Betrachtungstext: 8. Woche im Jahreskreis – Freitag

Hunger nach Heiligkeit – Wohnstätte für Gott sein – Der Sprung des Glaubens

NACHDEM SIE in Betanien genächtigt hatten, machten sich Jesus und seine Jünger wieder auf den Weg zurück nach Jerusalem. Unterwegs verspürte der Herr Hunger, wie Matthäus berichtet. Für die Überlieferung dieses Details war der heilige Josefmaria dem Evangelisten ausdrücklich dankbar, denn es half ihm, die Menschlichkeit unseres Herrn zu lieben und zu betrachten: „Mich bewegt Christus immer und besonders, wenn sichtbar wird, dass er wahrer, vollkommener Mensch ist, wo er zugleich vollkommener Gott ist. So will er uns lehren, dass wir sogar die persönlichen Unzulänglichkeiten und natürlichen Schwächen nutzen können, um uns als Ganzes – so wie wir sind – dem Vater darzubringen, der dieses Brandopfer gern annimmt.“1

Doch konnte Jesus seinen Hunger in diesem Moment nicht stillen. Da sah er von Weitem einen Feigenbaum mit Blättern und ging hin, um nach Früchten zu suchen. Aber er fand nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit der Feigenernte. Da sagte er zu ihm: In Ewigkeit soll niemand mehr eine Frucht von dir essen (Mk 11,13-14). Die Apostel waren wahrscheinlich überrascht, als sie diese Worte hörten. Ihnen war klar, dass der Feigenbaum zu dieser Zeit keine Früchte tragen konnte. „Warum verflucht er ihn auf diese Weise?“, werden sie sich gefragt haben.

Die Geste Jesu ist nicht einfach ein Vorwurf an den Baum, weil er seinen Hunger nicht stillt. Der Feigenbaum ist ein Symbol für das Volk Israel. Gott hat sich ihm genähert mit dem Hunger, an ihm Früchte der Heiligkeit und guten Werke zu finden, aber er scheint nichts gefunden zu haben als äußeres Getriebe, eine Menge Blätter, die keine Früchte tragen. Papst Franziskus erklärt: „Gott hilft uns, nicht in eine egoistische Religiosität zu verfallen. Der Feigenbaum repräsentiert die Unfruchtbarkeit, das heißt ein steriles Leben, das nichts zu geben vermag. Ein Leben also, das keine Frucht trägt und unfähig ist, das Gute zu tun. Ein Mensch dieser Art lebt für sich, in Ruhe, egoistisch, er will keine Probleme haben. Und Jesus verflucht den Feigenbaum, da er unfruchtbar ist, weil er nicht das Seine getan hat, um Frucht zu tragen.“2 Fragen wir uns in dieser Weile des Gebets: Kann ich dem Herrn Früchte anbieten, die seiner geduldigen, beharrlichen und großherzigen Liebe entsprechen?


IN JERUSALEM angekommen, ging Jesus in den Tempel. Als er sah, dass dieser voll war mit Käufern und Verkäufern, die miteinander verhandelten, begann er, die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler umzustoßen, und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug. Er belehrte sie und sagte: Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht (Mk 11,15-17).

Der jüdische Tempel war die Wohnstätte Gottes. Deshalb reagiert Jesus so heftig: Er will das Haus seines Vaters gegen die Gleichgültigkeit der Anwesenden verteidigen. Es schmerzt ihn, dass ein Ort, der dazu bestimmt war, die Begegnung zwischen Gott und seinem Volk zu fördern, zum Marktplatz geworden ist. So führt er eine Reinigung des Tempels durch, die über die Vertreibung der Händler hinausgeht. Jesus ist gekommen, um für diesen Raum des vertrauten Umgangs mit Gott einzutreten; er will die Nähe des Vaters sichtbar machen.

Der Herr vergleicht sodann den Tempel in Jerusalem mit seinem eigenen Leib und offenbart damit die tiefste Wahrheit über sich selbst: die Menschwerdung, das heißt, dass er das Wort Gottes ist, das unter uns Wohnung genommen hat. In jedem Christen wird Gott durch die Teilhabe am Leben Christi einen neuen Tempel finden: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen (Joh 14,23). Die Sünde hingegen verwandelt einen so heiligen Ort wie unsere Seele in einen Raum für weltliche Geschäfte. In den Sakramenten und im Gebet kommt Jesus uns neuerlich zu Hilfe, um zu beseitigen, was in unserem Innersten unverrückbar scheint und was wir nur schwer reinigen können.


AM NÄCHSTEN Tag kamen Jesus und die Apostel wieder an dem Baum vorbei, der keine Früchte getragen hatte. Als sie sahen, dass er bis zu den Wurzeln verdorrt war, bemerkte Petrus: Rabbi, sieh doch, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt. Vielleicht nahm der Herr ein gewisses Staunen bei den Jüngern wahr, als sie sahen, wie sich seine Worte erfüllt hatten, und so antwortete er: Habt Glauben an Gott! Amen, ich sage euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer! und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen (Mk 11,21-23).

Der Herr bereitet seine Jünger auf die Aufgabe vor, die er ihnen nach seinem Fortgang anvertrauen wird: das Evangelium in der ganzen Welt zu verbreiten. Menschlich gesehen ist diese Aufgabe schwer vorstellbar und schwierig umzusetzen: Anfangs muss ihnen schwindlig geworden sein. Doch Jesus versichert ihnen, er selbst werde sie über die großmütigsten Vorstellungen, die sie sich machen konnten, hinaus führen, wenn sie nur Glauben haben und in die Liebe Gottes vertrauen. Und auch wenn die Dinge einmal nicht wie erwartet verliefen, sollten sie in ihren Herzen dennoch stets die Gewissheit haben, dass Gott sie niemals verlassen wird.

Das Leben aus dem Glauben birgt in der Tat einen „riskanten“ Moment, denn es bedeutet einen „Sprung“: etwas weniger in die eigenen Sicherheiten vertrauen, um die Sicherheiten zu umfangen, die Gott uns bietet und die über unsere Vorstellungen hinausgehen. Josef Ratzinger verfasste einst folgenden viel zitierten Satz über das Abenteuer des Glaubens: „Der Glaube ist das Finden eines Du, das mich trägt und in aller Unerfülltheit und letzten Unerfüllbarkeit menschlichen Begegnens die Verheißung unzerstörbarer Liebe schenkt, die Ewigkeit nicht nur begehrt, sondern gewährt.“3 Mit ihrem „Fiat“ hat die Jungfrau Maria den Sprung auf die Worte des Engels hin gewagt. Ihr Leben gewann daraufhin einen unvorstellbaren Horizont: Durch ihren Glauben wurde die junge Frau aus Nazaret zur Mutter Gottes und aller Menschen.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 50.

2 Franziskus, Tagesmeditation, 29.5.2015.

3 J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, Kösel-Verlag München, 1968 (6. Aufl.), S. 53.

Foto: Mick Haupt (unsplash)