Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Donnerstag

Gott ist Gabe – Der Heilige Geist erneuert uns stets – Er befreit uns von Ängsten

Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast (Joh 17,22), hören wir Jesus Christus heute gegen Ende des hohepriesterlichen Gebets zu seinem Vater beten. Bevor er aus Liebe zu dir und zu mir das Kreuz besteigt, möchte er uns ungeahnte Horizonte eröffnen, uns gewissermaßen auf die Höhe seiner Liebe heben. Er will uns auf sein Niveau bringen, uns alles geben, was er hat, alles, was er empfangen hat. Deshalb bietet er uns seine Herrlichkeit, seine Vertrautheit mit Gott Vater an. Er wünscht sich, dass wir genauso glücklich sind wie er. Und er möchte, dass der Vater uns gewissermaßen mit demselben Stolz betrachtet, mit dem er ihn betrachtet. Um dieses Erbe anzutreten, ist es  „wichtig zu verstehen“, lehrt Papst Franziskus, „dass Gott ganz Gabe ist, dass er nicht nimmt, sondern gibt. Warum ist das wichtig? Weil es von unserer Gottesvorstellung abhängt, auf welche Weise wir unseren Glauben leben. (...) Wenn wir Gott als Gabe in unseren Herzen spüren, ändert sich alles. Wenn uns bewusst wird, dass das, was wir sind, sein Geschenk ist, seine freie und unverdiente Gabe, dann werden auch wir dieses Leben zu einem Geschenk machen wollen.“1

Mit dem Heiligen Geist schenkt uns Jesus den Geber aller Gaben, die Liebe zwischen Gott Vater und ihm. Und mit ihm schenkt er uns eine seiner Früchte: die Großmut. „Gibt es eine größere Torheit, als den goldenen Weizen mit weitem Wurf auszustreuen auf die Erde, damit er dort verfaule? – Ohne diese Torheit gäbe es keine Ernte. Kind: wie steht es mit deiner Großmut?“2, schildert der heilige Josefmaria treffend diese Gabe. Wir sind dazu berufen, eine grenzenlose Liebe, einen Ozean an Liebe, zu empfangen, doch in vielen Hinsichten entspricht das unserem Herzen eingegebene Verlangen nach Ausweitung nicht unserem Vermögen, was wiederum unser Vermögen, Liebe zu schenken, mindert. Dabei möchte sich Gott mit uns erfüllen. Wir sind schwach und gebrechlich, dennoch haben wir unentgeltlich die unbeschreibliche Fähigkeit erhalten, Gott glücklich zu machen, ihn zu trösten, sein Herz zu erfüllen.

Wir konzentrieren uns häufig zu sehr auf unsere Schwächen und Sünden. Daher drängt uns der Heilige Geist immer wieder dazu, unseren Blick zu heben, den Horizont zu sehen, uns kräftiger aufzurichten. Nicht unsere Werke erobern diesen Ozean: Gott bewirkt, dass unsere Großzügigkeit wächst und seiner unendlichen Fähigkeit, zu lieben und geliebt zu werden, näher kommt.


„WENN DAS LEBEN unserer Gemeinschaften durch Zeiten der ,Mattheit‘ geht, in denen die häusliche Idylle der Neuheit Gottes vorgezogen wird, ist das ein schlechtes Zeichen”, bringt Papst Franziskus eine Sorge zur Sprache. „Es bedeutet nämlich, dass man Schutz vor dem Wind des Geistes sucht. Wenn man für die Selbsterhaltung lebt und darüber nicht hinauskommt, ist das kein schönes Zeichen. Der Geist weht, aber wir holen die Segel ein. Und doch haben wir viele Male gesehen“, fährt der Papst ermutigend fort, „wie er Wunderbares bewirkt. Oft, gerade in den dunkelsten Zeiten, hat der Geist die strahlendste Heiligkeit hervorgebracht! Denn er ist die Seele der Kirche, er beseelt sie immer neu mit Hoffnung, erfüllt sie mit Freude, befruchtet sie mit Neuem, schenkt ihr Knospen neuen Lebens. Es ist, wie wenn in einer Familie ein Kind geboren wird: Es bringt den Zeitplan durcheinander, lässt einen nicht schlafen, schenkt dafür aber eine Freude, die das Leben erneuert, die ihm Antrieb verleiht und es in der Liebe weit macht. Ja, der Geist bringt ein ,Aroma‘ von Kindheit in die Kirche. Er bewirkt ein beständiges Wiederaufleben. Er frischt die Liebe des Anfangs wieder auf. Der Geist erinnert die Kirche daran, dass sie trotz ihrer jahrhundertealten Geschichte immer eine Zwanzigjährige ist, die junge Braut, in die der Herr hoffnungslos verliebt ist. So lasst uns nicht müde werden, den Geist in unser Lebensumfeld einzuladen, und ihn vor jeder Tätigkeit unsererseits anzurufen: ,Komm, Heiliger Geist!‘“3

Die Kirche bewegt sich auf Pfingsten zu, in der Hoffnung, diese Gabe zu erlangen. Sie will mit Großmut erfüllt werden: „Schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche und schenke ihr nach deinem Willen ...“4, sagen wir in der Heiligen Messe. Wir wollen uns nicht durch eine begrenzte Sichtweise vereinnahmen lassen. Wir wollen unseren Blick auf das richten, was endgültig ist, auf das, was nicht vergeht, auf die Liebe Gottes zu jedem von uns. Der heilige Josefmaria hat uns immer ermutigt, unseren Blick auf den weiten Horizont zu richten: „Betrachtet nichts nur mit irdischen Augen, meine Töchter und Söhne. Schaut nicht mit der Nase an der Wand, denn dann würdet ihr nur ein Stückchen Wand, etwas Boden und die Spitzen eurer Schuhe sehen, die nicht einmal sauber sind, weil sie durch den Straßenstaub verschmutzt wurden. Hebt den Kopf, und ihr seht den Himmel, blau oder bewölkt, der auf euren Höhenflug wartet. Die Hindernisse der Sinnlichkeit, des Stolzes, der Eitelkeit – kurz gesagt, der menschlichen Dummheit – sind nicht so hoch, dass sie uns gegen unseren Willen die Sicht komplett verstellen können.“5


ICH HABE ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin (Joh 17,26), setzt Jesus sein Gebet fort. Es mag uns manchmal wundern, dass die Apostel, die Christus von Ewigkeit her auserwählt hatte, nicht immer genau wussten, was rund um sie herum geschah. In Wirklichkeit geht es aber auch uns oft so, da wir durch das Unmittelbare abgelenkt sind. Papst Benedikt lehrte: „Oftmals ist unser Leben an der Logik des Habens, des Besitzens und nicht der Selbsthingabe ausgerichtet. Viele Menschen glauben an Gott und bewundern die Gestalt Jesu Christi, wenn man aber von ihnen fordert, etwas von sich selbst zu verlieren, so ziehen sie sich zurück und haben Angst vor den Anforderungen des Glaubens. Es besteht die Furcht, auf etwas Schönes verzichten zu müssen, an dem wir hängen; die Furcht, dass uns die Nachfolge Christi der Freiheit, gewisser Erfahrungen, eines Teils unserer selbst beraube. (...) Wir müssen es verstehen anzuerkennen, dass der Verlust von etwas, mehr noch: dass der Verlust seiner selbst für den wahren Gott, den Gott der Liebe und des Lebens, in Wirklichkeit ein Gewinn ist, ein volleres Finden seiner selbst. Wer sich Jesus anvertraut, erfährt bereits in diesem Leben den Frieden und die Freude des Herzens, welche die Welt nicht geben und nicht einmal nehmen kann, da es Gott ist, der sie uns geschenkt hat.“6

Das Gegenteil der Großmut ist Angst, Furcht, der Wunsch, alles abzusichern, nichts zu riskieren. Es ist sehr einfach, sich von der Angst leiten zu lassen, aber wir ahnen auch, wohin dieser Weg führt. Der Geist befreit unsere Herzen, die im Angstgefühl gefangen sind. Er verwandelt unser Leben, aber er tut dies auf seine eigene Art und Weise. Papst Franziskus erklärt: „Die Verwandlung durch den Geist ist anders: Er revolutioniert nicht das Leben um uns herum, sondern verändert unser Herz; er befreit uns nicht mit einem Schlag von unseren Problemen, sondern er macht uns im Innern frei, damit wir sie in Angriff nehmen; er gibt uns nicht alles auf einmal, aber er lässt uns zuversichtlich weitergehen. (...) Wie macht er das? Indem er das Herz erneuert und dem sündigen Herzen Vergebung zuteilwerden lässt. Das ist die große Veränderung: Uns Schuldige macht er zu Gerechten, und so ändert sich alles, denn aus Sklaven der Sünde werden wir zu freien Menschen, aus Knechten zu Söhnen, aus Verworfenen zu geschätzten Freunden, aus Enttäuschten zu Hoffenden. Auf diese Weise lässt der Heilige Geist die Freude neu erstehen und im Herzen den Frieden erblühen.“7

Meine Seele preist die Größe des Herrn (Lk 1,46). Wir bitten unsere Mutter, dass wir wie sie die Größe des Herrn entdecken und uns vom Feuer des Geistes entzünden lassen, um so die ganze Erde in Brand zu stecken.


1 Franziskus, Predigt, 31.5.2020.

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 834.

3 Franziskus, Predigt, 20.5.2018.

4 Ordinarium der Messe.

5 Hl. Josefmaria, Notizen von einem Familientreffen, 25.6.1972.

6 Benedikt XVI., Predigt, 23.5.2010.

7 Papst Franziskus, Predigt, 20.5.2018.