IN DER VILLA TEVERE1 werden die Reliquien des heiligen Severin aufbewahrt, eines römischen Soldaten aus dem 2. oder 3. Jahrhundert, der für seinen Glauben das Martyrium erlitt. Die Reliquien befanden sich in einer Kirche in Neapel, bis der Erzbischof dieser Stadt sie im Jahr 1957 dem heiligen Josefmaria zum Geschenk machte; im Jahr darauf erteilte der Heilige Stuhl die Erlaubnis, dass die Messe des heiligen Severin in allen Zentren des Opus Dei gefeiert werden kann. Als Termin wurde der 8. November oder der nächstgelegene liturgisch mögliche Tag festgelegt. Der heilige Josefmaria wollte, dass dieses Datum für seine Kinder alljährlich ein Anlass sein möge, ihre Einheit mit Rom zu stärken, wo sich das „Herz“ des Werkes befindet.
Auch wenn die Einheit zuallererst von unseren Anstrengungen abzuhängen scheint, ist sie in Wahrheit vor allem ein Geschenk Gottes. Sie ist eine Gabe, die Christus von seinem Vater für seine Kirche erbeten hat und woran wir uns als Gläubige des Werkes täglich erinnern, wenn wir die Preces beten: Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin (Joh 17,21). Als Jesus diese Worte beim Letzten Abendmahl aussprach, als wären sie sein geistliches Testament, hat er, wie Papst Franziskus sagte, „den Jüngern die Einheit nicht geboten. Und er hat ihnen auch keinen Vortrag zur Begründung ihrer Notwendigkeit gehalten. Nein, er hat für uns zum Vater gebetet, dass wir eins sein mögen. Das bedeutet, dass unsere Kräften allein nicht genügen, um die Einheit zu verwirklichen. Die Einheit ist in erster Linie ein Geschenk, sie ist eine Gnade, die wir im Gebet erbitten müssen.“2
Bitten wir also Gott darum, eins zu sein, im Bewusstsein, dass wir die Einheit ohne seine Hilfe nicht einmal in uns selbst erreichen können. Denn wie der heilige Paulus erfahren auch wir in unserem Inneren manchmal „einen Konflikt, der uns nahezu zerreißt: das Gute zu wollen und zum Bösen zu neigen (vgl. Röm 7,19)“3. Und so begreifen wir – auch das sind Worte von Papst Franziskus –, „dass die Wurzel für so viele Spaltungen, die es in unserem Umfeld gibt – unter einzelnen Menschen, in der Familie, in der Gesellschaft, unter den Völkern und auch unter den Gläubigen –, in uns selbst liegt“4. Um die Spaltung zu überwinden, müssen wir beten: Wir müssen den Herrn, wenn nötig, um Frieden mit uns selbst bitten und auch mit anderen; wir müssen um die Einheit des Lebens und um die Einheit mit unseren Brüdern und Schwestern beten und über Unterschiede und Missverständnisse hinwegkommen.
SIEHE, WIE GUT und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen (Ps 133,1), so heißt es im Psalm. Die Einheit ist ein Geschenk, das Gott uns macht, weil er will, dass wir in Einigkeit zusammenleben, dass uns gegenseitige Zuneigung verbindet, dass wir die Entschuldigung und das Verständnis leben und wir den Wunsch haben, einander zur Seite zu stehen ... Außerdem ist dieses Klima ein einfaches Zeugnis des christlichen Lebens. Wie Papst Franziskus sagte: „Von der Einheit hängt der Glaube in der Welt ab; denn der Herr hat um die Einheit unter uns gebetet, damit die Welt glaubt (Joh 17,21). Die Welt wird nicht glauben, weil wir sie mit guten Argumenten überzeugen, sondern wenn wir die Liebe bezeugen, die uns eint und uns allen nahe sein lässt.“5
Die Einheit ist wichtig: Ihre Schönheit und Anziehungskraft sind wesentlich für unser Glück, unsere Treue und dafür, dass wir andere auf unseren Weg ziehen. Daher ist es gewissermaßen auch logisch, dass der Teufel mit allen Mitteln versucht, diesen Zusammenhalt zu schmälern oder zu zerstören, indem er Spaltungen und Streit unter die Menschen sät: in der Familie, in der Gesellschaft, in der Kirche. Papst Franziskus hält fest: „Der Teufel spaltet immer, weil es für ihn von Vorteil ist zu spalten. Er wiegelt überall und auf jede Weise zur Spaltung auf, während der Heilige Geist immer in Einheit zusammenfinden lässt. Der Teufel versucht uns im Allgemeinen nicht über die hohe Theologie, sondern über die Schwächen unserer Brüder und Schwestern. Er ist listig: Er lässt die Fehler und Mängel der anderen riesengroß erscheinen, sät Zwietracht, ruft Kritik hervor und schafft Parteiungen. Gottes Weg ist ein anderer: Er nimmt uns, wie wir sind, er liebt uns sehr, aber er liebt uns, wie wir sind, und nimmt uns, wie wir sind. Er nimmt uns in unserer Verschiedenheit, er nimmt uns als Sünder, und er drängt immer zur Einheit.“6
Sind wir Erbauer von Einheit? In Momenten des Konflikts, der Uneinigkeit, wenn wir die Grenzen der anderen festzustellen meinen – sind wir dann in der Lage, den Aufruf des Herrn zur Zuneigung, zum Verständnis, zur brüderlichen Liebe, die alle Unterschiede überwindet, vor alles andere zu stellen? „Die Liebe zu den Seelen um Christi willen bewirkt“, so lehrte der heilige Josefmaria, „dass wir alle lieben und verstehen, alle entschuldigen und allen vergeben ...“7
MSGR. FERNANDO OCÁRIZ schrieb folgende Beobachtung nieder: „Wenn ein Vater und eine Mutter ihre beiden Kinder wie verrückt lieben, freuen sie sich, wenn diese einander lieb haben, und leiden, wenn sie sehen, dass den beiden diese Zuneigung zueinander fehlt.“8 Möglicherweise haben auch wir es erlebt: die Freude von Eltern, wenn sie sehen, dass ihre Kinder zusammenhalten, wenn sie beobachten, dass die Kinder in der Lage sind, füreinander Verständnis zu haben, und sich bemühen, miteinander auszukommen, sich gegenseitig um Verzeihung zu bitten und zu vergeben, wenn sie einmal gestritten haben. Mit ähnlicher Freude blickt der Herr auf seine Kinder in seiner Kirche, auf alle Menschen, wenn er sieht, dass sie vereint sind. Der Prälat kommentiert: „Wenn wir die anderen Menschen lieben, sind wir eine Wonne für Gott und die Gottesmutter.“9
Christus bittet den Vater, wir mögen alle eins sein. Und er meint damit nicht die Einheit einer menschlich gesehen gut strukturierten Organisation, sondern die Einheit, die die Liebe schenkt: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin (Joh 17,21). In diesem Sinn geben uns die ersten Christen ein schönes Beispiel: Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele (Apg 4,32). Gerade weil sie eine Folge der Liebe ist, ist diese Einheit nicht Einheitlichkeit, sondern Gemeinschaft. Es ist eine Einheit in der Verschiedenheit, die sich in der Freude zeigt, mit den Unterschieden zu leben, zu lernen, uns von unseren Mitmenschen bereichern zu lassen, und um uns herum eine Atmosphäre der Zuneigung zu schaffen.
Wenn wir mit der Hilfe des Herrn anstreben, eine Einheit zu leben, die Gemeinschaft ist und auf der Liebe beruht, dann ist das, wie Msgr. Ocáriz schrieb, „schließlich eine Einheit, die keine geschlossene Gruppe bildet, sondern uns in die Lage versetzt, bei dieser großartigen Sendung der Evangelisierung allen Menschen unsere Freundschaft anzubieten“10. Bitten wir unsere himmlische Mutter, uns zu helfen, die Einheit mit unseren Mitmenschen in den verschiedenen Bereichen unseres Lebens hochzuschätzen und stets zu suchen.
1 Villa Tevere ist der Name des Hauses in: 00197 Rom, Viale Bruno Buozzi 75, an dem sich der Zentralsitz des Opus Dei und die Prälaturkirche Unserer Lieben Frau vom Frieden befinden.
2 Franziskus, Audienz, 20.1.2021.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Ebd.
7 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 559.
8 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 170.
9 Ebd.
10 Ebd., S. 168-169.