Betrachtungstext: 31. Woche im Jahreskreis - Donnerstag

Das Geheimnis, dass Gott Barmherzigkeit ist. - Gott ist glücklich, uns zu vergeben. - Die Vergebung, die wir in der Beichte finden.

“Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, läßt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?” (Lk 15,4). Wenn wir diese Worte heute hören, können wir Gott gegenüber dankbar sein für die Erinnerung an so viele Male, in denen wir Gottes Beständigkeit gespürt haben, uns zu suchen, als wir verloren waren. “Ich sage euch”, fährt Jesus fort, “ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren”. Wir wollen diese “größere Freude im Himmel” verstehen, von der Christus spricht. Welche Geheimnisse enthält sie? Warum freut sich Gott so sehr über einen Sünder, der Buße tut? Sind ihm unsere guten Taten oder unser Bemühen, seine Gebote zu halten, nicht wichtiger?

Der heilige Josefmaria versuchte, sich in diese Szenen hineinzuversetzen und sie auszukosten: “Habt ihr nicht auch gehört, wie [Jesus] von Schafen und Herden sprach, und mit welcher Zärtlichkeit er die Gestalt des Guten Hirten zu beschreiben liebte!”1 Er selbst hatte ähnliche Szenen auf dem Lande erlebt: “Wenn sich eines von ihnen ein Bein gebrochen hatte, wenn eines von ihnen sich am Fuß verletzt hat, ging man nach bewährter Methode vor: Sie nahmen es auf die Schultern. Ich habe auch gesehen, wie der Hirte – raue Hirten, die keine Fähigkeit zur Zärtlichkeit zu haben scheinen – ein neugeborenes Lamm liebevoll in seinen Armen trägt”.2

Diese “himmlische Freude”, ein verlorenes Schaf zu finden, offenbart uns das wahre Gesicht Gottes, des Vaters, der “alles vergibt und immer vergibt. Als Jesus seinen Jüngern vom Antlitz Gottes erzählt, beschreibt er es mit Worten voll zärtlicher Barmherzigkeit. Er sagt, dass im Himmel mehr Freude herrscht über einen reuigen Sünder als über eine Menge an Gerechten, die keine Umkehr nötig haben (vgl. Lk 15,7.10). Nichts in den Evangelien legt den Verdacht nahe, dass Gott nicht die Sünden derer vergibt, die dazu bereit sind und darum bitten, wieder umarmt zu werden”3. Vielleicht besteht die Herausforderung darin, zu erkennen, dass wir es sind, die Gottes Barmherzigkeit als erste brauchen; dass wir es sind, die, indem wir uns immer wieder dem Hirten zuwenden, den ganzen Himmel froh machen können.


“FREUT EUCH mit mir; ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war” (Lk 15,6). Die Freude Gottes ist ansteckend. Er versammelt alle um sich und bittet sie, seine Freude zu teilen. Es ist uns nicht möglich, uns den Grad des Glücks vorzustellen, den Gott erlebt, aber wir können uns diesem Geheimnis zumindest mit dem Wunsch nähern, tiefer in es einzudringen. Warum ist Gott so glücklich, wenn er uns vergibt? Ein Grund dafür ist, dass beim Verzeihen das Wunder der Liebe Gottes nicht aufgehoben wird. In der Tat bedeutet das Wort “vergeben” eigentlich vollständig zu geben, eine vollkommene Gabe zu bringen. “Was habe ich dir angetan, Jesus, dass du mich so liebst?”, fragte sich der heilige Josefmaria. “Dich zu beleidigen... und dich zu lieben. Dich zu lieben: Das ist es, worauf mein Leben hinauslaufen wird”.4

Andererseits drückt man, wenn man um Vergebung bittet, viele Dinge, wenn auch nur implizit, gegenüber der beleidigten Person aus. Die Botschaften, die in der Regel übermittelt werden, lauten zum Beispiel: “Ich wünschte, ich hätte es nicht getan” oder “Ich würde gerne die Zuneigung, die wir füreinander hatten, wiederherstellen”. Ein Sohn, der um Vergebung bittet, ist ein Sohn, der seinen Vater gerne hat, ihm vertraut und ihn liebt. Es schmerzt ihn, ihn leiden lassen zu haben. Indem wir um Vergebung bitten, wollen wir der Situation ein Ende setzen, die zur Sünde führt, nämlich der Ablehnung der Liebe Gottes zu uns. Die Freude, die wir empfinden, wenn uns vergeben wird, ist nur ein blasses Abbild der Freude, die Gott empfindet, wenn er uns ins Leben zurückholt.

“Der Beter des Psalms 27, von Feinden umringt, (…) kann daher, während er den Beistand des Herrn sucht und ihn anruft, voll Glauben Zeugnis geben und sagen: »Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf« (V. 10). Gott ist ein Vater, der seine Kinder nie verläßt, ein liebevoller Vater, der stützt, hilft, annimmt, vergibt, erlöst, mit einer Treue, die die menschliche Treue unendlich übersteigt, um sich zu Dimensionen der Ewigkeit hin zu öffnen”.5 Und das ist noch nicht alles. Außerdem sagt er uns, dass es seine große Freude ist, uns zu vergeben.


IN DER BEICHTE können wir dieses Geheimnis der göttlichen Freude und des Glücks vertiefen. “Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich liebhabe”. (Joh 21,17). Mit diesem oder einem ähnlichen Satz sagen wir Jesus, dass wir ihn tief in unserem Inneren lieben, auch wenn unsere Taten dies manchmal ein wenig verbergen. Wir werden zwar unsere Sünden bekennen, aber vor allem bekennen wir seine Güte, seine Liebe und sein Erbarmen. Wir haben nichts verdient, und doch wagen wir es, um Vergebung zu bitten. Auch wenn wir uns daran gewöhnt haben, so entziehen wir uns in Wirklichkeit durch das Bekenntnis unserer Sünden der menschlichen Logik und werden ganz in das Göttliche hineingebracht. Wir geben das Urteil, das wir instinktiv über unser Leben fällen, auf und überlassen Gott das letzte Wort.

Und der Richterspruch ist unverblümt: “Ich erkläre dich für unschuldig”. Dabei sehen wir, wie Christus unsere Fehler, unsere Sünden und die Verantwortung, die wir tragen, auf sich nimmt. Er trägt unsere Sünden, um uns von ihnen zu befreien: “Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt” (Jes 53,5). “Die Vergebung ist nicht Frucht unseres Mühens, sondern sie ist ein Geschenk, sie ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, der uns in die Barmherzigkeit und Gnade eintaucht, die unablässig vom geöffneten Herzen des gekreuzigten und auferstandenen Christus ausströmt”6. Und als ob das nicht genug wäre, sagt er uns, dass es ihn mit Freude erfüllt. Wo hat man so etwas schon gesehen?

Die Weitergabe dieses Geschenks an andere, wenn es angebracht ist, ist ein Zeichen dafür, dass wir es schätzen und aufrichtig dankbar dafür sind. Wir können die Jungfrau Maria bitten, Apostel der Beichte zu sein, um unseren Freunden die Umarmung der göttlichen Vergebung näher zu bringen.


1 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen von einem Beisammensein, 13.3.1955.

2 Hl. Josefmaria, Briefe 27, Nr. 22.

3 Papst Franziskus, Generalaudienz, 24.4.2019.

4 Hl. Josefmaria, Persönliche Aufzeichnungen, 5, 358-359, 29-X-1931.

5 Benedikt XVI., Generalaudienz, 30.1.2013.

6 Papst Franziskus, Generalaudienz, 19.2.2014.