Betrachtungstext: 2. Adventsonntag (C)

Unsere Hoffnung gründet darauf, dass Gott in die Geschichte eingetreten ist. - Ein hoffnungsvoller Blick auf unsere Vergangenheit. - Wenn wir uns in Jesus verankern, öffnen wir uns für die Zukunft.

DAS JÄHRLICHE Gedenken an die Geburt des Messias in Bethlehem erneuert in den Herzen der Gläubigen die Gewißheit, daß Gott seine Versprechen hält. Deshalb ist der Advent eine machtvolle Ankündigung der Hoffnung1.Und bei der Betrachtung der Hoffnung kann man dem Irrtum verfallen, dass sie ausschließlich auf die Zukunft ausgerichtet ist; es scheint, dass angesichts von Widrigkeiten jeglicher Art der Rückgriff auf diese Tugend darin bestehen würde, die Vergangenheit abzulehnen, die Augen vor der Gegenwart zu verschließen und von einer besseren Zukunft zu träumen.

Es ist jedoch kein Zufall, dass diese liturgische Zeit der Hoffnung zwischen dem Gedenken an das erste Kommen Jesu Christi in Bethlehem und der Erwartung seiner glorreichen Wiederkunft am Ende der Zeiten liegt. Mit anderen Worten: Der Advent erinnert uns sowohl an die Vergangenheit als auch an die Zukunft. Daher fehlt es unserer Hoffnung nicht an Grund, sondern sie beruht auf einem Ereignis, das geschichtlich ist und gleichzeitig über die Geschichte hinausreicht: Dieses Ereignis ist Jesus von Nazaret2.

Der heilige Lukas beschreibt im Evangelium der heutigen Messe sehr genau den historischen Moment, in dem Johannes der Täufer, der Vorläufer Christi, predigte: Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias (Lk 3,1-2). Ein Kind, das zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Krippe geboren wurde, ist derjenige, der uns vor dem Bösen rettet. Gott ist kein fernes, schwer zu erkennendes Wesen geblieben, das wenig von unseren Problemen versteht und zu dem wir keine Beziehung aufbauen können. Der Schöpfer ist in unsere Geschichte eingetreten: Das ist die Wurzel unserer Hoffnung.


ICH DANKE meinem Gott (...) – sagt der heilige Paulus in der zweiten Lesung – ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu(Phil 1,3.6). Es kann vorkommen, dass wir dieses "gute Werk", das Gott in unserem Leben begonnen hat, nicht immer wahrnehmen, sei es, weil wir abgelenkt sind, sei es, weil wir unsere eigenen Schwächen erleben. Aber das führt nicht dazu, daß Gott aufhört, in unseren Seelen zu wirken – im Gegenteil, Gott hat eine Vorliebe für jedes zerbrochene und zerschlagene Herz(Ps 51,19), denn, wie auch der heilige Paulus schreibt, wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden (Röm 5,20). Der heilige Josefmaria sah die Erfahrung der eigenen Schwächen mit Optimismus: Er war der Meinung,dass die Grundlagen unseres geistlichen Lebens umso tiefer sein können, je deutlicher unsere Schwächen zu Tage treten lassen3.

Aus diesem Grund wird die Tugend der Hoffnung von zwei Haltungen genährt, die scheinbar gegensätzlich sind. Einerseits schöpft sie Kraft aus der Dankbarkeit für all das, was der Herr uns geben wollte. Ja, groß hat der Herr an uns gehandelt. Da waren wir voll Freude (Ps 126,3), singen wir voller Freude mit dem Psalmisten. Eine Hoffnung, die in Gottes großer Liebe zu uns und in seinem Wirken an uns verwurzelt ist, kann uns in schwierigen Zeiten Halt geben. Unsere Hoffnung wird aber auch gestärkt, wenn wir unsere eigene Biografie mit einem versöhnlichen Blick betrachten: Wenn wir uns nicht mit unserer Geschichte versöhnen, werden wir auch nicht in der Lage sein, den nächsten Schritt zu tun, denn dann bleiben wir immer eine Geisel unserer Erwartungen und der daraus resultierenden Enttäuschungen4.Gott verlangt nie etwas Unmögliches von uns; er möchte nur, dass wir ihn in die Tiefen unserer Seele einlassen, auch in unsere Vergangenheit. Dann wird er in der Lage sein, unsere zukünftigen Schritte in Richtung der kommenden Begegnung mit Christus zu lenken.


DIE ANTIKE IKONOGRAPHIE stellte die Hoffnung als Anker dar. Daher ist auf vielen Schiffen der schwerste und wichtigste Anker nach dieser theologischen Tugend benannt. Die Hoffnung auf Gott stärkt uns in Zeiten des Sturms. Aber das Bild des Ankers sollte uns nicht an eine vitale Unbeweglichkeit denken lassen, als ob die Lösung unserer Probleme darin bestünde, bewegungslos zu bleiben. Jesus Christus kommt, um alles zu erneuern (vgl. Offb 25,1). Wenn wir uns also in ihm verankern, sind wir bereit, die Segel zu setzen und ungeahnte Ozeane zu durchqueren.

Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht! (Bar 5,1). Die Hoffnung verbindet eine realistische Akzeptanz unserer Verletzlichkeit mit der Offenheit für die Gaben, die Gott uns jeden Tag schenkt. Ohne unsere Persönlichkeit oder unsere Vergangenheit zu verleugnen, wollen wir nach und nach unseren Herrn Jesus Christus anziehen (vgl. Röm 13,14). Auf diese Weise wird das Kommen Jesu an Weihnachten nicht nur ein äußeres Ereignis sein, sondern wir werden eine größere Nähe zu dem Gott erlangen, der ein Kind werden wollte, um in unser Herz zu passen.

Der heilige Josefmaria betrachtete die Hoffnung als jene sanfte Gabe Gottes (...) die unsere Seele mit Freude erfüllt5. Die Verankerung unseres Lebens in der Vergangenheit unserer Erlösung und in der Zukunft des zweiten Kommens Jesu verleiht der Gegenwart eine göttliche Sanftheit; jeder Augenblick unseres Lebens wird zu einer Begegnung mit Jesus, der gekommen ist und der kommen wird. Maria, unsere Hoffnung, verstand es, ihre eigene Geschichte für die Zukunft Gottes zu öffnen, und deshalb war sie in jedem Augenblick ihres Erdenlebens so glücklich.


1 Hl. Johannes Paul II., Generalaudienz, 17.12.2003.

2 Benedikt XVI., Homilie, 1.12.2007.

3 Vgl. hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 712: «Dein Sturz ist sehr tief! ‒ Fange von hier unten wieder mit dem Aufbau an (...)».

4 Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris corde, Nr. 4.

5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 206.