Betrachtungstext: 2. Juli – Mariä Heimsuchung

Ein Leben, das offen ist für andere – Maria, Lehrerin des Glaubens – Jubel über die Großtaten Gottes an jeder und jedem von uns

IN DIESEN TAGEN machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa (Lk 1,39). Die Verkündigung durch den Erzengel Gabriel war erst vor kurzem geschehen. Maria hatte dabei erfahren, dass auch ihre Cousine Elisabet ein Kind erwartete, denn bei Gott ist nichts unmöglich (Lk 1,37). Maria beschloss daher, der betagten Verwandten zu Hilfe zu eilen, und machte sich „schnell“ auf den Weg – mit jener Leichtfüßigkeit, die charakteristisch ist für Menschen, die sich ganz in Gottes Hände begeben haben.

Maria befand sich in einer außergewöhnlichen Situation. Sie hat gerade erfahren, dass sie zur Mutter des Messias erwählt worden war – sie, eine junge Frau, die sich von ihren Altersgenossinnen nicht unterschied und aus einem unbedeutenden Dorf in Galiläa stammte. Menschlich gesehen wäre es verständlich gewesen, wenn sie sich nun auf ihre neue Aufgabe konzentrieren und auf die neue Situation einstellen hätte wollen: Was wird Joseph sagen, was werden ihre Eltern denken, ihre Verwandten, die anderen Dorfbewohner ...? Doch ihre Seele voller Gnade war gänzlich unbefangen. Nachdem sie Gott ihre Bereitschaft erklärt hatte – mir geschehe, wie du es gesagt hast (Lk 1,38) –, bewegte sie sich im Einklang mit den Eingebungen des Heiligen Geistes. Sie machte sich daher sofort auf den Weg ins Bergland, um ihrer Cousine zu helfen und ihr ihre Zuneigung zu zeigen; vielleicht auch, um mit ihr die Freude zu teilen und mit jemandem zu sprechen, der die Wunder Gottes verstehen konnte.

Ähnlich wie bei Maria wird auch unser christliches Leben, wenn es dem Atem des Heiligen Geistes folgt, zunehmend offener für die anderen werden. Unsere Bemühungen um die Tugenden werden untrennbar mit der Brüderlichkeit und dem Apostolat verbunden sein. Und unsere Vertrautheit mit dem Herrn im Gebet wird uns dazu bringen, die Nächstenliebe gegenüber allen stets einfühlsamer zu leben. Der heilige Josefmaria schrieb: „Auch wenn unser Gebet mit scheinbar persönlichen Themen und Vorsätzen beginnt, wird es immer beim Dienst enden, den wir unseren Mitmenschen leisten können. Und wenn Maria uns an der Hand führt, wird sie dafür sorgen, dass wir uns als Schwestern und Brüder aller Menschen wissen; denn wir alle sind Kinder dieses Gottes, dessen Tochter, Braut und Mutter sie ist.“1


DIE JUNGFRAU gelangte nach Ein Karem2, jenem Dorf, in dem Johannes geboren werden sollte. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Und es geschah, als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt (Lk 1,40-41). Wir erleben zum ersten Mal, wie eng Maria mit ihrem Sohn in der Erlösung vereint ist. Durch Marias Anwesenheit tritt göttliche Gnade in das Haus des Zacharias ein. Sie hat Christus in dieses Heim gebracht, und wir sind durch den Glauben aufgerufen, ihr darin nachzueifern. Der heilige Josefmaria drückt es so aus: „Wenn wir mit Maria gleichförmig werden und ihre Tugenden nachahmen, werden wir dazu beitragen, dass Christus durch die Gnade in die Seelen vieler Menschen hineingeboren wird, die durch das Wirken des Heiligen Geistes mit ihm eins werden.3

Erfüllt von einer übernatürlichen Begeisterung durch das Wirken des göttlichen Beistands konnte Elisabet ihre Freude über den Besuch ihrer Cousine nicht zurückhalten. An Maria gewandt, rief sie aus: Selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ (Lk 1,45). Diese Worte laden uns ein, den Glauben Marias zu betrachten, sie als Lehrerin dieser göttlichen Tugend zu erkennen und sie zu bitten, uns zu helfen, aus dem Glauben zu leben. So werden wir die Gegenwart Jesu in unserem Leben erkennen und überzeugt sein, dass für seine Gesandten nichts unmöglich ist.

Das ist die Bedingung, die Jesus Christus stellt: dass wir aus dem Glauben leben. Dann sind wir fähig, Berge zu versetzen. Und es gibt so viele zu versetzen ... in der ganzen Welt, aber zuerst in unserem eigenen Herzen4, schrieb der Gründer des Opus Dei. Wir wollen die Gottesmutter heute um einen großen Glauben bitten, der sich von den Hindernissen nicht besiegen lässt. „Hilf, o Mutter, unserem Glauben!“, betete Papst Franziskus. „Öffne unser Gehör für das Wort, damit wir die Stimme Gottes und seinen Anruf erkennen. Erwecke in uns den Wunsch, seinen Schritten zu folgen, auszuziehen aus unserem Land und seine Verheißung anzunehmen.5


MARIA HÖRTE DIE Worte ihrer Cousine, antwortete ihr aber nicht direkt, sondern stimmte ein Loblied auf Gott an: das Magnifikat. Die Jungfrau sieht sich selbst mit den Augen Gottes, sie spürt, dass sie von ihm angesehen und geliebt wird, und sie versteht mit großer Dankbarkeit, dass er sie aus reiner Gnade und Erbarmen mit den Menschen erwählt hat. Sie erkennt sich selbst im göttlichen Licht und jubelt vor Freude, einer Freude, die in der Liturgie des heutigen Festes so präsent ist.

Der demütige und freudige Gesang Marias erinnert uns an die Großzügigkeit, Nähe und zärtliche Liebe des Herrn zu den Menschen. Diese väterliche Fürsorge bringt auch der Prophet Zefanja zum Ausdruck: Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich (Zef 3,17). „Gott interessiert sich sich auch noch für die kleinsten Angelegenheiten seiner Geschöpfe“, sagt der heilige Josefmaría, „für die euren und die meinen, und jeden einzelnen von uns ruft er bei seinem Namen (vgl. Jes 43,1). In dieser Gewissheit, die uns der Glaube verleiht, sehen wir das, was um uns herum geschieht, mit anderen Augen und bemerken, dass alles zwar gleich bleibt und trotzdem anders geworden ist, denn alles ist Ausdruck der Liebe Gottes.6

Diese Haltung wird uns dazu bringen, in ständiger Dankbarkeit für alles zu leben, was wir von ihm erhalten. Wir werden die guten Dinge, die wir haben, als Gaben Gottes schätzen. Zugleich werden uns die Dinge, die wir gerne anders hätten, demütig werden lassen, sodass wir auf die göttliche Gnade vertrauen, die unsere Bemühungen immer begleitet und unterstützt. So können wir mit Maria sagen: Meine Seele preist die Größe des Herrn (...). Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut (Lk 1,46.48).


1 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 145.

2 Diese im Evangelium noch als Stadt bezeichnete Ortschaft liegt 11 Kilometer westlich des Tempels von Jerusalem; „dort kam wohl Johannes der Täufer zur Welt“, aus: Jesus Gil, Eduardo Gil: Spuren unseres Glauben. Hrsg. Saxum International Foundation. 2016, ins Deutsche übersetzt von Angelika Strüder und Janni Büsse, 2020, S. 24.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 281.

4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 203.

5 Franziskus, Enzyklika Lumen Fidei, Nr. 60.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 144.