Betrachtungstext: 32. Woche im Jahreskreis – Montag

Kohärenz mit dem Evangelium – Die Vorliebe für die Kinder – Vergeben ohne Barrieren

VIELE KLASSISCHE Denker erkennen an, dass der Irrtum für den Menschen auf dieser Erde unvermeidlich ist. In seinem Brief an die Römer hinterließ uns der heilige Paulus schriftlich, was seine persönliche Erfahrung war: Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich (Röm 7,19). Damit bestätigte Paulus eine alte Weisheit des Volkes Israel: Siebenmal fällt der Gerechte und steht wieder auf (Spr 24,16). Neben der Erfahrung der Sünde haben wir die Gewissheit, dass Jesus uns vergibt. Als Petrus den Meister fragte, wie oft er vergeben müsse, antwortete der Herr: Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal (Mt 18,22). Allerdings kann diese Haltung der Barmherzigkeit in Widerspruch zu dem gesehen werden, was Jesus bei einer anderen Gelegenheit ausspricht: Es ist unvermeidlich, dass Ärgernisse kommen. Aber wehe dem, durch den sie kommen! (Lk 17,1).

In der Sprache des Evangeliums ist einer, der Ärgernisse verursacht, jemand, der die anderen durch seine Sünde vom Guten abbringt und zum Bösen hinwendet. Darauf weist der Herr mehrmals hin, wenn er von einigen Pharisäern spricht: Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach ihren Taten; denn sie reden nur, tun es aber nicht (Mt 23,3). Sie waren dazu berufen, das Gesetz des Mose zu verkörpern, doch ihre Lebensweise stand im Gegensatz zu dem, was sie predigten. Eine solche Inkohärenz ist, wie Papst Franziskus sagte, „eine der leichtesten Waffen, die dem Teufel zur Verfügung stehen, um das Volk Gottes zu schwächen und vom Herrn zu entfernen. Eines sagen und etwas anderes tun. Das ist die Inkohärenz, die zum Ärgernis wird.“ Und er empfiehlt uns, „uns heute zu fragen, ein jeder von uns: Wie steht es um meine Kohärenz im Leben? Gibt es in meinem Leben Kohärenz mit dem Evangelium, Kohärenz mit dem Herrn?“1

Wenn Jesus öffentlich die Schwere der Sünde des Ärgernisses anprangert, so lobt er umgekehrt auch öffentlich die Einheit des Lebens: Sieh, ein echter Israelit, an dem kein Falsch ist (Joh 1,47). Das demütige Zeugnis jener, die sich von Gott lieben lassen, ist ein Licht, das neuen Glanz in unsere Welt zu bringen vermag und es anderen erleichtert, sein Antlitz zu entdecken.


ES WÄRE BESSER für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er für einen von diesen Kleinen zum Ärgernis wird (Lk 17,2). Diese harte Aussage Jesu verdeutlicht den ernsthaften Schaden, der jenen zugefügt werden kann, die sich aufgrund ihres geringen Alters oder einer anderen Schwäche nicht selbst helfen können. Im Evangelium beweist Jesus bei vielen Gelegenheiten seine Vorliebe für die Kleinen.

Bis heute zeigt Gott den Kindern diese Zuneigung durch ihre Eltern und andere Menschen, die sich ihrer annehmen. Papst Franziskus betonte bei einer Audienz: „Sobald die Kinder geboren sind, empfangen sie, neben Nahrung und Fürsorge, die Bestätigung der geistigen Qualitäten der Liebe. Die Gesten der Liebe erfolgen durch das Geschenk des persönlichen Namens, die Mitteilung der Sprache, die Verständigung mit Blicken, das Erstrahlen des Lächelns. So lernen sie, dass die Schönheit des Bandes zwischen den Menschen unsere Seele anspricht, unsere Freiheit sucht, die Andersheit des Anderen annimmt, ihn als Gesprächspartner anerkennt und achtet. (...) Und das ist Liebe, die einen Funken der Liebe Gottes mitbringt!“2

Diese Liebe Gottes zu den Schwächsten kann nur mit der Einfachheit eines Menschen angenommen werden, der sich selbst als Kind begreift. Der heilige Josefmaria sagte, dass „alles Gewundene und Komplizierte, dieses Kreisen und Immer-wieder-Kreisen um das eigene Ich eine Mauer errichtet, die häufig verhindert, dass einer die Stimme des Herrn hört“3: Es ist die Mauer der Selbstgenügsamkeit. Die Einfachheit hingegen lässt uns die Liebe erfahren. Wir bitten Gott um diese geistliche Kindschaft, um uns von Jesus als seine geliebten Kinder angeschaut zu wissen; wir beten auch für die schwächsten Menschen, die niemanden haben, der sie in ihrer Situation der Verletzbarkeit beschützt.


WENN DEIN BRUDER sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er umkehrt, vergib ihm! Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will umkehren!, so sollst du ihm vergeben (Lk 17,3). Jesus offenbart sein Herz der Liebe, des Erbarmens und möchte zu unserem eigenen Glück, dass auch wir nach diesem Prinzip leben. Wir wissen jedoch aus Erfahrung, dass es nicht immer einfach ist, zu vergeben. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Apostel nach der Rede Jesu über die Notwendigkeit des Vergebens und die Vermeidung von Ärgernissen zu ihm sagten: Stärke unseren Glauben (Lk 17,5). Manchmal erfordert es Glauben und Vertrauen in Gott, um akzeptieren zu können, dass wir einander immer vergeben müssen.

Papst Benedikt betont, dass „Vergebung keine Verleugnung der Vergehen ist, sondern eine Teilhabe an der heilenden und verwandelnden Liebe Gottes, die versöhnt und wiederherstellt“4. Das bedeutet, dass wir, wenn wir vergeben, die Haltung des Herrn nachahmen und gemeinsam mit ihm an unserer eigenen Rettung und der des anderen arbeiten. Das Bewusstsein, dass Jesus immer vergibt, sollte uns dazu bewegen, ohne Groll zu leben und keine Barrieren zu errichten, um jemandem unsere Vergebung zu gewähren. Der heilige Johannes Chrysostomus warnt: „Gott verabscheut niemanden und weist sowohl den zurück, der eine Beleidigung nachträgt, als auch den, der hartherzig ist und im Zorn verharrt.“5

Wenn wir Gottes Vergebung erfahren, gewinnen wir Einsicht in die Güte und Schönheit der göttlichen Liebe. Diese Erkenntnis erweitert unseren Verstand, befreit uns von Einbildung und ermöglicht es uns, die Welt mit den Augen des Herrn zu sehen. Wir bitten Maria, das Vorbild des Glaubens, uns zu helfen, diese Perspektive auf uns selbst und unsere Brüder und Schwestern zu gewinnen.


1 Franziskus, Tagesmeditation, 13.11.2017.

2 Franziskus, Audienz, 14.10.2015.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 90.

4 Benedikt XVI., Botschaft, 27.4.2012.

5 Hl. Johannes Chrysostomus, Über den Verrat des Judas, 2.

Foto: Caleb Woods (unsplash)