Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Mittwoch

Die Einheit im Gebet erbitten – Die Gabe der Gottesfurcht – Von der Liebe zum Vater bewegt

GEGEN ENDE seines hohepriesterlichen Gebets bittet Jesus seinen Vater um die Einheit seiner Jünger: Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir! (Joh 17,11) Es ist ein Anliegen, das sich durch die Jahrhunderte zieht: dass alle Christen eine Einheit bilden mögen. „Diese Einheit, die der Herr seiner Kirche geschenkt hat und in der er alle umfangen wollte, (...) steht im Zentrum seines Wirkens“, unterstreicht der heilige Johannes Paul II. die Bedeutung der Bitte Jesu. „Sie gehört zum Wesen dieser Gemeinschaft selbst. Gott will die Kirche, weil er die Einheit will und in der Einheit die ganze Tiefe seiner ,agape‘ zum Ausdruck kommt. (...) Es ist eine Einheit, die durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der hierarchischen Leitung und Gemeinschaft gebildet wird. (...). An Christus glauben heißt, die Einheit wollen; die Einheit wollen heißt, die Kirche wollen; die Kirche wollen heißt, die Gnadengemeinschaft wollen, die dem Plan des Vaters von Ewigkeit her entspricht. Das also ist die Bedeutung des Gebetes Christi: Ut unum sint.“1

„Die Einheit ist in erster Linie ein Geschenk“, weist uns Papst Franziskus den Weg, „sie ist eine Gnade, die man im Gebet erbitten muss. Jeder von uns braucht es. Denn wir merken, dass wir nicht einmal in der Lage sind, die Einheit in uns selbst zu bewahren. Auch der Apostel Paulus spürte in sich einen ihn schier zerreißenden Konflikt: das Gute zu wollen und zum Bösen zu neigen (vgl. Röm 7,19). So hat er verstanden, dass die Wurzel so vieler Spaltungen, die es in unserem Umfeld gibt – unter den Menschen, in der Familie, in der Gesellschaft, unter den Völkern und auch unter den Gläubigen –, in uns selbst liegt. Wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt, ,hängen die Störungen des Gleichgewichts, an denen die moderne Welt leidet, mit jener tiefer liegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung hat. Denn im Menschen selbst sind viele widersprüchliche Elemente gegeben. […] So leidet er an einer inneren Zwiespältigkeit, und daraus entstehen viele und schwere Zerwürfnisse auch in der Gesellschaft‘ („Gaudium et spes“, 10).“ Der Papst sieht „die Lösung für die Spaltungen“ nicht darin, „sich gegeneinander zu stellen, denn Zwietracht erzeugt weitere Zwietracht. Das wahre Heilmittel beginnt damit, Gott um Frieden, Versöhnung, Einheit zu bitten.“2


IN SEINEM feierlichen Gebet geht Jesus zur nächsten Bitte an den Vater über: Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt (Joh 17,17-18). Es ermutigt uns, und es erfüllt uns mit Verantwortung, dass Jesus um die Heiligkeit seiner Jünger bittet und diese zur Grundlage des Auftrags macht, den er uns erteilt. Darüber hinaus sandte er uns nach seiner Auferstehung auch noch den Heiligen Geist, der uns nicht nur mit Gaben und Früchten überhäuft, sondern uns bis in die innersten Tiefen prägt. So erklärte Paulus den Galatern: Weil ihr Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn (Gal 4,6-7). Wir sind Kinder Gottes und berufen, heilig zu sein. Im Kontext unserer göttlichen Abstammung können wir die Bedeutung der „Gottesfurcht“ verstehen, einer Gabe des Heiligen Geistes, die in den Psalmen als Anfang der Weisheit bezeichnet wird: Gute Einsicht ist sie allen, die danach handeln (Ps 111,10). Mit sklavischer Furcht hat die Furcht des Herrn nichts gemein, betont der heilige Josefmaria, denn Gott Vater ist kein Tyrann. Er beschreibt sie als „die Verehrung des Sohnes für seinen Vater3.

Die Gottesfurcht bringt neue Perspektiven in unseren geistlichen Kampf. In seiner Katechese über die Gaben des Heiligen Geistes holt Papst Franziskus dazu aus: „Die Gottesfurcht ist die Gabe des Geistes, die uns daran erinnert, wie klein wir sind vor Gott und vor seiner Liebe, und dass unser Wohl darin besteht, uns mit Demut, mit Hochachtung und mit Vertrauen in seine Hände zu geben. Das ist die Gottesfurcht: die Hingabe an die Güte unseres Vaters, der uns so sehr liebt. (...) In diesem Sinne verstehen wir gut, dass die Gottesfurcht in uns die Form der Fügsamkeit, der Dankbarkeit und des Lobpreises annimmt und unser Herz mit Hoffnung erfüllt. Denn oft können wir den Plan Gottes nicht begreifen und merken, dass wir nicht in der Lage sind, uns selbst unser Glück und das ewige Leben zuzusichern. Gerade in der Erfahrung unserer Grenzen und unserer Armseligkeit jedoch tröstet uns der Heilige Geist und lässt uns spüren, was allein wichtig ist: uns von Jesus in die Arme seines Vaters führen zu lassen.“4 Die Gottesfurcht macht uns unsere geschöpflichen  Grenzen bewusst und lässt uns ahnen, dass es Großes gibt, das wir auch verpassen können. Sie schenkt uns eine gewisse Unbefriedigtheit, die uns auf diesen Gott achten lässt, der immer wieder an uns vorbeigeht.


UND ICH HEILIGE mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind (Joh 17,19), fährt Jesus in seinem Gebet fort. In Anlehnung daran spricht der heilige Josefmaria von der Aufgabe, „uns zu heiligen; heilig zu werden, um andere zu heiligen5. Im Bewusstsein des Vorrangs der Gnade bitten wir den Heiligen Geist, uns mit Gottesfurcht zu erfüllen, damit wir brauchbare Werkzeuge in seinen Händen werden. Papst Franziskus betont: „Eben darum brauchen wir diese Gabe des Heiligen Geistes so sehr. Die Gottesfurcht bringt uns zu Bewusstsein, dass alles aus der Gnade kommt und dass unsere wahre Kraft einzig und allein darin liegt, Jesus, dem Herrn, nachzufolgen und den Vater seine Güte und seine Barmherzigkeit über uns ausgießen zu lassen. (...) Wenn wir von der Gottesfurcht durchdrungen sind, werden wir dahin geführt, dem Herrn mit Demut, Fügsamkeit und Gehorsam nachzufolgen (...), mit dem Staunen und der Freude eines Kindes, das sich vom fürsorglichen Vater geliebt weiß.“6

Wir sind Kinder Gottes und haben den Auftrag, die Welt mit Gott zu versöhnen und ihrem vollkommenen Glück zuzuführen. Die Gottesfurcht bewirkt in uns Mut und Kraft, wie der Heilige Vater darlegt: „Sie ist eine Gabe, die uns zu überzeugten, begeisterten Christen macht, die sich dem Herrn nicht aus Furcht unterwerfen, sondern weil sie von seiner Liebe bewegt und ergriffen sind!“7 Eine weitere Wirkung der Gottesfurcht in der Seele ist die Ablehnung all dessen, was den geliebten Vater kränken könnte. Der heilige Josefmaria bringt es auf den Punkt: „Vergiss nicht, Sohn, dass es für dich auf der Erde nur ein Übel gibt, das du fürchten und mit der Gnade Gottes vermeiden musst: die Sünde.“8

Mit Worten aus der Weihe an den Heiligen Geist wenden wir uns an Maria, damit sie uns von Gott „die Gabe der Furcht des Herrn verschaffe, die unsere Herzen, indem sie uns alle Sünden verabscheuen lässt, den Geist der Anbetung sowie eine tiefe und aufrichtige Demut einprägen möge“9.


1 Hl. Johannes Paul II., Ut unum sint, Nr. 9.

2 Franziskus, Audienz, 20.1.2021.

3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 435.

4 Franziskus, Audienz, 11.6.2014.

5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 9.

6 Franziskus, Audienz, 11.6.2014.

7 Ebd.

8 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 386.

9 Hl. Josefmaria, Weihe an den Heiligen Geist.