Betrachtungstext: 3. Woche im Jahreskreis – Samstag

Müdigkeit Jesu, des vollkommenen Menschen – Uns Christus überlassen, um einen guten Hafen zu erreichen – Jesus auch in den Schwierigkeiten sehen

DER SEE GENNESARET ist mit einer Oberfläche von 165 Quadratkilometern und einer Tiefe von bis zu 43 Metern ein kleinerer, dennoch aber sehr fischreicher See. Von Bergen umgeben liegt er in der Senke des Jordantals, mit einer Lage von 212 Metern unter dem Meeresspiegel ist er der tiefstgelegene Süßwassersee der Welt. Über seine Gewässer toben bis heute mitunter heftige Stürme und können so hohe Wellen aufpeitschen, dass ein kleines Boot kentern kann.

Ein solcher Sturm zog über den See, als Jesus und seine Jünger ihn gerade überquerten. Es war Abend. Ein intensiver Tag mit Predigten vor vielen Menschen war zu Ende gegangen. Die Menschenmenge war so groß gewesen, dass der Herr in ein Boot steigen und sich ein wenig vom Ufer entfernen musste, damit sie ihn sehen und hören konnten. In demselben Boot überquerten sie danach den See, Jesus war erschöpft: Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief (Mk 4,38). Dies ist das einzige Mal, dass die Evangelien ihn schlafend zeigen. Der heilige Josefmaria merkte an: „Jede einzelne dieser menschlichen Gesten ist eine Geste Gottes. In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit wesenhaft (Kol 2,9). Christus ist Gott, der Mensch wurde, vollkommener Mensch, Mensch durch und durch. Und im Menschlichen lässt Er uns das Göttliche erkennen.1 Es ist bewegend, ihn so zu sehen: kraftlos, nach einem Arbeitstag, an dem er sich völlig verausgabt hat, so dass er keine Energie mehr hat und einen tiefen Schlaf braucht, um sie wiederzuerlangen.

Papst Benedikt VI. weist darauf hin, dass „die Müdigkeit Jesu, Zeichen seiner wahren Menschheit, als Ankündigung der Passion gesehen werden“ kann, „durch die er das Werk unserer Erlösung zur Vollendung gebracht hat2. Er zeigt sich uns als vollkommener Mensch, der uns in allem gleich ist, außer in der Sünde. Und wir verstehen leichter, dass wir mit seiner Gnade sein Leben verkörpern können, obwohl es uns manchmal schwer fällt, obwohl wir müde werden, obwohl wir die Last der täglichen Arbeit spüren, die wir aus Liebe tun.


DER STURM bricht los. Der Seegang wird rau. Das Knarren des Bootsholzes ist deutlich zu hören. Die Jünger, erfahrene Fischer, sind angespannt. Ihre Erfahrung sagt ihnen, dass der Sturm gefährlich ist. Sie wundern sich, dass Jesus in dieser kritischen Situation noch schläft. Sie wecken ihn mit einem Satz, der unter dem Anschein des Vorwurfs dennoch voller Vertrauen ist: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? (Mk 4,38). Der Herr stand auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? (Mk 4,39-40).

Die Jünger staunen und fürchten sich erneut, diesmal aber ist es eine andere Furcht: Die Macht der See weicht der Macht des Geheimnisses Christi, des wahren Gottes und des wahren Menschen. Papst Benedikt kommentierte einmal: „Die feierliche Geste der Stillung des Seesturmes ist eindeutig ein Zeichen der Herrschaft Christi über die negativen Mächte und lässt an seine Göttlichkeit denken: Was ist das für ein Mensch, so fragen sich die Jünger erstaunt und verängstigt, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen? (Mk 4,41). Ihr Glaube ist noch nicht fest, er ist noch im Entstehen begriffen; es handelt sich um eine Mischung aus Furcht und Vertrauen; die vertrauensvolle Hingabe Jesu an den Vater ist hingegen vollkommen und rein. Daher, wegen dieser Macht der Liebe, kann er während des Sturmes schlafen, vollkommen sicher in Gottes Umarmung.3

Auch unser Glaube ist noch im Entstehen begriffen, er wächst beständig. Wir sind oft erschrocken, ängstlich, unsicher angesichts kleinerer oder größerer Stürme: Versuchungen, Rückschläge, Enttäuschungen von uns selbst, Misserfolge ... Es ist der Moment gekommen, Jesus anzurufen, damit er uns hilft, diesen Situationen mit Frieden und Hingabe zu begegnen. Wie der heilige Augustinus riet: „Lasst euch angesichts der Verwirrungen eures Herzens nicht von den Wellen mitreißen. Auch wenn wir Menschen sind, sollten wir nicht verzagen, wenn der Wind die Neigungen unserer Seele hinwegfegt. Wachen wir zu Christus auf: Unsere Reise wird ruhig sein und wir werden im richtigen Hafen ankommen.4


AUF DEM menschenleeren Petersplatz, im Regen, vor einem Kruzifix und einem Bild der Jungfrau Maria stehend, leitete Papst Franziskus im März 2020 eine Gebetswache in einem für die gesamte Menschheit schwierigen Moment, inmitten einer Pandemie. Er hatte entschieden, genau den Abschnitt des Evangeliums zu kommentieren, den wir gerade betrachten. Seine Worte können uns helfen, auch andere schwierige Momente in unserem Leben zu meistern.

„Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Herr, du appellierst an uns, du appellierst an den Glauben. Nicht nur an den Glauben, dass es dich gibt, sondern an den Glauben, der uns vertrauensvoll zu dir kommen lässt (...). Du rufst uns auf, diese Zeit der Prüfung als eine Zeit der Entscheidung zu nutzen. Es ist nicht die Zeit deines Urteils, sondern unseres Urteils: die Zeit zu entscheiden, was wirklich zählt und was vergänglich ist, die Zeit, das Notwendige von dem zu unterscheiden, was nicht notwendig ist. Es ist die Zeit, den Kurs des Lebens wieder neu auf dich, Herr, und auf die Mitmenschen auszurichten. Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Der Anfang des Glaubens ist das Wissen, dass wir erlösungsbedürftig sind. Wir sind nicht selbstgenügsam, allein gehen wir unter. Wir brauchen den Herrn so wie die alten Seefahrer die Sterne. Laden wir Jesus in die Boote unseres Lebens ein. Übergeben wir ihm unsere Ängste, damit er sie überwinde. Wie die Jünger werden wir erleben, dass wir mit ihm an Bord keinen Schiffbruch erleiden. Denn das ist Gottes Stärke: alles, was uns widerfährt, zum Guten zu wenden, auch die schlechten Dinge. Er bringt Ruhe in unsere Stürme, denn mit Gott geht das Leben nie zugrunde“,5 so stärkte Papst Franziskus die Gläubigen.

Und in einem kurzen Gedanken ermutigt uns der heilige Josefmaria: „Wenn auf eine so menschliche, gewöhnliche Art das Leiden hereinbricht – mit Schwierigkeiten und Sorgen in der Familie oder den tausend Kleinigkeiten des Alltags –, fällt es dir schwer, hinter all dem Christus zu sehen. – Halte deine Hände fügsam hin für diese Nägel ... Und dein Schmerz wird sich in Freude verwandeln.“6 Auf die Fürsprache der heiligen Maria, „Stern des Meeres“, bitten wir Jesus, unseren Glauben zu stärken, uns von unseren Ängsten zu befreien und uns mit Hoffnung zu erfüllen.


1 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 109.

2 Benedikt XVI., Angelus, 27.3.2011.

3 Benedikt XVI., Predigt, 21.6.2009.

4 Hl. Augustinus, Predigt 63, 3.

5 Papst Franziskus, Besondere Andacht in der Zeit der Epidemie unter Vorsitz des Heiligen Vaters, 27.3.2020.

6 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 234.