Betrachtungstext: 15. August – Maria Himmelfahrt

Wie Maria ist uns der Himmel bestimmt – Der Weg, über den Maria aufstieg – Nähe im normalen Leben

EIN GROSSES Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt (Offb 12,1). Diese Worte aus der Geheimen Offenbarung bezieht die Tradition auf die Jungfrau Maria, mit ihnen beginnt die Liturgie des heutigen Tages. Mit der Kirche freuen sich alle Christen über dieses Fest, an dem wir die Tatsache feiern, dass Gott die Mutter seines Sohnes mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen hat. Wir kennen die Einzelheiten ihres Aufbruchs in den Himmel nicht, und über ihren Tod gibt es keine Gewissheit. Dennoch stellen wir uns gemeinsam mit dem heiligen Josefmaria vor, dass Maria in ihrer letzten Stunde auf Erden von allen Aposteln umgeben war. Die Pforten des Himmels sind voller Erwartung weit geöffnet, die Engel haben einen begeisterten Empfang vorbereitet. „Jesus will seine Mutter mit Leib und Seele im Himmel haben. Die Heiligste Dreifaltigkeit empfängt die Tochter, Mutter und Braut Gottes und überhäuft sie mit Ehren … – Und so groß ist die Majestät Mariens, dass die Engel sich fragen: Wer ist doch diese?“1

Die Himmelfahrt Marias hebt unseren Blick zum Himmel, dem wahren Ziel unserer irdischen Reise. Alle Ereignisse unseres Lebens erhalten eine neue Dimension, wenn wir sie in dieser Perspektive der Ewigkeit betrachten. Im Laufe der Jahre haben wir vielleicht erkannt, dass das, was uns einst so sehr am Herzen lag – ein familiäres Anliegen, eine Freude, die wir in der Arbeit oder an der Universität anpeilten, eine Sorge um die Zukunft – nicht immer so wichtig war, wie wir dachten. Das heutige Fest erinnert uns: Was am Ende des Tages wirklich zählt, ist, dass wir zum Himmel unterwegs sind und dort auch tatsächlich ankommen. Alles andere ist mehr oder weniger wichtig, je nachdem, wie sehr es dazu beiträgt, dorthin zu gelangen. Der heilige Josefmaria empfahl: „Sprich dich mit Unserer Lieben Frau aus, sage ihr: ,Du, meine Herrin! Wenn ich das Ideal verwirklichen soll, das Gott in mein Herz gelegt hat, muss ich hoch, sehr hoch fliegen!‘ Es genügt nicht, dass du dich mit Gottes Hilfe von den Dingen dieser Welt löst, im Wissen, dass sie Staub sind. Ja, selbst wenn du dir die ganze Welt unter deine Füße legtest, um so dem Himmel näher zu sein …, genügte es nicht! Du musst fliegen, ohne dich auf Irdisches zu stützen, vom Hauch und vom Wort des Geistes getragen. – Du wendest ein: ,Aber meine Flügel sind von jahrelangem Lehm verschmutzt und verklebt!‘ – Noch einmal sage ich dir: Flehe die Mutter Gottes an! Sag ihr: ,Herrin, ich kann mich kaum vom Boden erheben! Die Erde hält mich fest wie ein unheilvoller Magnet! Herrin, du kannst bewirken, dass meine Seele sich zum endgültigen, siegreichen Flug emporschwingt, dessen Ziel das Herz Gottes selbst ist.‘ Hab Vertrauen! Sie erhört dich!“2


ES GIBT KEIN ausdrückliches biblisches Zeugnis für die Himmelfahrt Marias. Deshalb bezieht sich das in der heutigen Messe verkündete Evangelium auch nicht auf dieses Geheimnis, sondern greift den Bericht über die Heimsuchung auf (vgl. Lk 1,39-56). Man könnte einwenden: Wenn es darum geht, die Mutter Gottes zu preisen, die zur Herrlichkeit des Himmels aufsteigt, scheint es menschlich gesehen wenig passend, dass die gewählte Lesung Maria im Dienste ihrer Verwandten Elisabeth zeigt. Doch genau dies war der Weg, den sie einschlug, um das ewige Leben zu erlangen. Papst Franziskus erklärt: „Es ist die Liebe, die das Leben in die Höhe hebt. Wir wollen unseren Brüdern und Schwestern dienen, und durch diesen Dienst werden wir ,aufsteigen‘. (...) Es ist anstrengend, doch so steigen wir auf, so gewinnen wir uns den Himmel!“3

Das heutige Evangelium spiegelt nicht nur Marias Wunsch zu dienen wider, sondern zeigt auch noch eine weitere Haltung von ihr, die sie in den Himmel aufsteigen ließ: den Lobpreis. Sobald sie bei Elisabeth ankommt, singt sie ein Lied des Dankes für das, was Gott in ihrem Leben getan hat: Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. (...) Denn der Mächtige hat Großes an mir getan (Lk 1,46-47.49). Papst Franziskus erläutert dazu: „Der Lobpreis ist wie eine Leiter: Er hebt die Herzen in die Höhe. Der Lobpreis hebt die Stimmung und überwindet die Versuchung der Niedergeschlagenheit. Habt ihr schon einmal bemerkt, dass gelangweilte Menschen, die vom Schwätzen leben, nicht zum Lobpreis fähig sind? Fragt euch: Bin ich zum Lobpreis fähig? Wie gut ist es, jeden Tag Gott zu loben, und auch die anderen! Wie gut ist es, in Dankbarkeit und Segen zu leben statt in Weinen und Klagen, nach oben zu schauen statt zu schmollen!“4

Maria möchte nur Gott groß machen. Sie zeigt uns, dass er in unserem Leben kein „Konkurrent“ ist, der uns durch seine Größe, wie Papst Benedikt sagte, vielleicht „etwas von unserer Freiheit, unserem Lebensraum nehmen könnte. Sie weiß, dass, wenn Gott groß ist, auch wir groß sind. Unser Leben wird nicht unterdrückt, sondern erhöht und geweitet: Gerade dann wird es groß im Glanz Gottes.“5 Das Fest Maria Himmelfahrt erinnert uns daran, dass der Weg zum Himmel für uns gangbar ist. Mit Gottes Gnade können wir denselben Weg beschreiten wie seine Mutter, denn Gott selbst begleitet uns und lebt in uns und hilft uns, unseren Mitmenschen zu dienen und die Wunder zu erkennen, die er in unserem Leben wirkt.


WIR NENNEN Maria die Königin des Himmels. Gleichzeitig ist sie die Königin der Erde. Die Tatsache, dass sie mit Leib und Seele im Himmel ist, bedeutet nicht, dass sie weit von uns entfernt ist. Gerade weil sie bei Gott lebt, ist sie uns näher, als wir es uns erträumen können. Als gute Mutter eines jeden ihrer Kinder hat sie immer ein offenes Ohr für unsere Gebete und wünscht sich wie keine andere, dass wir zu ihr in den Himmel kommen. Schließlich gibt es nur wenige Dinge, die einer Mutter mehr Freude bereiten, als ihre Kinder bei sich zu haben. Der heilige Josefmaria betonte: „Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel führt uns die Wirklichkeit dieser freudigen Hoffnung vor Augen. Noch sind wir Pilger, doch unsere Mutter ist uns vorausgegangen und weist uns das Ziel des Weges. Sie sagt uns immer wieder, dass es möglich ist, dorthin zu gelangen, und dass wir auch wirklich ankommen werden, wenn wir treu sind. Denn die Mutter Gottes ist nicht nur unser Vorbild: Sie ist die Hilfe der Christen. Und sie kann und will es uns nicht abschlagen, sich mit mütterlicher Fürsorge um ihre Kinder zu kümmern, wenn wir sie nur darum bitten: Monstra te esse Matrem (Hymnus Ave maris stella).“6

Maria lässt uns ihre Nähe in der Normalität des täglichen Lebens spüren. Sie hilft uns, „anhand der jeweils anstehenden Aufgaben stets den Blick des Herzens zu Gott zu erheben“7. Abgesehen von einigen besonderen Situationen verliefen die meisten ihrer Tage so schlicht und einfach wie die jeder anderen Frau ihrer Zeit: Arbeit, Familie, Gebet in der Synagoge, Feste mit den Landsleuten ... Nach und nach stieg die Gottesmutter in den Himmel auf, wie Papst Franziskus sagte, weil sie in der Lage war, den Herrn in den täglichen Beschäftigungen ihres Lebens zu sehen: „Das ist eine große Botschaft der Hoffnung für einen jeden von uns, für dich, der du oft anstrengende und schwierige Tage erlebst. Maria erinnert dich heute daran, dass Gott auch dich zu dieser Herrlichkeit beruft. Das sind keine schönen Worte, es ist die Wahrheit. Es ist kein erfundenes Happy End, keine fromme Täuschung, kein falscher Trost. Es ist die reine Realität, lebendig und wahr, so wie die in den Himmel aufgenommene Gottesmutter. Feiern wir sie heute mit der Liebe der Kinder, feiern wir sie freudig, aber demütig, beseelt von der Hoffnung, eines Tages mit ihr im Himmel zu sein!“8


1 Hl. Josefmaria, Heiliger Rosenkranz, 4. glorreiches Geheimnis.

2 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 994.

3 Franziskus, Angelus-Gebet, 15.8.2023.

4 Ebd.

5 Benedikt XVI., Predigt, 15.8.2005.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 177.

7 Msgr. Fernando Ocariz, Botschaft, 15.8.2017.

8 Franziskus, Angelus-Gebet, 15.8.2021.