DER HEILIGE Matthäus erzählt, wie die Leute einmal ihre Kinder zu Jesus brachten, damit er ihnen die Hände auflegte und für sie betete (Mt 19,13). Es ist leicht, sich die Szene vorzustellen: Gute Eltern wollen das Beste für ihre Kinder, und das Beste ist, wenn Christus sie in seine Arme nimmt und segnet. Es ist zu vermuten, dass sich diese Eltern hinsichtlich der Zukunft ihrer Kinder beruhigt fühlten, weil sie den Segen des Herrn hatten. Zahllose Eltern haben seither genauso gehandelt, und man kann sagen, dass die Praxis der Kindertaufe „eine uralte Tradition der Kirche“1 ist. Wenn Kinder Jesus begegnen, ist sofort eine besondere Synthonie feststellbar (vgl. Mt 10,25; 18,3). Die Kinder nähern sich dem Meister ohne Scheu und er umarmt sie inmitten seiner Jünger (vgl. Mk 9,36). Und er bittet diese, die Kleinen nicht zu verachten (vgl. Mt 18,10) und ihnen kein Leid zuzufügen (vgl. Mk 9,42).
Für den heiligen Josefmaria waren Kinder „Gott wohlgefällige Seelen“2. Das Verhalten eines Kindes kennt keine Falschheit: Es zeigt sich immer so, wie es ist, ohne Hintergedanken. Es scheut sich auch nicht, seine Not zu zeigen: Beim kleinsten Problem wendet es sich vertrauensvoll an seine Eltern. Auf diese Weise zeigt es uns, dass die Beziehung zum Herrn viel einfacher ist, als wir manchmal denken. Deshalb hat der Gründer des Opus Dei darauf hingewiesen, dass wir glauben sollen, „wie die Kinder glauben, lieben sollen, wie die Kinder lieben, blind vertrauen sollen, wie die Kinder es tun ... beten sollen, wie die Kinder beten“3.
DIE JÜNGER betrachteten die Kinder, die zur Segnung zu Jesus gebracht wurden, nicht mit der gleichen Begeisterung wie er. Wahrscheinlich hielten sie die Kinder für eine Belästigung für den Herrn und dachten: „Jesus hat genug zu tun mit den Erwachsenen, die seiner Predigt folgen können, und mit den Kranken, die ihn wirklich brauchen. Warum sollte er seine Zeit mit diesen Kindern verschwenden?“ Von dieser Argumentation waren die Jünger so sehr überzeugt, dass sie sich die Freiheit nahmen, die Kleinen und ihre Eltern zu beschimpfen (vgl. Mt 19,13). Christus reagierte darauf mit einem Satz, der im Leben der Kirche stets widerhallt: Lasst die Kinder und hindert sie nicht, zu mir zu kommen! (Mt 19,14).
Im Laufe der Jahrhunderte haben viele Menschen diesen Ruf des Herrn angenommen. Vor allem Väter und Mütter, Großväter und Großmütter, die sich bemühten, den Glauben an die Jüngsten in ihren Familien weiterzugeben, und sie lehrten, die Namen Jesu und Marias liebevoll auszusprechen. Ebenso haben sich viele Christen – Katecheten, Erzieher, Priester, Ordensleute – darum bemüht, Kindern und Jugendlichen Gott nahe zu bringen. Sie alle haben der Versuchung widerstanden, die Zeit mit Kindern für vergeudet zu halten. Obwohl die Früchte dieser kleinen Samen oft erst im Laufe der Jahre – oder vielleicht nie – zu sehen sind, haben sie in ihrer Mission eine tiefe Befriedigung gefunden, denn sie haben mit den Kindern das Wertvollste geteilt, was sie hatten: ihren Glauben.
Ein Kind zu erziehen bedeutet, Opfer zu bringen. Jeder Elternteil oder Lehrer weiß, was das bedeutet: auf persönliche Pläne verzichten, viel Geduld haben, die eigene Müdigkeit vergessen. Erst später erkennen wir, was unsere Eltern und Erzieher mit uns durchgemacht haben. In unserer Kindheit haben wir wahrscheinlich nicht gemerkt, was es bedeutete, uns großzuziehen. Und dies vor allem deshalb, weil unsere Eltern die nötigen Opfer nicht als Verzicht, sondern als Liebeserweise für uns sahen. „Wer liebt, bringt gerne ein Opfer – auch wenn es schwerfällt – und das Kreuz ist dann das Heilige Kreuz“, das sind Worte des heiligen Josefmaria. „Die Seele, die zu einer solchen Liebe und Hingabe fähig ist, erfährt Glück und Frieden in Überfülle.“4
DER HEILIGE Matthäus schließt den Bericht über die Begegnung Jesu mit den Kindern folgendermaßen ab: Dann legte er ihnen die Hände auf und zog von dort weiter (Mt 19,15). Jesu Sorge und Fürsorge für die Kleinen führt nicht zur Überbehütung oder Überwachung: Er gibt ihnen das Beste, was er hat, und überlässt es ihnen, dieses Geschenk wachsen zu lassen. So ist die Liebe des Herrn, wie Papst Franziskus schrieb, „eine alltägliche Liebe, diskret und respektvoll, sie liebt die Freiheit und sie befreit, sie ist eine Liebe, die heilt und erhebt.“5
Jesus gibt uns mit seinem Verhalten das Beispiel des guten Erziehers, der den Menschen in der Ausübung seiner Freiheit weiterführt. Man kann sagen, dass das Gegenteil von Erziehen das Verführen ist: nicht nach außen führen, sondern an sich ziehen und dem anderen nehmen, was man möchte. Der Herr versucht nicht, denen, die zu ihm kommen, etwas zu nehmen. Wie Papst Benedikt sagte: „Er nimmt nichts, und er gibt alles.“6 Deshalb fühlen sich Kinder und andere verletzliche Menschen bei ihm so wohl, weil sie seine Zuneigung spüren: Er liebt sie einfach um ihrer selbst willen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Auch wir haben etwas von der Verletzlichkeit von Kindern, weshalb wir uns eine Liebe wünschen, die uns liebt, so wie wir sind, und nicht nur für das, was wir geben können.
Eine Liebe, die besitzen will, ist zum Scheitern verurteilt, denn sie respektiert nicht das Grundprinzip der Liebe: das Wohl des anderen zu wünschen. „Die Zärtlichkeit, hingegen“, so sagte Papst Franziskus, „ist eine Äußerung jener Liebe, die sich von dem Wunsch des egoistischen Besitzens befreit. Sie bringt uns dazu, vor einem Menschen gleichsam zu erzittern, mit unermesslicher Achtung und einer gewissen Furcht, ihm Schaden zuzufügen oder ihm seine Freiheit zu nehmen. Die Liebe zum anderen schließt dieses Gefallen daran ein, das Schöne und Unantastbare seines persönlichen Wesens zu betrachten, das jenseits meiner Bedürfnisse besteht. Das ermöglicht mir, sein Wohl zu suchen, auch wenn ich weiß, dass er mir nicht gehören kann.“7 Die Jungfrau Maria und der heilige Josef sind zwei Beispiele für eine solche keusche und zärtliche Liebe. Kinder lernen oft, mit Jesus umzugehen, indem sie betrachten, wie das heilige Paar das Jesuskind in seine Arme nahm, es umsorgte und liebkoste.
1 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1252.
2 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, Nr. 115.
3 Hl. Josefmaria, Heiliger Rosenkranz, An den Leser.
4 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 249.
5 Franziskus, Christus vivit, Nr. 116.
6 Benedikt XVI., Predigt, 24.4.2005.
7 Franziskus, Amoris laetitia, Nr. 127.