Betrachtungstext: 26. Juni – Hl. Josefmaria

Berufung zur Heiligkeit im gewöhnlichen Leben – Kontemplativ inmitten der Welt – Apostolat der Freundschaft

WIEDER IST EIN JAHR vergangen, und wir gedenken erneut des Heimgangs des heiligen Josefmaria an jenem denkwürdigen 26. Juni 1975. Wir freuen uns, ihn selig in unserer endgültigen Heimat, dem Himmel, zu wissen, Gott preisend im Kreis aller Heiligen der Kirche und all jener, denen seine Predigt und die Gründung geholfen haben, Gott näher zu kommen. Öfters bezeichnete er genau dies als seinen großen Wunsch: von irgendeinem verborgenen Winkel des Himmels aus all jene zu sehen, für die er nach dem göttlichen Willen im Opus Dei Vater gewesen ist und die sich der Wärme dieser geistlichen Familie genähert haben. Bei der Seligsprechung des heiligen Josefmaria im Jahr 1992 in Rom unterstrich der heilige Johannes Paul II.: „Die Aktualität und Transzendenz seiner geistlichen Botschaft, die so tief im Evangelium verwurzelt ist, sind offensichtlich.“1 Die geistliche Botschaft des heiligen Josefmaria ist zweifellos facettenreich, doch es gibt ein von Gott empfangenes Licht, das allen anderen die Richtung weist: an den allgemeinen Ruf zu Heiligkeit und Apostolat inmitten der Welt zu erinnern; daran zu erinnern, dass wir alle gerufen sind, inmitten all unseres Tuns Gott nahe und glücklich zu sein.

So erklärte der heilige Josefmaria eine Leitlinie seines Lebens und seiner Lehre: „Es gibt nur ein einziges Leben aus Fleisch und Geist, und dieses muss an Leib und Seele geheiligt und von Gott erfüllt werden, von jenem unsichtbaren Gott, dem wir in den sichtbarsten und materiellsten Dingen dieser Welt begegnen. Es gibt keinen anderen Weg: Entweder lernen wir, den Herrn in unserem alltäglichen Leben zu entdecken oder wir werden ihn niemals finden.2 Möglicherweise ist unser Tag voll von Problemen, die zu lösen sind, haben wir eine anstrengende Arbeit, die uns fordert, oder stecken in einer Routine, die uns monoton zu erscheinen beginnt. Vielleicht erleben wir auch gerade Schwierigkeiten in einer Beziehung. In solchen Momenten können wir versucht sein zu denken, dass das Beste wäre, das alles schnell hinter uns zu bringen, damit wir dann, in einem separaten Moment, unsere Beziehung mit Gott genießen können. Hier können uns einige Worte des heiligen Paulus weiterhelfen: Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes (Röm 8,14). Die Botschaft des heiligen Josefmaria lädt uns ein, uns eben gerade eingetaucht in die alltäglichen Dinge vom Geist Gottes leiten zu lassen. Gott vergisst uns nicht in all diesen Lebenslagen, im Gegenteil: Hier erwartet er uns mit seiner väterlichen Liebe, um Seite an Seite mit uns alles zu tun. Anschaulich erklärte dies der heilige Josefmaria: „Wie König Midas, der alles, was er berührte, in Gold verwandelte, so könnt ihr alles Menschliche vergöttlichen.“3

Man versteht die Vorliebe, die der heilige Josefmaria für das verborgene Leben Christi oder das der ersten Christen hegte. Im ersten Fall ist es Gott selbst, der ein normales Leben führt, das in so vielerlei Hinsicht dem unseren gleicht, mit seiner Mühsal und den täglichen Freuden. Im zweiten Fall sind es gewöhnliche Leute aus allen Berufen und Schichten, die ohne äußerlich erkennbare Veränderung das Licht Gottes in ihr Leben eintreten ließen, um damit zugleich auch ihre Mitmenschen zu erleuchten. Und das alles aus der Kraft der Taufe, die wir Christen empfangen haben. Papst Franziskus sagte in diesem Sinne: „Lass zu, dass die Taufgnade in dir Frucht bringt auf einem Weg der Heiligkeit. Lass zu, dass alles für Gott offen ist, und dazu entscheide dich für ihn, erwähle Gott ein ums andere Mal neu. Verlier nicht den Mut, denn du besitzt die Kraft des Heiligen Geistes, um dies möglich zu machen. Im Grunde ist die Heiligkeit die Frucht des Heiligen Geistes in deinem Leben (vgl. Gal 5,22-23).“4


„WIE MERKWÜRDIG ist die Fähigkeit des Menschen, die herrlichsten Dinge zu vergessen und sich an das Geheimnis zu gewöhnen (...)“, kommentierte staunend der heilige Josefmaria. „Auch wenn er wie seine Kollegen in seine Arbeit vertieft, mit Aufgaben überhäuft und angespannt ist, muss der Christ zugleich doch ganz in Gott versunken sein, weil er Sohn Gottes ist. Die Gotteskindschaft ist eine beglückende Wahrheit, ein tröstliches Geheimnis. Sie erfüllt unser ganzes inneres Leben. Denn sie lehrt uns, mit unserem himmlischen Vater lebendigen Umgang zu haben, ihn kennenzulernen, ihn zu lieben. Sie erfüllt unseren inneren Kampf mit Hoffnung und verleiht uns die vertrauensvolle Einfachheit kleiner Kinder. Mehr noch: Gerade weil wir Kinder Gottes sind, schauen wir mit Liebe und Bewunderung auf alles, was aus der Hand des göttlichen Vaters und Schöpfers kommt. Auf diese Weise leben wir kontemplativ inmitten der Welt und lieben diese Welt.“5

Der heilige Johannes Paul II. unterstrich bei der Seligsprechung des heiligen Josefmaria, dass „der Gläubige, kraft der Taufe, die ihn in Christus eingliedert, zu einer innigen und ununterbrochenen lebendigen Beziehung mit Gott berufen ist“6. Der Gründer des Opus Dei war fest davon überzeugt, dass Heiligkeit inmitten der irdischen Wirklichkeiten nur möglich ist, wenn sie auf den starken Felsen des Gebetslebens eines Sohnes Gottes gegründet. Ein solches Gespräch passt sich allen Gegebenheiten an, atmet den Geist der Freiheit und wird von einem Vertrauen getragen, das aus dem Wissen resultiert, stets verstanden zu werden. Das Gebetsleben, zu dem uns der heilige Josefmaria ermutigt, ist von einer solchen Tiefe, dass er es – selbst wenn wir uns mitten in der Welt wissen – ohne zu zögern mit den erhabensten Gipfeln der Spiritualität vergleicht, die von Mystikern je erreicht worden sind.

Das Gebet, jene „ununterbrochene lebendige“ Beziehung, „ist das Fundament des geistlichen Lebens“7. „Lasst uns also ein Gebet von Söhnen halten, das keine Unterbrechung kennt“, sagte er einmal. „Oro coram te, hodie, nocte et die (Neh 1,6): Ich bete jetzt, bei Tag und bei Nacht zu dir. Habt ihr mich nicht oft sagen gehört, dass wir beschaulich sind, bei Tag und bei Nacht und sogar im Schlaf, dass also auch der Schlaf Teil unseres Gebets ist? Der Herr sagte das: Oportet semper orare, et non deficere (Lk 18,1); Wir sollen allezeit beten und darin nicht nachlassen. Wir müssen das Bedürfnis spüren, uns an Gott zu wenden, nach jedem Erfolg und Misserfolg in unserem inneren Leben (…). Auch wenn wir durch die Straßen und über die Plätze gehen, sollen wir ständig im Gebet sein. Das ist der Geist des Werkes.“8


AM 6. OKTOBER 2002 wurde der selige Josefmaria auf dem Petersplatz in Rom heiliggesprochen. In seiner Predigt hob der heilige Papst Johannes Paul II. hervor: „Die Welt zu Gott erheben und sie von innen her umgestalten: Das ist das Ideal, das der heilige Gründer euch vorgibt, liebe Brüder und Schwestern, die ihr euch heute über seine Erhebung zur Ehre der Altäre freut. (…). Folgt seinen Spuren und verbreitet in der Gesellschaft das Bewusstsein, dass wir alle zur Heiligkeit berufen sind, ohne Rücksicht auf Hautfarbe, Gesellschaftsschicht, Kultur oder Alter. Bemüht euch selbst als erste darum, heilig zu werden, indem ihr nach dem Stil des Evangeliums die Demut und die Dienstbereitschaft pflegt, das Vertrauen in die Vorsehung und das ständige Hören auf die Stimme des Geistes.9

Der heilige Josefmaria bezeichnete das Opus Dei oftmals als „intravenöse Injektion in den Kreislauf der Gesellschaft“10. Er meinte damit, dass die Gläubigen des Opus Dei und auch jene, die an seinem Bildungsangebot teilnehmen, sich der Welt nicht nähern, als ob sie etwas Fremdes, von ihnen gewissermaßen Verschiedenes oder Nicht-Zugehöriges wäre, sondern dass jene, die vom Geist des Werkes belebt werden, selbst von der Welt sind. Das erinnert uns vielleicht an das Bild vom Mehl und Sauerteig (vgl. Mt 13,33): Jesus selbst erklärte, dass die Christen wie alle anderen sind, gewöhnliche Menschen, äußerlich schwer zu unterscheiden, dass sie aber nur so alles von innen her durchsäuern. Und dafür gibt es auch keine besonderen Strategien: Wo immer ein Christ, an der Hand Gottes, den Wunsch hat, für seine Mitmenschen ein guter Freund zu sein, findet unvermeidlich Evangelisierung statt, denn er wird selbstverständlich mit allen teilen wollen, was sein Herz erfreut. Das ist es, was der heilige Josefmaria „Apostolat der Freundschaft und des Vertrauens“11 nannte.

Msgr. Fernando Ocáriz sagte einmal anlässlich des heutigen Gedenktags: „In der ersten Lesung heißt es, dass Gott den Menschen in den Garten setzte, damit er ihn bearbeite und hüte (Gen 2,15). Und im Psalm, den wir hören – und den der heilige Josefmaria jede Woche betete –, erfahren wir, dass wir durch Christus alle Völker zum Erbe bekommen und die ganze Erde unser Eigentum ist (vgl. Ps 2,8). Die Heilige Schrift sagt uns das ganz klar: Diese Welt gehört uns, ist unsere Heimat, ist unsere Aufgabe, unser Vaterland. Durch das Wissen, dass wir Kinder Gottes sind, werden wir uns in unserem eigenen Zuhause niemals fremd fühlen; wir werden nicht wie auswärtige Besucher durch dieses Leben gehen und auf unseren Straßen ängstlich auftreten, als befänden wir uns auf unbekanntem Terrain. Die Welt gehört uns, denn sie gehört unserem göttlichen Vater.“12

Der heilige Josefmaria sagte, dass wenn jemand ihn nachahmen möchte, er es in Bezug auf seine Liebe zur heiligen Maria tun solle. Bitten wir unsere Mutter um ihren Beistand, damit wir ein beschauliches Leben inmitten der Welt leben und so mit vielen Menschen die Freude teilen, Gott nahe zu sein.


1 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 17.5.1992.

2 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 114.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 221.

4 Franziskus, Gaudete et exsultate, Nr. 15.

5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 65.

6 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 17.5.1992.

7 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 83.

8 Hl. Josefmaria, Notizen von einer Predigt, 24.12.1967.

9 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 6.10.2002.

10 Vgl. Hl. Josefmaria, Persönliche Aufzeichnungen, Nr. 47, Juni 1930.

11 Hl. Josefmaria, Brief 37, Nr. 10.

12 Msgr. Fernando Ocáriz, Predigt, 26.6.2019.