlichen Umgebung, wie jede andere Frau ihrer Zeit auch. Sie bitten wir um Rat und Hilfe, damit wir unsere Talente in unserem täglichen Leben fruchtbringend einzusetzen wissen.


1 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 13.11.2011.

2 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 47.

3 Franziskus, Angelus-Gebet, 19.11.2017.

4 Ebd.

5 Hl. Josefmaria, zitiert in Andrés Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Bd. 3, Adamas, Köln, S. 391.

6 Hl. Josefmaria, Brief 1, Nr. 19.