Betrachtungstext: 4. Woche der Fastenzeit – Freitag

Christus wurde verfolgt – Das Beispiel der Märtyrer – Nähe zu den Leidenden

AN EINER bestimmten Stelle beschreibt das Buch der Weisheit die Denk- und Handlungsweise derer, die es „gottlos“ nennt. Vielleicht waren damit abtrünnige Juden gemeint, die unter dem Einfluss materialistischer und hedonistischer Denkströmungen den Glauben ihrer Väter aufgegeben haben. Der heilige Autor präsentiert sie als Menschen, die die Sinnlosigkeit des Daseins beklagen und es gerade deshalb mit einem grausamen Herzen anpacken: Sie lassen sich vom Recht des Stärkeren leiten, misshandeln die Schwachen und Wehrlosen und können, getrieben von ihren Leidenschaften, die Rechtschaffenheit des Gerechten nicht ertragen.

Lasst uns dem Gerechten auflauern!, so sagen sie, er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. (...) Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, und nennt sich einen Knecht des Herrn. Er ist unserer Gesinnung ein Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig; denn er führt ein Leben, das dem der andern nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden (Weish 2,12-15). Diese Beschreibung des „Gerechten“ passt auf die Propheten, welchen wir im Laufe der Heilsgeschichte begegnen: von Gott auserwählte Männer, die, ihrer Sendung treu, oft unter der Ablehnung und Verfolgung durch die Mächtigen litten, manchmal sogar bis zum Tod. Doch ist diese Beschreibung vor allem ein Porträt Jesu Christi.

Der Herr wurde vom allerersten Moment seiner Verkündigung an verfolgt, und zwar umso erbitterter, je mehr Wunder er tat und je mehr das Volk ihn verehrte. Man murrte gegen ihn, warf Schatten des Zweifels auf ihn und bemühte sich, ihm dialektische Fallen zu stellen. Und Jesu Reaktion verblüfft: „Er beklagt sich nicht, Er lehnt sich nicht auf, nicht einmal, als man ihm seine Kleider erbarmungslos vom Leibe reißt“, schreibt der heilige Josefmaria im Kreuzweg, „Erst jetzt wird mir klar, wie gedankenlos ich mich oft zu entschuldigen suche, und wieviel leere Worte ich mache. Ein fester Vorsatz: für den Herrn arbeiten und leiden – aber schweigend.1


DIE GESCHICHTE der Kirche ist von ihren ersten Anfängen an und durch die Jahrhunderte hindurch von Verfolgung gekennzeichnet. In der Kirche hat es viel Heldentum gegeben, meist unauffällig und im Verborgenen. Es gibt sehr viele Christen, die, den Worten des heiligen Paulus folgend, das Böse mit dem Guten besiegt haben (vgl. Röm 12,21). Und das ist auch heute noch der Fall, da viele unserer Brüder und Schwestern in nicht wenigen Ländern ihre beruflichen Chancen, ihr geordnetes Leben, ihre Freiheit und sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, um Jesus Christus treu zu sein. „Es gibt in diesem Augenblick viele Christen, die in verschiedenen Gebieten der Erde Verfolgungen erleiden“, wies Papst Franziskus auf die leidende Kirche hin, „und wir müssen hoffen und beten, dass ihre Not so bald wie möglich ein Ende finden möge. Es sind viele: Die heutigen Märtyrer sind zahlreicher als die Märtyrer der ersten Jahrhunderte.Bringen wir diesen Brüdern und Schwestern unsere Nähe zum Ausdruck: Wir sind ein Leib, und diese Christen sind die blutenden Glieder des Leibes Christi, der Kirche.2

Wir beten für die verfolgten Christen. Und gleichzeitig können wir so viel von ihnen lernen! Das Beispiel ihres Lebens, das von der Gnade beseelt ist, lehrt uns deutlich, was es bedeutet, der Liebe Gottes keine Grenzen zu setzen. An sie zu denken, hilft uns auch in unserem täglichen Leben, bei den kleinen und großen Dingen, durch die wir unsere Liebe zeigen wollen. Ihr Erbe ist ein Erbe der Treue zu Jesus Christus. Sie fanden Kraft in ihrer Schwachheit (vgl. Hebr 11,34), weil sie ihren Blick auf den gekreuzigten Christus gerichtet hielten, während sie sich, so Worte von Kardinal Nguyen Van Thuan, „in der Einsamkeit der Gefängnisse, in den letzten Stunden nach dem Todesurteil, in den langen Nächten des Wartens auf die drohende Mörderhand, in der Kälte des Konzentrationslagers, unter Schmerzen und in der völligen Erschöpfung durch sinnlose Märsche3 befanden. Es erfüllt uns mit Stolz, Miterben so vieler Heiliger zu sein. Und zugleich führt es uns dazu, um Demut zu bitten, damit der Heilige Geist auch uns mit seiner Kraft erfülle.


„JESUS wird bis zum Ende der Welt im Todeskampf liegen; während dieser Zeit darf man nicht schlafen.“4 Mit diesem Gedanken wies der christliche Denker Blaise Pascal darauf hin, dass Jesus, der für unser Heil gestorben und auferstanden ist, in jeder Frau und in jedem Mann, der leidet, der verfolgt wird, der verachtet oder zu Unrecht unverstanden bleibt, den Todeskampf weiter führt. Einem Christen kann das Leid dieser Menschen nicht gleichgültig sein. Einige von ihnen sind räumlich vielleicht weit von uns entfernt. Doch wahrscheinlich sind uns andere nahe. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40). Bitten wir den Herrn, diese seine Worte in uns lebendig zu halten; möge er uns ein weises und feinfühlendes Herz geben, das fähig ist, die Not und das Leid unserer Brüder und Schwestern wahrzunehmen, damit wir zu helfen bereit sind.

Diese Tage der Fastenzeit sind dazu geeignet, die Passion Christi zu betrachten: Jesus, verachtet, von den Soldaten gefoltert, von Pilatus gleichgültig angeblickt, von seinen Jüngern verlassen, ausgepeitscht, das Kreuz tragend und voller Sanftmut daran sterbend; doch „ist jede Gebärde, jedes Wort“, wie der heilige Josefmaria schreibt, „Ausdruck der Liebe, einer langmütigen, starken Liebe5. Auf Jesus zu blicken, wird uns nach und nach dazu führen, unseren Blick zu läutern, so dass wir das Leid so vieler Menschen wahrzunehmen wissen, vor allem das der Menschen um uns herum, und ein kreatives Mitleid entwickeln, das anderen Erleichterung verschafft.

Maria stand bei ihrem Sohn am Fuß des Kreuzes. Sie sah seine Sanftmut und Geduld. Sehr wahrscheinlich hat sie ihn jene unvergesslichen Worte sagen hören: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! (Lk 23,34) Wir wenden uns an sie, damit sie allen Christen hilft, das Böse mit dem Guten zu besiegen: Einige werden dazu gerufen sein, dies unter schmerzhaften und schwierigen Umständen zu tun, andere unter eher gewöhnlichen Umständen. Mögen wir alle mit dem Blick auf Jesus am Kreuz lernen, unsere Mitmenschen mit Barmherzigkeit und Verständnis zu lieben.


1 Hl. Josefmaria, Der Kreuzweg, X. Station, Nr. 1.

2 Franziskus, Audienz, 29.4.2020.

3 Franz-Xaver Nguyen van Thuan, Hoffnung, die uns trägt.

4 Blaise Pascal, Gedanken, Nr. 553, zit. nach Benedikt XVI., Audienz, 8.4.2009.

5 Hl. Josefmaria, Der Kreuzweg, XI. Station.