Betrachtungstext: 20. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Ein Weg in Richtung Hoffnung – Die Liebe, die uns vorausgeht – Unsere Erwartungen auf Gott setzen

DIE PLÖTZLICHE Abkehr des reichen jungen Manns dürfte die Apostel getroffen haben. Vielleicht erinnerte sich der eine oder andere an den Moment seiner eigenen Berufung und dachte angesichts dieses jungen Mannes, dass dieser weit mehr menschliche Qualitäten besaß als viele von ihnen. Der junge Mann stammte vermutlich aus einer angesehenen Familie, war wohlhabend und, was noch wichtiger war, schien alle Gebote zu befolgen. Und da er den aufrichtigen Wunsch verspürte, Gott näher zu kommen, hatte er sich aus eigenem Antrieb an Jesus gewandt. Doch als der Herr ihn aufforderte, alles zu verkaufen, was er besaß, um ihm in Freiheit nachzufolgen, entschied er sich, doch einen anderen Weg zu wählen. Während der Staub von seinen Schuhen noch in der Luft hing, sahen sich die Apostel ungläubig und beschämt angesichts ihrer eigenen Unzulänglichkeit an. Sie waren unfähig, das Geheimnis zu ergründen, warum sie selbst damals Ja gesagt hatten zu Jesus und jemand, der menschlich so hervorragend war, ihn zurückgewiesen hatte.

Wer kann dann noch gerettet werden? (Mt 19,25). Vielleicht stellen wir uns diese Frage tief in unserem Herzen, so wie die Apostel, als sie sahen, dass selbst jemand von der menschlichen Größe des reichen jungen Mannes sich von Jesus abwandte. Manchmal kann es uns den Frieden rauben, dass wir, obwohl wir versuchen, ein christliches Leben zu führen und Christus nachzufolgen, dennoch schwach sind und uns immer wieder von ihm entfernen. Wir fragen uns: Wenn es mir schon so schwer fällt, der ich mir der Liebe Gottes bewusst bin, wie ergeht es dann Menschen, die Gott noch gar nicht kennen? Hat es überhaupt einen Sinn, sich inmitten der Wechselfälle dieser Welt um die Nachfolge des Herrn zu bemühen?

Die Antwort des Meisters enthält eine tiefe Lehre für unser Leben: Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich (Mt 19,25). Dieser Satz bringt die Gründe für viele unserer Entmutigungen auf den Punkt und eröffnet uns gleichzeitig einen Weg zur Hoffnung. Vielleicht verlieren wir oft die Freude am Leben, weil wir das Unmögliche – unser Heil – allein durch eigene Anstrengung erreichen wollen. Die Frustration verwandelt sich hingegen in ein gesundes Vertrauen, wenn wir erkennen, dass Gottes Kraft viel weiter reicht. Der heilige Josefmaria schrieb: „erkennst in aller Schlichtheit an, dass du nichts Rechtes zustandebringst. Du erklärst es ihm: Aber das kann dich ja nicht verwundern, mein Jesus; es ist eben unmöglich, dass mir überhaupt etwas gelingt. Doch wenn du mir hilfst, wenn du es an meiner Stelle tust, dann wirst du sehen, wie gut alles wird.“1


WER KANN dann noch gerettet werden? (Mt 19,25). Diese Frage stellten sich die Apostel nicht nur, als sie sahen, wie ein talentierter junger Mann es vorzog, seinen Reichtum zu bewahren, statt Jesus nachzufolgen. Sie stellten sie sich auch, als sie mit den Worten des Meisters konfrontiert wurden: Amen, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer in das Himmelreich kommen (Mt 19,23). Der Herr hatte sie verstehen lassen, dass ihre Rettung immer ein Werk Gottes und seiner Barmherzigkeit ist. Doch er wollte ihnen auch die Anforderungen des Weges nicht verschweigen. Ihm – als Apostel – aus der Nähe zu folgen, verlangt eine Radikalität, die unser ganzes Leben kennzeichnet und die bereit sein muss für das, was der Herr von jedem verlangt.

Der Weg der inneren Armut, um den Himmel zu erreichen, ist sowohl ein göttliches Geschenk als auch eine freie Entscheidung. Gott schenkt uns unverdient seine Liebe: Das ist die zentrale Wahrheit unseres Lebens. Es ist eine Liebe, die, wie Papst Franziskus sagte, „nicht von unserer Gesetzestreue, von unseren Fähigkeiten oder unserer Religiosität abhängt“, sondern eine Gabe des Heiligen Geistes ist: „Er lehrt uns zu lieben, und wir müssen ihn um dieses Geschenk bitten. Es ist der Geist der Liebe, der in uns die Liebe einpflanzt, er ist es, der uns das Gefühl gibt, geliebt zu sein, und der uns lieben lehrt. Er ist sozusagen der ,Motor‘ unseres geistlichen Lebens. Er ist es, der alles in uns in Bewegung setzt.“2

Mittels unseres tagtäglichen Tuns können wir auf die Liebe, die der Herr uns entgegenbringt, antworten oder nicht. Der innere Kampf macht Sinn, wenn man ihn von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet. Nicht als ein Weg, mein Heil zu verdienen, sondern als ein Weg, die Liebe zu beweisen, die wir für Gott haben und die wir in allen unseren Werken zum Ausdruck bringen können. Schließlich ist er es, der uns trägt, besonders in Zeiten, in denen der Weg der Heiligkeit steiler wird. „Manche Leute verhalten sich in ihrem Leben so, als ob der Herr nur zu denjenigen von Hingabe und aufrechtem Verhalten gesprochen hätte, die es keine Mühe kostet oder die nicht zu kämpfen brauchen – doch die gibt es nicht! Sie übersehen, dass Jesu Wort von den Gewalttätigen, die das Himmelreich an sich reißen, indem sie tagtäglich einen heiligen Kampf ausfechten, für alle gilt.“3


ES KANN SEIN, dass es uns in unserem Leben manchmal schwer fällt, Jesus nachzufolgen. Vielleicht tragen wir ein Kreuz, das wir nicht ganz verstehen, leiden unter einem Nachteil wegen unseres Glaubens oder fühlen uns einfach kalt in unserem Umgang mit Gott. Wir haben den Eindruck, dass sich der Kampf nicht lohnt. Wir alle können von der Müdigkeit des Alltags in der Nachfolge Christi erfasst werden. Unter solchen Umständen kann uns die Aufrichtigkeit des Petrus, der sah, wie der reiche junge Mann den Ruf Jesu zurückgewiesen hatte, als Anregung dienen. Wie er können wir es wagen, den Herrn in unserem Gebet zu bitten: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen? (Mt 19,27). Es geht nicht darum, unseren Kampf an eine Belohnung zu binden, sondern darum, alle unsere inneren Erwartungen in Gottes Liebe zu setzen und darauf zu vertrauen, dass er immer das Beste für jeden von uns will und uns wie ein guter Vater mit seinen Gaben erfüllen möchte.

Jesus sagte zu ihnen: Amen, ich sage euch: Wenn die Welt neu geschaffen wird und der Menschensohn sich auf den Thron der Herrlichkeit setzt, werdet auch ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben erben (Mt 19,28-29). Das „Hundertfache“ – ist die bedingungslose Liebe Gottes, seine Nähe, die uns in guten und in schlechten Tagen begleitet und unseren Kampf erträglich macht; es ist aber auch das ewige Glück, das uns im Himmel erwartet. Deshalb empfahl der heilige Josefmaria, besonders wenn wir in Schwierigkeiten stecken, an den Moment zu denken, in dem wir Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen: „In der Stunde der Versuchung solltest du die Liebe vor Augen haben, die im Himmel auf dich wartet: pflege die Tugend der Hoffnung. Das bedeutet keine mangelnde Großzügigkeit.“4 Es ist nicht egoistisch, unser Herz und unsere Hoffnung auf den Himmel zu richten, wo die Heilige Dreifaltigkeit auf uns wartet, um uns in ihre Arme zu schließen. Im Gegenteil, es bedeutet, dass unsere Liebe zu Gott wirklich so groß ist, dass er zur treibenden Kraft hinter all unseren großen und kleinen Entscheidungen geworden ist: Er ist derjenige, den wir suchen, der Einzige, der unseren Durst nach Glück stillen kann. Im Paradies werden wir auch der Jungfrau Maria begegnen, deren mütterliche Fürsorge wir hier auf Erden schon genießen.


1 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 353.

2 Franziskus, Predigt, 5.6.2022.

3 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 130.

4 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 139.