Betrachtungstext: 8. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Ein Blinder am Straßenrand – Die Heilung des Herzens – Ein Verhalten, das Frucht des Glaubens ist

ALS JESUS, umgeben von seinen Jüngern und einer großen Schar von Menschen, Jericho verließ, saß am Weg ein blinder Bettler (Mk 10,46). Bartimäus, wie er hieß, war eine eher ruhige Umgebung gewöhnt. Nun wird er von einem lebhaften Treiben überrascht. Er kann nichts sehen, wir können uns aber vorstellen, was er hört: den Wirbel einer herannahenden Menschenmenge, Schritte im Sand, die Zurufe derer, die ihn auffordern, den Weg freizumachen, und eine Unmenge anderer Einzelheiten, die er wegen seines fehlenden Augenlichts mit dem Gehör wahrzunehmen gelernt hat. Obwohl er sich eingeschränkt weiß, ist er für die Wirklichkeit offen geblieben: Sein Herz ist hellhörig und hört nicht auf zu suchen. Nachdem er herausgefunden hat, dass die Ursache des Tumults Jesus von Nazaret ist, zögert er nicht, laut zu rufen: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! (Mk 10,47). Sein Ausruf ist nicht nur eine Bitte um Erbarmen, sondern auch ein Bekenntnis: Er hat „Jesus von Nazaret“ gehört, verkündet ihn aber als „Sohn Davids“ und nimmt damit die Jubelrufe des Volkes beim Einzug des Herrn in Jerusalem vorweg. Man merkt, dass seine inneren Sinne irgendwie darauf vorbereitet waren, dem Meister zu begegnen.

Die Äußerung des Bartimäus kam bei den Vorüberziehenden jedoch nicht gut an: Viele befahlen ihm zu schweigen (Mk 10,48). Wir wissen nicht, warum die Leute nicht wollten, dass er sich zu Wort meldete. Vielleicht dachten sie, dass der Blinde lediglich Almosen wollte, oder nahmen an, dass der Meister keine Zeit hatte, um sie für jemanden wie ihn zu verschwenden. Doch Bartimäus ließ sich trotz all des Widerstands, der ihm entgegenschlug, von der unguten Stimmung nicht beeindrucken. Er wusste, dass der erwartete Messias an ihm vorbeikommen würde, und diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen. Bartimäus erteilt uns eine wunderbare Lektion, und der heilige Josefmaria schreibt: „Du, der du am Rand des Weges stehst, am Rand dieses so kurzen Lebensweges; du, dem Licht fehlt; du, der du mehr Gnade benötigst, um entschlossen nach Heiligkeit zu streben – empfindest du nicht auch das Verlangen zu schreien? Drängt es dich nicht ebenfalls zu rufen: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner? Da hast du ein herrliches Stoßgebet – wiederhole es oft!“1


DIE REAKTION Jesu dürfte seine Begleiter überrascht haben: Er blieb stehen und schickte nach ihm. Der Herr hat soeben eine glaubenserfüllte Bitte gehört und möchte mit diesem Mann sprechen, ihm nahe sein, ihm zuhören, wissen, was er will. Alle seine Sinne sind auf Bartimäus gerichtet. Während die Umstehenden versuchten, den Blinden zum Schweigen zu bringen, ruft der Herr ihn zu sich: Es stört ihn nicht, wenn wir ihn um Hilfe bitten, denn gerade deswegen ist er gekommen: um uns zu retten, um unsere Sinne mit den seinen zu heilen.

Bartimäus, der nicht aufgehört hatte, sich bemerkbar zu machen, vernahm in der Zwischenzeit Worte, die seine Hoffnung weckten: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich (Mk 10,49). Seine Beharrlichkeit hat bereits eine erste Frucht getragen, und es war nicht die Heilung von seiner Blindheit. Als Jesus stehen bleibt, so denkt sich Papst Franziskus in Bartimäus hinein, „da ergreift ein Schauder das Herz, denn man bemerkt, dass man vom Licht angeschaut wird, von jenem freundlichen Licht, das uns auffordert, nicht in unserer dunklen Blindheit verschlossen zu bleiben. Die Gegenwart und Nähe Jesu lässt spüren, dass uns fern von ihm etwas Wichtiges fehlt. Sie lässt uns spüren, dass wir des Heils bedürfen, und das ist der Beginn der Heilung des Herzens.“2 Sobald er hörte, dass der Meister ihn rief, handelte Bartimäus entschlossen: Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu (Mk 10, 50). Dieser Mantel war nicht nur der einzige Besitz des Blinden: Er war sein Zuhause, der Ort, an dem er sich für die Nacht hinlegte, die Zuflucht, in der er sich vor schlechtem Wetter schützte. Aber auf den Ruf des Herrn hin konnte er erkennen, was wirklich wichtig war. „Vergiss nicht“, bemerkte der heilige Josefmaria, „dass, um zu Christus zu gelangen, Opfer nötig ist; es ist nötig, alles wegzuwerfen, was da stört.“3

Auch wenn Bartimäus eine Verrücktheit zu begehen schien, indem er das Wenige, das er besaß, aufgab, tat er im Grunde das Allervernünftigste: Er nähert sich jenem, der ihm den „Mantel“ seiner Menschheit wiedergeben kann, der durch seine Blindheit zerschlissen war. In der Person Jesu findet Bartimäus eine neue Heimat, eine neue Zuflucht, die seine verwundete Menschheit heilen wird. In der sakramentalen Gnade wiederholt Jesus dieses Angebot. Auf Vermittlung der Kirche hören wir diese Worte wieder: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich (Mk 10,49).


SOBALD BARTIMÄUS Jesus gegenübersteht, fragt ihn der Meister: Was willst du, dass ich dir tue? (Mk 10,51). Der Glaube des Blinden mag in verschiedenen Momenten seines Lebens geschwankt haben, und vielleicht war er immer noch schwach, ohne es genau zu wissen. „Es ist offensichtlich, was ich will“, könnte er gedacht haben. „Wenn dieser Mann der Messias ist, sollte er es wissen ...“ Aber Bartimäus wälzt keine solchen Gedanken und antwortet einfach: Rabbuni, ich möchte sehen können (Mk 10,51). Jesus Christus hört sich die Bitte des Blinden an und weist sie nicht zurück. Er will sich seiner Schwäche annehmen, doch noch viel mehr scheint er diesen Akt des Glaubens annehmen zu wollen: des Glaubens des Blinden in seine Fähigkeit, ihn zu heilen und zu erkennen, wer er war. Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dich gerettet. Im gleichen Augenblick konnte er sehen (Mk 10,52).

Dein Glaube hat dich gerettet. Jesus legt das Verhalten des Bartimäus mit Vollmacht aus und erteilt den Umstehenden eine Lektion. Bartimäus' Beharrlichkeit im Gebet – selbst angesichts der Zurückweisung der anderen – sowie seine Bereitschaft, dem Ruf zu folgen und sich von allem zu trennen, was er besaß, waren nicht die Folge von Unüberlegtheit, persönlichem Ehrgeiz oder dem Wunsch, sich zu produzieren, sondern seines Glaubens. Ein Glaube, der in seinem Herzen nach und nach Wurzeln geschlagen hatte, nachdem er von Jesus gehört hatte. Wer weiß, ob er nicht schon früher innerlich nach Heilung geschrien hatte. Der Glaube, der ihn dazu bewegte, beharrlich zu bitten und Schwierigkeiten zu überwinden, führte ihn nach der Stärkung durch das Handeln Christi jedenfalls auch dazu, dass er ein Jünger wurde und Jesus auf seinem Weg nachfolgte (Mk 10,52). Damit endet der Bericht.

Im Evangelium wird Bartimäus nicht weiter erwähnt. Wir können davon ausgehen, dass er nicht mehr am Straßenrand steht und um Almosen bittet, sondern dass er unter die Leute geht und ihnen erzählt, was die Begegnung mit Jesus für sein Leben bedeutet hat. Wenn er vorher schon nicht schweigen konnte, als er wusste, dass der Messias nahe war, was würde er dann nicht alles tun, nachdem er vom Meister gerufen und geheilt worden war? Maria, unsere Mutter, wird uns helfen, uns ihrem Sohn mit dem Glauben des Bartimäus zu nähern, damit wir ihn um das Licht und die Kraft bitten können, ihm auf seinem Weg zu folgen.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 195.

2 Franziskus, Predigt, 4.3.2016.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 196.

Foto: Vincentiu Solomon (unsplash)