IN EINEM dieser vertrauten Momente, während Jesus mit seinen Jüngern von Dorf zu Dorf wanderte, stellte er ihnen eine Frage: Für wen halten mich die Menschen? (Mk 8,27). Die Jünger hatten sich darüber vermutlich schon Gedanken gemacht und antworteten schnell: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. (Mk 8,28). Doch Jesus ging es um mehr als um die Meinung der Menge. Er wollte auf eine tiefere Frage hinaus: Was glaubten die Jünger selbst? Hielten sie ihn nur für einen weiteren Propheten? Wie sehr ließen sie sich von den Ansichten anderer beeinflussen? Und so fragte er sie direkt: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Daraufhin preschte Petrus vor und antwortete ohne zu zögern: Du bist der Christus! (Mk 8,29). Jesus ist nicht nur ein Prophet: Er ist Gott selbst, der Mensch geworden ist, um uns von der Sünde zu befreien.
Auch wir sind Jünger des Herrn. Vielleicht sind wir mit ihm seit vielen Jahren im innigen Gebet und in den Sakramente verbunden. In solchen Momenten kann Jesus uns eine ähnliche Frage stellen. Wer bin ich für dich? Papst Franziskus vertieft diese Frage im Namen des Herrn: „Wer bin ich für dich, der du den Glauben angenommen hast, aber dich immer noch fürchtest, auf mein Wort hin hinauszufahren? Wer bin ich für dich, der du schon so lange Christ bist, aber, von der Gewohnheit ermattet, deine erste Liebe verloren hast? Wer bin ich für dich, wenn du eine schwierige Zeit durchmachst und aufgerüttelt werden musst, um neu zu beginnen?“1
Jesus will die Liebe unseres Lebens sein. Er ist nicht nur ein weiterer Gesandter noch eine Liebe unter anderen. Er ist derjenige, der allen unseren Handlungen und Gedanken einen Sinn verleiht. So konnte Papst Benedikt sagen: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Leben ohne Christus unvollständig ist, dass etwas fehlt, dass die grundlegende Wirklichkeit fehlt.“2 Wenn wir ihm die Türen unserer Seele öffnen, entdecken wir eine Freude, die die Welt nicht geben kann. Der heilige Josefmaria schrieb: „Gestern gehörtest du vielleicht noch zu denen, die verbittert ihre Hoffnungen begraben hatten, die in ihren menschlichen Erwartungen enttäuscht waren. Doch heute, nachdem er in dein Leben getreten ist – Dank sei dir, mein Gott! –, lachst du, singst und strahlst vor Liebe und Glück, wohin du auch gehst.“3
WIE DIE JÜNGER vergleichen auch wir unsere persönliche Erfahrung mit Jesus oft mit den Ansichten der Menschen um uns herum. Vielleicht sehen diejenigen, die Jesus nicht kennen oder sich von ihm entfernt haben, ihn nur als eine außergewöhnliche historische Figur. Doch Papst Franziskus warnt: „Wäre er nur eine historische Gestalt, wäre es unmöglich, ihm heute nachzufolgen: Wir stünden vor einer großen zeitlichen Kluft und vor allem vor einem Vorbild, das sich wie ein sehr hoher und unerreichbarer Berg erhebt. Wir würden ihn erklimmen wollen, aber es fehlte uns an der Fähigkeit und den notwendigen Mitteln».4
Christen können jedoch durch Worte und Taten zeigen, wer Jesus ist. In diesem Sinne hat der heilige Josefmaria geschrieben: „Wären doch dein Verhalten und deine Worte so, dass jeder, der dich sieht oder mit dir spricht, unwillkürlich dächte: Der da beschäftigt sich mit dem Leben Jesu.“5 Jesus durch das eigene Leben bekannt machen, bedeutet, wie der heilige Josefmaria sagte, „ein Höchstmaß an Nächstenliebe im Umgang mit deinen Mitmenschen zu zeigen, besonders gegenüber der eigenen Familie. Mitgefühl für die Trauernden, Kranken und Leidenden zu haben und Geduld mit Menschen zu üben, die lästig sind oder ungelegen kommen. Bereit zu sein, das eigene Programm zu unterbrechen oder zu ändern, wenn die Umstände es erfordern, vor allem wenn es den guten, vernünftigen Anliegen anderer dient.“6
Natürlich werden Menschen in unserem Umfeld auch unsere Schwächen und Fehler sehen. Doch wenn wir uns bemühen, authentisch zu leben, erkennen sie, dass der Weg zu Christus kein unüberwindbarer Berg ist, der nur wenigen vorbehalten bleibt. Jesus verlangt nicht, dass wir perfekt sind; er versteht „unsere Schwachheit und zieht uns wie über eine sanft ansteigende Ebene zu sich hin. Er erwartet lediglich, dass wir uns täglich neu bemühen, ein wenig höher zu steigen.“7 So zeigen wir anderen, dass wir nicht nur auf unsere eigenen Anstrengungen bauen, sondern auf die Unterstützung Jesu, die uns in unserem Alltag begleitet.
NACH dem Bekenntnis des Petrus kündigte Jesus den Aposteln sein Leiden an: Dann begann er, sie darüber zu belehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet werden und nach drei Tagen auferstehen (Mk 8,31). Für Petrus war es schwer, die Vorstellung eines leidenden Messias zu akzeptieren. In seinen Augen passte das Leiden und die Erniedrigung, die Jesus auf sich nehmen sollte, nicht zu seinem göttlichen Status. Deshalb nahm er Jesus beiseite und tadelte ihn für diese Worte. Doch Christus reagierte scharf: Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen (Mk 8,33).
Wie Petrus neigen wir vielleicht dazu zu glauben, dass die Nähe zu Gott uns vor Leid und Schwierigkeiten bewahrt. Diese Denkweise war auch zur Zeit Jesu weit verbreitet. Wohlstand und Gesundheit galten als Zeichen des göttlichen Segens, während Armut und Krankheit oft als Strafe Gottes für Sünden interpretiert wurden. Daher war Petrus schockiert, als Jesus sein bevorstehendes Leiden ankündigte. In seiner Vorstellung konnte dem Sohn Gottes nichts Schlimmes widerfahren, und schon gar nicht eine Hinrichtung wie die eines Verbrechers.
Jesus nutzte diese Gelegenheit, um seinen Jüngern den tieferen Sinn von Leid und Schmerz aufzuzeigen: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten (Mk 8,34-35). Hinter den schmerzhaften Erfahrungen, die wir manchmal durchleben und die wir vielleicht nicht verstehen, steckt oft ein tieferer Plan Gottes. Papst Benedikt XVI. schrieb in seiner Enzyklika über die Hoffnung: „Nicht die Vermeidung des Leidens, nicht die Flucht vor dem Leiden heilt den Menschen, sondern die Fähigkeit, das Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen, in ihm Sinn zu finden durch die Vereinigung mit Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat.“8 Auch Maria, die Mutter Jesu, blieb nicht vom Schmerz verschont. Sie erlebte den Tod ihres Sohnes auf die grausamste Weise, doch sie wusste, dass durch dieses Opfer den Menschen das Tor zum ewigen Leben geöffnet wurde.
1 Franziskus, Angelus-Gebet, 29.6.2021.
2 Benedicto XVI., Ansprache, 13.5.2005.
3 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 81.
4 Franziskus, Angelus-Gebet, 27.8.2023.
5 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 2.
6 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 138.
7 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 75.
8 Benedikt XVI., Spe Salvi, Nr. 37.