Wichtig ist die Selbst-Erziehung des Gefühlslebens

Gefühle treiben uns am stärksten an, gut oder schlecht zu handeln. Doch sind Emotionen kein guter Ratgeber, wenn es um die Richtigkeit einer Handlung geht. Die Kunst besteht darin, dass uns Begeisterung zum Guten führt und Abneigung gegen Schlechtes spürbar wird. Der Pädagoge Alfonos Aguiló hat sich Gedanken dazu gemacht.

Seit alten Zeiten war man der Meinung, dass jene Gefühle schlecht seien, welche die Freiheit einschränken oder aufheben. Das war die große Sorge der alten Griechen, des Denkens im Osten und vieler antiker Religionen. In allen großen Weisheitsüberlieferungen der Menschheit finden wir einen Hinweis darauf, wie wichtig es ist, die menschliche Freiheit angesichts seiner Wünsche und Gefühle zu bilden. Es sieht so aus, als hätten sie alle schon seit weit zurückliegenden Zeiten die Erfahrung gemacht, dass es im Innersten des menschlichen Herzens gegensätzliche Kräfte und Begierden gibt, die oftmals heftig miteinander kämpfen.

All diese Überlieferungen sprechen vom Aufbegehren der Leidenschaften; sie streben den Frieden eines klugen Verhaltens an, das sich von einem Verstand leiten lässt, der über die Begierden erhaben ist; sie zielen ab auf eine innere Freiheit des Menschen, die nicht etwas Vorgegebenes ist, sondern von jedem Menschen selbst errungen werden muss. Jeder muss sich um Selbstbeherrschung bemühen und sich den Vorgaben der Vernunft unterwerfen. Das ist es, was man begann Tugend zu nennen. Die Freude und das Glück werden dann als Frucht eines an ihr ausgerichteten Lebens heranreifen.

UMKEHR DES HERZENS

Die christliche Sittenlehre sagt ganz klar, dass die Unordnung in unserem Gefühlsleben eine Folge der Erbsünde ist. Das menschliche Herz ist fähig zu unbeschreiblichem Großmut, zu den höchsten Stufen des Heroismus und der Heiligkeit, aber auch zu den größten Gemeinheiten und zu unmenschlichen Begierden.

Das Neue Testament enthält an mehreren Stellen Worte Jesu Christi, mit denen Er nachdrücklich die innere Umkehr der Herzen und der Begierden fordert: Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen . Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen i.

Unser Herr betont, dass es nicht ausreicht, böse Handlungen zu unterlassen oder sich an einige äußerliche Verhaltensregeln zu halten, sondern dass man sein Herz ändern muss, denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein ii.

Foto: Sean Dreilinger (cc)

In seinen Lehren fordert er ständig zur Bekehrung der Herzen auf, der einzige Weg, der den Menschen wirklich gut macht: Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist; und ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist. Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund iii. Sie betonen die unumgängliche Notwendigkeit, sich innerlich zu reinigen: Ihr redet den Leuten ein, dass ihr gerecht seid; aber Gott kennt euer Herz iv.

Die unmoralischen Handlungen werden durch verkehrte Gedanken verursacht, die das Herz ausbrütet. Deshalb ist es so wichtig, die eigenen Gemütsregungen zu erziehen. Und aus diesem Grund sagt der Apostel Petrus zu Hananias, als er wegen seiner Verlogenheit ertappt wird: Warum hast du in deinem Herzen beschlossen, so etwas zu tun? v

Die christliche Moral schaut nicht misstrauisch auf die Gefühle herab. Im Gegenteil, sie nimmt ihre Pflege und Erziehung sehr wichtig, weil die Gefühle das sittliche Leben stark beeinflussen. Das Lenken und Erziehen der Gefühle erfordert eine vorausgehende Reinigungsarbeit, weil die Sünde das Unkraut der Zuchtlosigkeit in die Herzen aller Menschen gesät hat, und es daher notwendig ist sie zu heilen. Aus diesem Grund hat der heilige Josefmaria geschrieben: Ich bitte Dich nicht, Herr, dass Du mir meine Gefühle nimmst, denn ich kann Dir mit ihnen dienen. Aber läutere sie, in Deinem Feuer vi.

Es geht darum alles auf die feste Grundlage der Forderungen der Menschenwürde, der Anerkennung dessen und der Abstimmung mit dem zu stellen, was die Natur des Menschen verlangt und was ihr entspricht. Und die beste Ausdrucksform der Gefühle wird jene, der beste Charakter wird jener sein, die uns in ganz unmittelbare Nähe dieser einzigartigen Würde versetzen, die dem Menschen zukommt. In dem Maß, in dem uns das gelingt, wird es uns leichter möglich, glücklich und heilig zu werden.

GEFÜHLE UND TUGEND

Jedes Gefühl wirkt sich auf einige Handlungen günstig aus und erschwert andere. Daher erleichtern oder erschweren die Gefühle ein psychisch und spirituell gesundes Leben und helfen oder hindern uns daran, die Tugenden zu leben und die Werte zu berücksichtigen, die wir erreichen wollen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Neid, der Egoismus, der Hochmut oder die Trägheit jedenfalls ein Fehlen an Tugend ist, aber auch ein Mangel an der erforderlichen Erziehung der Gefühle, die diese Tugend begünstigen oder hemmen. Man kann also sagen, dass das Üben der Tugenden die Herzensbildung fördert und umgekehrt.

Wir vergessen sehr oft, dass die Gefühle eine sehr wirksame menschliche Sache sind, und zwar jene, die uns üblicherweise am stärksten antreibt oder hindert gut oder schlecht zu handeln. Immer wieder neigte man dazu, nicht sehr auf ihre Erziehung zu achten, vielleicht weil man den undeutlichen Eindruck hatte, sie seien etwas Bedenkliches und Geheimnisvolles, wenig Vernünftiges, gewissermaßen unserer Kontrolle entzogen; oder weil man vielleicht das Gefühlsleben mit Rührseligkeit oder Gefühlsduselei verwechselt hat; oder weil die Erziehung der Gemütsregungen eine schwierige Angelegenheit ist, die Unterscheidungsgabe und Ausdauer verlangt und man ihr vielleicht deswegen, ohne es zu bemerken, aus dem Weg geht.

Die Gefühle tragen in hohem Maß zu einem reicherfüllten Leben bei und sind für ein gelungenes und glückliches Leben ausschlaggebend. Um das Glück zu finden, bedarf es nicht eines bequemen Lebens, sondern eines verliebten Herzens vii. Und dazu muss das Herz gebildet werden, auch wenn das nicht immer eine leichte Aufgabe ist. Alle besitzen die Möglichkeit ihre Gefühle ausreichend zu steuern. Man darf sich nicht vom Schicksalsglauben vereinnahmen lassen und meinen die Menschen seien kaum erziehbar, und deshalb unvermeidlich so oder so; sie seien großzügig oder engherzig, traurig oder froh, herzlich oder kühl, optimistisch oder pessimistisch, als wäre das etwas, das zu einer unempfindsamen Natur gehört, die so gut wie unmöglich verändert werden kann.

Foto: Sean Dreilinger (cc)

Sicher ist, dass die Gemütsveranlagungen zum Teil angeboren sind und daher ihr Wirkungsbereich schwer zu bestimmen ist. Aber auch die Familie, die Schule, das kulturelle Umfeld und die Religion haben auf sie einen starken Einfluss. Und vor allem gibt es die persönliche Anstrengung, sich mit Gottes Gnade zu verbessern.

BEISPIEL, FORDERUNG, GUTE BEZIEHUNG

Bei der Erziehung der Gefühle ist das Vorbild besonders wichtig. Man braucht nur daran denken, wie die Fähigkeit fremdes Leid zu bemerken, andere zu verstehen und demjenigen zu helfen, der es nötig hat, von den Eltern an die Kinder übergeht. Es sind Gemütshaltungen, die alle an den Menschen in ihrer Umgebung beobachten und ganz natürlich lernen und in ihrem Gedächtnis bewahren, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Aber nicht nur aus diesem Grund ist alles eine Frage des guten Beispiels. Es gibt egoistische und einfühllose Kinder, deren Eltern großherzige Menschen sind. Und das ist so, weil das Vorbild wichtig ist; abgesehen davon ist es aber notwendig, sie diesen Werten gegenüber empfindsam zu machen (die Eltern müssen ihnen helfen, diese Bedürfnisse der anderen zu entdecken, und sie auf das Anziehende eines auf Großzügigkeit aufgebauten Lebensstils hinweisen); und außerdem müssen sie die Kinder in einem Klima der persönlichen Anforderung erziehen, denn wenn man sich nicht selbst fordert, ersticken die Faulheit und der Egoismus sehr leicht jeden Reifungsfortgang der Gefühle. Die Disziplin und die Autorität sind bei der Erziehung ganz wichtig, weil man ohne ein Mindestmaß an gutem Benehmen den Großteil der für das Leben wichtigen Dinge sehr schwer erlernen kann.

Abgesehen davon ist es ganz wichtig, dass es eine entspannte Atmosphäre und ein gutes Einvernehmen gibt; dass es leicht fällt Zeiten für ein Beisammensein der Familie zu schaffen, in denen jeder vertrauensvoll seine Gefühle äußern und man sie mit ihnen teilen und sie steuern kann; dass es im gegebenen Fall keine übertriebene Scheu gibt die eigenen Gefühle zu zeigen; dass die Möglichkeit besteht den anderen offen und liebevoll zu sagen, was einem an ihnen nicht gefällt, usw.

Fehlt dieser Gleichklang bei einer dieser Gefühlsregungen (des Erbarmens angesichts des Leidens eines anderen, des Verlangens sich bei einer Widrigkeit zu überwinden, der Freude über den Erfolg anderer, usw.), oder werden diese Gefühle nicht richtig entfaltet oder sogar verhindert oder verachtet, dann wird jeder dazu geneigt sein sie zu unterdrücken und sie nach und nach immer weniger verspüren. Sie werden immer undeutlicher und verschwinden allmählich aus den Bestand der Gefühle.

DIE WIRKSAMKEIT DER ERZIEHUNG

Foto: Moyan Brenn (cc)

Zwischen dem Gefühl und dem Verhalten gibt es einen wichtigen Schritt. Man kann zum Beispiel Angst verspüren und mutig handeln oder Hass empfinden und verzeihen. In diesem Zwischenbereich zwischen den Gefühlen und dem Handeln gibt es die persönliche Freiheit. Man trifft dann eine persönliche Entscheidung, die teilweise genau in diesem Augenblick stattfindet und teilweise davor im vorherigen Ablauf der Erziehung und Selbsterziehung. Im Laufe des Lebens bildet sich eine gewisse Art zu empfinden und auch eine Art zu handeln heraus. Kommen wir auf das obige Beispiel zurück: Ein ängstlicher oder nachtragender Mensch hat sich daran gewöhnt, der Angst und dem Groll zu widerstehen, die durch bestimmte Aufregungen unbewusst ausgelöst werden, und das ist in ihm zu einer mehr oder weniger ständigen Gewohnheit geworden. Diese Gewohnheit bringt ihn dazu, bei diesen Situationen eine Gemütshaltung einzunehmen, die schließlich zu einem persönlichen Charakterzug wird.

Unser genetisches Erbe können wir natürlich nicht ändern, auch nicht die bisher erhaltene Erziehung. Aber wir können sehr wohl an die Gegenwart und an die Zukunft denken mit einem tiefen Vertrauen in die große Veränderungsfähigkeit des Menschen mithilfe der Bildung, des persönlichen Einsatzes und der Gnade Gottes.

GEFÜHLE UND SITTLICHE ERZIEHUNG

Bei der Erziehung muss man in besonderer Weise auf die sittliche Bildung achten. Man darf sich nicht bloß auf die intellektuelle Entwicklung, die Stärkung des Willens und ein ausgeglichenes Gemüt beschränken. Eine gute Erziehung der Gefühle soll unter anderem lernen helfen, soweit wie möglich das Gute gern zu machen und Widerwillen zu verspüren, wenn man etwas Schlechtes macht. Es geht also darum zu lernen, das gern zu haben, was wirklich verdient geliebt zu werden.

In uns gibt es eine innere Stimme, die uns drängt gut zu handeln, aber gleichzeitig gibt es unzählige andere, die unser sittliches Leben bedrohen. Daher müssen wir versuchen unsere Gefühle gut auszubilden, damit sie uns so gut wie möglich dabei unterstützen, all das gut zu finden, was uns hilft, ein ausgeglichenes, erfülltes, gelungenes Leben zu führen; und uns andernfalls schlecht zu fühlen. Weil die sittliche Erziehung uns unter anderem hilft, in zutreffender Weise zu empfinden.

Für die ersten Christen war der positive Sinn der menschlichen Gefühle etwas ganz Natürliches und Naheliegendes. Ein Beweis dafür ist der Rat des heiligen Paulus: Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht viii. Auch der Katechismus der katholischen Kirche spricht davon, wie wichtig es ist, das Gefühlsleben beim Erstreben der Heiligkeit einzubeziehen: «Die sittliche Vollkommenheit besteht darin, dass der Mensch nicht nur durch seinen Willen zum Guten bewogen wird, sondern auch durch das sinnliche Strebevermögen, gemäß dem Psalmwort: ‘Mein Herz und mein Leib jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott’ (Ps 84,3)» ix.

Es ist wahr, dass es manchmal nicht sehr verlockend sein wird, das Gute zu tun. Die Gefühle sind daher nicht immer ein zuverlässiger sittlicher Maßstab. Aber man darf ihre Kraft und ihren Einfluss nicht gering achten, man muss vielmehr verstehen, dass es erforderlich ist sie zu erziehen, damit sie so gut wie möglich helfen ein sittlich gutes Leben zu führen. Wenn sich beispielsweise jemand beim Lügen unwohl fühlt und er zufrieden ist, wenn er die Wahrheit sagt, wird ihm das sicher sehr hilfreich sein. Und ist es ihm unangenehm, wenn er unfair, oder egoistisch, oder träge, oder ungerecht ist, werden ihn diese Gefühle von diesen Fehlern abhalten, und das manchmal viel stärker als irgendeine andere Begründung.

Wer ein gut gebildetes Gefühlsleben hat, muss sich weniger anstrengen, ein tugendhaftes Leben zu führen und heilig zu werden. Wie auch immer, selbst wenn ein Mensch über eine noch so gute Erziehung verfügt, wird es ihm schwer fallen, das Gute zu tun, manchmal sogar sehr. Aber wer gut handelt steigt immer gut aus. Wer hingegen das Schlechte wählt, betrügt sich selbst und muss auf lange Sicht mit einem viel schwereren und bedrückenderen Leben rechnen. Es geht also nicht darum, die Glückseligkeit des Himmels mit einem unangenehmen Leben auf Erden zu erwerben, sondern das Glück hier und dort zu suchen: Mit jedem Tag bin ich tiefer davon überzeugt: die Glückseligkeit des Himmels ist für die, die es verstehen, bereits hier auf Erden wahrhaft glücklich zu leben x.

DIE INNERE FREIHEIT

Manchmal neigen wir dazu, Verpflichtung und Zwang gleichzusetzen, die Pflicht als Verlust der Freiheit anzusehen, und das ist ein Fehler bei der Entfaltung der Gefühle. Das pflichtgemäße Handeln führt uns dazu immer vollkommener zu werden. Wenn wir auf unsere Pflicht wie auf eine freundliche Stimme hören, werden wir sie schließlich gern und freudig auf uns nehmen und nach und nach entdecken, dass der große Erfolg der Erziehung des Gefühlslebens darin besteht, das Wollen und das Sollen möglichst in Übereinstimmung zu bringen. Auf diese Weise erreicht man außerdem eine viel größere Freiheit, weil das Glück nicht darin besteht, das zu tun was man will, sondern das zu wollen, was man tun soll.

So werden wir uns zum guten sittlichen Handeln aufgerufen fühlen, aber nicht verpflichtet, noch gezwungen oder genötigt, weil wir es als ein Ideal ansehen, das uns zur Vollkommenheit führt, und das ist eine der besten Auswirkungen der wirklichen Freiheit.

A. Aguiló

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iMt 5, 27-28.

iiMk 7, 21-23.

iiiLk 6, 45.

ivLk 16, 15.

vApg 5, 4.

viHl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 750.

viiHl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 795.

viiiPhil. 2, 5.

ixKatechismus der katholischen Kirche, Nr. 1770.

xHl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 1005.